Vinyl-Platten-Boom16 Läden in Köln – Rückkehr der schönen schwarzen Scheiben

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Mark Sommer (l.), Thomas Rhein von Parallel-Schallplatten

Mark Sommer (l.), Thomas Rhein von Parallel-Schallplatten

Köln  – Natürlich ist das ein Boom: Von 2006 bis 2017 ist der Absatz an fabrikneuen Schallplatten in Deutschland von 300 000 auf 3,3 Millionen geklettert – 1100 Prozent, unglaublich. Allein in Köln suchen und finden inzwischen 16 Läden mit Programmen zwischen Mainstream und hippen Nischenklängen ihr Publikum – der Spezial-Stadtplan „Vinyl Map Cologne“ des städtischen Kulturamts liegt überall aus und weist den Weg, die großen Märkte sind gar nicht mal mitgezählt. Aber vielleicht muss man das alles etwas in Relation setzen.

Die Goldenen Jahre

Am Anfang war Saturn. Und überall im rheinischen Kosmos und darüber hinaus lebten Jungs – ja, meist waren es Jungs – die sich mit eng beschriebenen Einkaufszetteln per Zug, per Auto, per Anhalter auf den Weg machten. Aus Gummersbach und Wesel, aus Koblenz und Aachen reisten sie an, um in der kleinstadtgroßen Schallplattenabteilung des Kölner Elektro- und Fotomarkts nach Hit-Alben, Schnäppchen und Raritäten zu suchen oder nach ganz obskuren Titeln, die niemand kannte, außer – und das war ein richtiger, kleiner Mythos damals – den Verkäufern bei Saturn. Die wussten alles, kannten alles und konnten alles besorgen.

Das waren die Goldenen Jahre der schwarzen Scheiben, dreißig Jahre ist das her und ein bisschen mehr. 1985 wurden in Deutschland noch 74 Millionen Platten verkauft, ein letztes Hoch. Dann kam die CD. Und Schallplatten, diese etwas sperrigen Fladen aus fast reinem Erdöl mit ein bisschen Musik drauf, die wollte niemand mehr so recht. Und dann kam das Internet.

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Nunk-Musik

Im Belgischen Viertel von Köln betreibt Uwe Schmandin seit 1994 seinen Laden Nunk-Musik. „Klar, mit dem Zettel in der Tasche zum Saturn rein und mit Tüten voller Platten wieder nach Hause“, sagt er, „so haben wir alle angefangen.“ Wir alle – das sind die Jungs von damals, heute zwischen 45 und 65 Jahre alt. Wenn sie nicht gerade wie Schmandin hauptberuflich Platten verkaufen, dann haben diese Jungs vermutlich eine Biografie wie diese: Erst die Vinylsammlung parallel zur CD-Sammlung sentimental und tapfer weiter gepflegt; beim nächsten, spätestens aber übernächsten Umzug die Schallplatten entsorgt, dann die Kassetten samt Recordern und schließlich die CDs – man kann ja alles online hören.

Uwe Schmandin von Nunk Musik

Uwe Schmandin von Nunk Musik

Und jetzt kaufen diese altgewordenen Jungs alles wieder nach – die alten Platten und ihre Jugend. Richtig?

Ja. Und nein.

Denn auch Frauen kaufen Platten. Sie machen hier etwa ein Drittel der Kundschaft aus; „Coole Frauen“, sagt Schmandin „hören Reggae“ – auch das war früher anders. Das Durchschnittsalter der Käufer schätzt er auf etwa 30. Die Jüngeren kaufen die klassischen Rockplatten nach: Bowie, Beatles, Deep Purple. Die Älteren stocken ihre Sammlungen wieder auf. Und die über 50-Jährigen sind bevorzugt auf der Suche nach Raritäten. „Das kostet dann“, sagt Schmandin. Für besonders feine Stücke zahlen Sammler zwischen 50 und 500 Euro.

Den aktuellen Boom spürt Schmandin durchaus, aber die Zahlen hält er für problematisch. Es lasse sich kaum erfassen, wie viele Platten tatsächlich im Umlauf sind – die Zig- und Abermillionen Platten von damals sind ja nicht verschwunden. Auf Flohmärkten, Platten- und Internet-Börsen werden ganze Sammlungen aufgelöst, verkauft und neu zusammengestellt. Der Anteil der Neu-Pressungen am Gesamtmarkt lässt sich schwer einschätzen.

Groove Attack Record Store

Zwei Straßen weiter liegt der Groove Attack Record Store von Uwe Welter. Er war der erste, 1991 hat er den Laden aufgemacht. „Damals wurden noch Platten gekauft“, sagt er. Aber der Trend war erkennbar – bei Saturn wurde Vinyl zwar nicht abgeschafft, aber die Angebote wurden abgespeckt. „Ich habe alles hier im Rechner“, sagt Welter und guckt nach: Ab 1999 haben sich die Umsätze alle vier, fünf Jahre halbiert. Dramatisch. Zum Glück machen Läden wie seiner Umsätze vor allem mit Gebraucht-Platten und Raritäten. „Aber ja“, sagt er zum Thema Boom, „es zieht ein bisschen an.“ Von einer Verzehnfachung könne man nicht reden, aber gut: „Wir sind ungefähr wieder auf dem Stand von 2009.“

Musik mit Diamant-Nadel und Vinyl – analoger geht’s nicht.

Musik mit Diamant-Nadel und Vinyl – analoger geht’s nicht.

Seine Musikauswahl liegt weit weg vom Mainstream: Spezieller Hiphop, Funk, alter Jazz, Reggae, überhaupt schwarze Musik, Musik aus Südamerika. „Zu mir kommen die Nerds“, sagt Welter, „Leute, die wissen, was sie wollen; Leute, die selbst auflegen; in dem Bereich sind wir eine Institution“. Er denkt nach: „Es kommen die Leute, die Zeit haben.“ Ja, man muss sich Zeit nehmen für Vinyl-Platten. Die Platte anfassen, die Nadel auflegen, das Cover studieren, behutsam sein.

„Das ist der Laden mit der besten Auswahl der Stadt“, ruft ein junger Mann, der in den Regalen kramt und unser Gespräch mitbekommt. Frauen machen auch hier etwa ein Drittel der Klientel aus, und auch hier widerspricht der Altersschnitt der Statistik. „Die Mehrzahl der Kunden ist zwischen 15 bis 29 Jahre alt. Die suchen die Musik, die in den Clubs läuft.“ Zu den Bestsellern bei „Groove Attack“ zählen Eigen-Produktionen, zum Beispiel mit dem Kölner Rapper Hulk Hodn. „Wir kommunizieren das per Social Media“, sagt Welter erschreckend modern, „und dann kommen die Leute.“

Parallel-Schallplatten

Thomas Rhein und Mark Sommer betreiben den Laden Parallel-Schallplatten seit 2000. „Vinyl war damals kein Thema“, sagt Sommer. Aber niemand macht einen Plattenladen auf, um reich zu werden. „Die aktuellen Zahlen glaube ich“, sagt Sommer zu dem Boom, „es gibt allerdings auch deutlich mehr Läden. Die Zuwächse verteilen sich.“ Das Image der Platte sei gut, erklärt Rhein, „die Haptik spielt eine Rolle, der Sound ist gut“ – der Coolness-Faktor ist so hoch, dass er in den ganz angesagten Kreisen schon wieder abnimmt.

Mark Sommer (l.), Thomas Rhein von Parallel-Schallplatten

Mark Sommer (l.), Thomas Rhein von Parallel-Schallplatten

Das Programm von Parallel liegt vergleichsweise nah am Rock-/Pop-/Jazz-Mainstream. Hierher kommen auch bevorzugt, nein, nicht die alten Männer, Rhein sagt es so: „Es kommen die, die alte Männer werden.“ Gute Beschreibung und ein gutes Geschäftsmodell: Von Leuten, die älter werden, gibt es immer mehr.

Die jungen Leute, der klassische DJ-Bereich, die einen guten Teil der Kundschaft bei Groove Attack und Nunk stellen – „die kommen eher nicht, die haben andere Läden“, sagt Sommer. Allerdings: „Auch diese Leute kaufen wieder Plattenspieler.“ Und ja, auch sie werden älter.

Vinyl-Platten-Läden in Köln

Groove Attack Records (Maastrichter Straße 49)

Parallel Schallplatten (Brabanter Str. 2-4)

Nunk Music (Antwerpener Straße 16)

As if Recordstore Café (Brüsseler Straße 92)

Early Bird Records (Lindenstrasse 77)

Kompakt (Werderstraße 15)

Topic Drift Music (Ehrenfeldgürtel 131)

Drake Records (Niessenstr. 6)

Kontrapunkt Vinyl (Helenenwallstraße 2)

Underdog Records (Ritterstraße 52)

Silvertone Recordstore (Ritterstraße 50)

Black Diamond (Ritterstraße 48)

A-Musik (Kleiner Griechenmarkt 28-30)

Sally Records (Gleueler Str. 179)

Schallhandel (Luxemburger Straße 72)

Andrä records (Auf dem Berlich 8)

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