Wallraf-Richartz-MuseumRembrandts Dunkel frisst die Schatten auf

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„Das Höhlengleichnis von Platon“ von Jan Saenredam (1565 – 1607) entstand nach Cornelis Cornelisz van Haarlem.

Köln – Der erste Maler auf Erden war kein Mensch, sondern die Sonne, die mit Hilfe fester Körper Schatten warf. Es war, zugegeben, eine primitive, aber auch bewegliche und schwer fassbare Kunst, deren trickreiche Natur Maler, Zeichner und Grafiker lange Zeit vor unlösbare Rätsel stellte. Selbst der größte unter ihnen, Leonardo, drückte sich um das Problem der Schattendarstellung herum.

Da Vinci schob Wolken vor die Sonne

Nachdem er den Schattenwurf mit Hilfe von Kerzenlicht ausführlich studiert hatte, schloss er sich kurzerhand der Mehrheitsmeinung an, hartes Licht und harte Schatten als Maler tunlichst zu meiden. Licht und Schatten sollten wie Rauch ineinander übergehen, empfahl Leonardo und schob zu diesem Zweck auf seinen Bildern fleißig Wolken vor die Sonne.

So wie Leonardo kapitulierten auch zahlreiche alte Meister der Graphik vor der Schattenmalerei, wie jetzt die neue Ausstellung im Graphischen Kabinett des Kölner Wallraf-Richartz-Museum zeigt.

Unter dem Titel „Schatten im Blick?“ präsentiert der Künstler Tim Otto Roth eine Auswahl aus der Wallraf-Sammlung, die nicht nur anerkannte Größen wie Albrecht Dürer und Rembrandt beim Schummeln ertappt, sondern sich auch an eine Antwort auf die Frage wagt, warum auf den Bildern der begabtesten Künstler die Schatten fallen, wie sie nach den Gesetzen von Physik und Optik unmöglich fallen können. Die moderne Idee, dass sich das Genie über derlei Hindernisse großzügig hinwegsetzt, gilt für die Renaissance jedenfalls noch nicht.

Roth ordnet das Graphische Kabinett nach Motivsorten und lässt die Ausstellung mit Schatten beginnen, die von außen nach innen geworfen werden. Im Haus eines von Dürer gestochenen heiligen Hieronymus fallen die Schatten gleichwohl, wie sie gerade wollen – oder fehlen ganz.

Schatten einfach verbannt

Die Graphiker der zweiten Abteilung „Verlorene Schatten“ wollten sich diese Blamage offenbar ersparen: Da sie nicht wussten, wie man Schatten realistisch nachahmt, verbannten sie diese aus dem Bild, aber möglichst so, dass es nicht auffällt. Besonders geschickt stellte sich dabei Rembrandt an; bei ihm frisst das allgemeine Dunkel seiner Bilder den Schatten auf.

In den weiteren Kabinettstücken zeigen sich die Unterschiede zwischen Sonnen- und Mondschatten oder zwischen einzelnen und mehreren Lichtquellen im Bild. Mitunter entpuppt sich der falsche Schatten dann doch wieder als bewusste List: Auf einer „Anbetung der Hirten“ ist das Jesuskind auf den ersten Blick die hellste Lichtquelle im Raum; doch verraten Schatten, dass der Stecher Schelte Adams Bolswert die lichtspendende Kerze hinter einem Eselskopf versteckte. Offenbar treten christliche Motivlehre und realistische Darstellung hier bereits in Konkurrenz.

Doppelt falsche Schatten im Höhlengleichnis

Bolswert stach die Hirten um 1640 und damit zu der Zeit, als die optische Wissenschaft das Rätsel des Schattenwurfs allmählich zu entschlüsseln begann. Rund 40 Jahre älter ist das zentrale Werk der Ausstellung: Jan Saenredams Fassung des platonischen Höhlengleichnisses (eine Leihgabe der Kunsthalle Bremen).

Auf dieser Graphik wirken die Höhlengefangenen, denen die Welt lediglich als Schattenwurf erscheint, eher wie das Publikum eines Theaters. Das Schattenspiel vor ihren Augen ist gleich doppelt falsch und – das ist die kuratorische Pointe – nicht für die Höhlenbewohner im Bild, sondern für uns, die Betrachter inszeniert. Das Trugbild soll uns durch seine Fehler die Augen öffnen.

Roths Ausstellung gleicht einem philosophischen Exkurs mit kuriosen, aber nicht weniger erhellenden Abwegen. So wirft auf einer Radierung von Pietro Testa ein Himmelsgeschöpf sogar einen Schatten auf den Regenbogen, und bei einer Szene im Schlafgemach ließ der Zensor ein im Vordergrund kopulierendes Tierpärchen herausschneiden.

Ein übersehener Schatten erinnert noch an die Unzucht, die sich zum Glück erhielt und von Roth geradezu triumphierend aus dem Hut gezogen wird. Am Ende dieser erstaunlichen Rundreise fragt sich der Besucher, wie oft die Künstler das Schattenproblem wohl als Freibrief für ihre kompositorischen Vorlieben nahmen.

Im Katalog geht Tim Otto Roth dieser Frage auf den Grund, indem er spekuliert, warum Leonardo und andere Meister aus eigener Anschauung gewonnene Erkenntnisse über den Schatten für falsche Annahmen zurückgestellten. Seine Antwort: Zu Zeiten Leonardos bildete die Erde nach allgemeiner Auffassung noch das Zentrum des Universums und die Sonne war ein am Himmel aufgehängtes Licht. Die Schatten passten nicht in dieses Weltbild – und so ließ man sie im Sinne einer scheinbar höheren Ordnung fallen.  

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