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Vor 60 Jahren erschienenIst der Kinderbuchklassiker „Jim Knopf“ rassistisch?

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Die Marionette Jim Knopf aus der Augsburger Puppenkiste

  • Die Diskussion um das N-Wort macht auch vor dem Kinderbuchklassiker von Michael Ende nicht halt.
  • Ist die Geschichte um das schwarze Findelkind rassistisch? Wir haben uns die Geschichte zum 60. Geburtstag noch einmal durchgelesen – und sind zu interessanten Ergebnissen gekommen.

Ist „Jim Knopf“ rassistisch? Ja, tatsächlich, auch vor Michael Endes vor 60 Jahren erstmals erschienener Geschichte um ein schwarzes Findelkind, das zum besten Freund des Lokomotivführers Lukas wird und ein Drachenmonster namens Frau Mahlzahn besiegt – selbst vor dieser Erzählung, die auch die „Augsburger Puppenkiste“ zu einer ihrer schönsten Produktionen inspirierte, macht die Diskussion um das N-Wort nicht halt.

Einmal nämlich wird Jim Knopf als „Neger“ bezeichnet, doch damit nicht genug: Als Ruß Lukas’ Haut verschmutzt, wird diese als genauso schwarz wie die von Jim bezeichnet, während an anderer Stelle Jim unter seiner Haut „erbleicht“ – als sei dies ein natürlicher Vorgang und der Normalzustand nur aufgeschminkt.

Es ist ein Schicksal, wie es auch Astrid Lindgrens „Pippi Langstrumpf“ ereilte oder zuletzt den ersten Kinofilm von Otto Waalkes: Was wir heute als rassistisch oder zumindest politisch höchst unkorrekt empfinden, entsprang zur Zeit der Entstehung dieser Werke einem anderen Sprachgebrauch. Ende war der Sohn eines Münchner Künstlers, 1929 wurde er geboren, und dass er viel Sinn fürs Fantastische und Ungewöhnliche besaß, bewies bereits sein Buch „Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer“: Zahlreiche Verlage lehnten es ab, weil es mit gut 500 Seiten den Umfang für ein Kinderbuch überstieg.

Aber auch die Welt, die hier entfaltet wird, mochte manchen skeptisch gestimmt haben. Skurrile Typen wie Alfons, der Viertelvorzwölfte, Gestalten wie der melancholische Scheinriese oder auch ein Bilderbuch-Arbeiter mit dem Herz auf dem rechten Fleck, wie Lukas ihn repräsentiert – all das, was wir heute an Endes Buch als originell und ungewöhnlich schätzen, wirkte damals vielfach abschreckend.

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Und anderes entsprang eben Klischees und Stereotypen, die der Autor wohl auch ziemlich unreflektiert übernahm. Auch das Land Mandala gehört dazu, das einerseits eine Hochkultur darstellt, andererseits seinen Erfinder aber zu Ostasienklischees und Chinesenwitzen anstachelt. Dass Ende dies alles aber in rassistischer und diskriminierender Absicht geschrieben haben soll, wird man nicht im Ernst annehmen.

Denn auch, wenn die Gefangenen der Frau Mahlzahn – zu denen „Indianerjungen“ und „Eskimokinder“ zählen – heutigen Standards sprachlich nicht mehr standhalten, als bunt gemischte Truppe unter der Fuchtel einer stockschwingenden Matrone transportieren sie eine unmissverständliche antiautoritäre Botschaft und die Aura von Multikulturalität und gegenseitiger Unterstützung. So wie „Jim Knopf“ überhaupt mit vielen Figuren und in zahlreichen Passagen ein Plädoyer für Toleranz ist, durchaus ergreifend im Charakter der Frau Waas, die als Gegenbild des Drachen eine Mutter darstellt, die ihrem Ziehsohn alle Freiheit zur Entfaltung lässt – und ihn sogar gehen lässt.

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