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Virtuos im Virtuellen

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Der Filmbetrieb, für Orson Welles die großartigste aller elektrischen Eisenbahnen, steht weltweit seit rund zwei Monaten still. Trotzdem stellten die Oberhausener Kurzfilmtage, die an diesem Mittwoch ihre 66. Ausgabe online eröffnen, einigen Stammgästen die Frage: „Kann und muss man jetzt Filme machen?“ Niemand lässt sich das wohl derzeit zweimal fragen. Für den „Preis einer Therapiesitzung“ schickten sie filmische Lebenszeichen, die sich sehen lassen können. Der Regisseur Franz Müller zum Beispiel wartet in „Die bewohnte Insel“ mit einer hinreißenden Ensembleszene auf. Aufgenommen bereits im Jahr 2012, wusste er bislang nie etwas damit anzufangen.

In einer Parklandschaft versammeln sich Menschen zu einem rätselhaften Miteinander, doch den eigentlichen Zauber entwickelt der Film erst dadurch, dass es sich um zwei „Takes“ der gleichen Szene handelt. Sie spiegeln einander wie die beliebten Bilderrätsel von Original und Fälschung – und verströmen jene magische Künstlichkeit, von der François Truffaut in seinem Film „Die amerikanische Nacht“ erzählte. „Filmemachen ist eine der raffiniertesten Möglichkeiten der Kontaktaufnahme“, kommentiert Müller das Material. „Eine der im besten Sinne unverschämtesten Möglichkeiten, sich zu verbinden.“

Auch Oberhausen, dieser Jahr für Jahr entrücktere Festivalort, besitzt im Mai diese magische Künstlichkeit. Nun ist alles anders: Auf der Webseite kurzfilmtage.de kleben 9,99-Euro-Preisschilder. Für den üblichen Monatspreis eines Streamingdienstes kann man insgesamt 350 Kurzfilme ansehen, darunter auch die kompletten Wettbewerbe. Viele Fachbesucher, die in Oberhausen schon lange mehr Zeit an Sichtungsbildschirmen verbringen als in den Kinos, werden die Heimsichtung wohl sogar begrüßen. Doch wer das Kino liebt als Ort der Begegnung und, mehr noch, die große Leinwand, wird dabei ausgesprochen melancholisch. Das Erstaunliche aber ist, dass sich Vorahnungen der gegenwärtigen Krise bereits in der Filmkunst finden – auch wenn das Programm bereits vor Monaten zusammengestellt wurde.

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Die in Köln lebende Animationsfilmerin Katherina Huber hat ein geradezu prophetisches Seismogramm sozialer Distanziertheit geschaffen: In ihrem aufwendigen 21-Minuten-Film „Der natürliche Tod der Maus“ beschreibt sie am Alltag einer jungen Frau eine konsumkritische Lebenswirklichkeit zwischen Verzicht und Entsagung. Die Bedrohung durch Infektionen spielt dabei bereits ebenso eine Rolle wie das Maskentragen – doch das eigentlich Faszinierende ist, wie Huber hier eine offensichtlich schon vor Corona verbreitete Bereitschaft beschreibt, das eigene Leben zu beschränken. In einer surrealen Fantasie entlädt sich die Entfremdung in einer Gewaltfantasie, dazwischen gibt es leere Landschaften wie bei Antonioni und die originelle Nebenfigur einer „ungewollten imaginären Tochter“. In einer siebenminütigen Monologszene – unerhört im Animationsfilm – macht Huber die Selbstbeschränkung schließlich auch formal zum Thema.

Es sind besonders Filmemacherinnen, die in den Oberhausener Wettbewerben in diesem Jahr die radikalsten Wege gehen. Dazu gehört auch die Rückkehr zu analogen Filmtechniken, die man natürlich besonders gerne im Kino erleben würde. Die britische Filmkünstlerin Jane Parker hat ihren betörenden 16-mm-Film „Amaryllis – a Study“ im Inneren von Blüten aufgenommen. So minimalistisch die Herangehensweise, so monumental und überwältigend das Ergebnis: Seit den Glanztagen von Technicolor hat man solche Rottöne nicht mehr gesehen. Welche Befreiung bietet so ein rauschhaftes Kino gerade in diesen beschränkten Zeiten. Besonders schön ist die auch bei der Berlinerin Sylvia Schedlbauer zu sehen, die mit dem delirierenden „Labor of Love“ ihr abstraktes Kino förmlich direkt auf unsere Netzhaut projiziert: Der sogenannte „Flicker-Film“, diese flackernde Errungenschaft der sechziger Jahre, ist noch lange nicht am Ende seiner Möglichkeiten.

Wahrscheinlich sind die meisten Bilder, die von dieser Corona-Krise in Erinnerung bleiben werden, schlecht aufgelöste Videotelefonate aus dem „Home Office“. Auch Oberhausen hat eine Menge davon ins Netz gestellt, Interviews mit Künstlern und Wissenschaftlern, die für ausgefallene Debatten entschädigen sollen. Nichts hat man in dieser entsagungsvollen Zeit aber nötiger als die schwelgerische Opulenz solch grandioser Kurzfilme. kurzfilmtage.de

Franz Müller, Regisseur

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