Wolfgang Niedecken über Kunstprojekt„Am Rhein fühle ich mich aufgehoben“

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Wolfgang Niedecken im Pressehaus

Wolfgang Niedecken im Pressehaus

  • Am 29. Oktober 1949 erschien der „Kölner Stadt-Anzeiger“ erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg.
  • Zu diesem Jubiläum ist ein Kunstprojekt mit Wolfgang Niedecken entstanden.
  • Mit ihm sprachen wir über über sein besonderes Verhältnis zum Rhein, seine Anfänge als bildender Künstler sowie die Liebe zur Musik und zu Zeitungen.

Herr Niedecken, der Rhein steht im Zentrum des Kunstwerks „Noh all dänne Johre“, das anlässlich des Jubiläums des „Kölner Stadt-Anzeiger“ entstanden ist. Was bedeutet Ihnen der Fluss?

Sehr viel. Den Rhein kann ich therapeutisch für mich nutzen. Ich setze mich ans Ufer und kann plötzlich wieder klar denken. Das kennt wohl jeder, der schon mal auf vorbeifließendes Wasser geguckt hat. Da gibt es dann keine Ablenkung, da setzt eine große Beruhigung ein. Du schaust auf den strömenden Fluss und wirst Dir einmal mehr bewusst: Panta rhei – alles fließt, alles ist vergänglich. Ich fühle mich dann mehr als sonst wie ein Teil in dieser unendlichen Zeit. Die Empfindung, die ich am Rheinufer habe, ist für mich vergleichbar mit derjenigen, die ich in einem schönen Wald habe – ich fühle mich aufgehoben. Das macht einen auch bescheiden.

Der Rhein kam als Motiv auch schon einmal in einem Ihrer Kunstwerke vor.

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Richtig. Das Kölnische Stadtmuseum hat damals die Arbeit „Köln, am Rhein“ angekauft, die 1986/87 entstanden ist. Das waren 24 Polaroidfotos von den Kreuzen, die die halben Kilometer zeigten, sowie von einigen Kilometersteinen. Aber das war etwas ganz anderes als die neue Arbeit. Damals ging es nur um einige wenige Steine, und der Bildausschnitt war jeweils sehr eng gefasst. Auch habe ich die Strecke mit dem Fahrrad abgefahren.

Jetzt sind die Fotografien von Tina Niedecken vom Fluss aus entstanden.

Die Perspektive ist nun viel konsequenter, finde ich. Du guckst ganz anders auf den Rhein, wenn Du mittendrin bist. Auch wäre es eine Schande gewesen, nur einen engen Ausschnitt zu wählen. Das haben wir schnell festgestellt. Mein Eindruck ist, dass mein Storytelling in der Musik mittlerweile überschwappt in meine bildende Kunst. Wenn jetzt nicht nur die Architektur des Steines zu sehen ist, sondern irgendwo auch noch ein Mensch, dann entspricht mir das mehr. Immerhin habe ich ja viel mit den Menschen zu tun.

Sie bekennen sich immer wieder zu Ihren „Göttern“ in der Musik – also zu Beatles, Stones, Kinks und Dylan. Gibt es ein solches Quartett für Sie auch in der Malerei?

Schöne Frage. Darüber muss ich erst einmal nachdenken. Auf jeden Fall gehört Hieronymus Bosch mit seinen Horrorvisionen dazu. Matisse habe ich immer wegen seiner Leichtigkeit gemocht. Von den modernen Künstlern muss unbedingt Joseph Beuys in dieses Quartett hinein, weil er einen völlig neuen Kunstbegriff eingeführt hat. Und ein bisschen aus Sentimentalitätsgründen Larry Rivers, weil der für mich der erste berühmte Mensch war, den ich kennengelernt habe. Er war der wichtigste Maler der Beat-Generation und einer der Ur-Väter der Pop-Art. Bei dem habe ich 1974 in New York gewohnt, als ich komplett pleite war und ungefähr fünf Dollar pro Tag zur Verfügung hatte. Der Larry war sehr fürsorglich und hat mir Jobs gegeben, damit ich über die Runden kam.

Wie sind Sie überhaupt zur bildenden Kunst gekommen?

Als Kind habe ich schon viel gezeichnet und gemalt. Nachdem ich dann vom Gymnasium geflogen bin – weil ich die Schule nur noch als „Gasthörer“ besucht hatte – ging es darum: Was wird aus dem Mann? An der Kölner Werkschule (F.H.B.K.) konnte man eine Aufnahmeprüfung für das Studium der Freien Malerei machen, für die das Abitur nicht Voraussetzung war. Ich hätte auch Musik studieren können, wenn ich jemals ein Instrument von der Pike auf gelernt gehabt hätte – habe ich aber nicht. Als das mit der Musik losging, als ich so 14, 15 Jahre alt war, da hatten andere schon Klavierunterricht gehabt und Noten gelernt. Ich nicht. Ich habe mir nur die wichtigsten Akkorde draufgeschafft. Das ist das Tolle am Rock’n’Roll, dass er so proletarisch ist, so demokratisch. Da kommt man im Zweifelsfall mit drei Akkorden durch.

Gab es für die Malerei eine familiäre Prägung?

Mein Großvater war Kirchenmaler. Das war ein Künstler, der sehr darunter gelitten hatte, dass er seine kinderreiche Familie als Maler und Anstreicher ernähren musste. Der ist eine Woche vor meiner Geburt im Severinsklösterchen gestorben. Angeblich habe ich genau seinen Habitus und auch genau seine Hände. Meine Mutter wäre gerne Modezeichnerin geworden, aber wenn man 1920 geboren wurde, war man 19, als der Zweite Weltkrieg losging … Sie hatte Verständnis für meine Schnapsideen und hat mich immer voll unterstützt.

Auch das Malerei-Studium an der Fachhochschule hat sie befürwortet?

Das fand sie super. Ganz anders als mein Vater. Dem wäre lieber gewesen, wenn ich mich darum bemüht hätte, Rechtsanwalt zu werden. Ich war ungeheuer glücklich, als ich die Aufnahmeprüfung bestanden hatte. Ich ging über den Chlodwigplatz in Richtung Ubierring und dachte: The Sky Is The Limit. Erst hatte ich meinen Eltern noch versprochen, ich wolle Werbegrafiker werden, aber kaum hatte ich kapiert, wonach mir wirklich war, konnte ich nichts anderes machen als freie Malerei.

Egal ob brotlose Kunst oder nicht …

Das war mir egal. Die Musik wollte ich aufgeben, um die Malerei konsequent voranzutreiben. Es ging mir dabei auch darum, den Eltern zu zeigen, dass ich als Student kein Bohème-Leben anstrebte und permanent in der Kneipe herumhängen wollte. Wir hatten in Professor Dieter Kraemer einen sehr guten Lehrer, der es uns vor allem ermöglicht hat, dass wir uns gegenseitig etwas beibringen konnten. Vor allem haben wir von den älteren Semestern lernen können. Ich war auch wirklich ein sehr fleißiger Student. Ich stand schon morgens zwischen 9 und 10 Uhr an der Staffelei. Relativ früh gab es dann auch schon Ausstellungen.

Die erste war wo?

Das war 1973 in der Galerie Witte an der Zülpicher Straße. Der Besitzer hatte wohl eine Erbschaft gemacht. Was der ausstellte, war nichts Besonderes, aber die Räume waren gut. Schmal Boecker und ich sind zu dem hin, haben uns als Produzentengemeinschaft Ars vorgestellt und ihm vorgeschlagen, das Programm in der Galerie zu gestalten. Darauf hat der sich eingelassen. Ja, und das ging dann so weiter. Aber ich musste mich irgendwann entscheiden – denn da gab es auf einmal auch die Band.

War das ein schwieriger Prozess?

Nein, denn als 1979 das erste BAP-Album erschien, hätte ich doch nie gedacht, dass ich auch noch 40 Jahre später in dieser Band spiele. Meine Erwartung war, dass ich ein, zwei Jahre mit BAP am Wochenende unterwegs wäre und dann wieder zur Malerei zurückehren könnte. Aber das ist dann doch etwas anders gelaufen. Und immer, wenn ich in den folgenden Jahren so einen gestalterischen Impuls verspürte, rief ich mich zur Ordnung. Denn ich will mich ja nicht verzetteln.

Wenn man sich Ihre frühen Arbeiten ansieht, spielen darin Zeitungen eine erhebliche Rolle.

Ja, Zeitungen und Schriften haben mich immer interessiert – nicht nur für den Hausgebrauch, sondern auch als Motiv.

Und was bedeutet Ihnen die Zeitung im Alltag?

Ich lese viel Zeitung. An der Krise der Zeitungen bin ich jedenfalls unschuldig. Ich schätze schon sehr den Qualitätsjournalismus, der geboten wird, anders als etwa den Häppchen-Journalismus. Wenn ich sehe, wie man Nachrichten verkürzen kann, dann macht mich das wahnsinnig. Natürlich kannst Du Dich im Netz über alles Mögliche sehr schnell und umfassend informieren. Aber es braucht auch eine Einordnung. Und ich mag die ausrecherchierte, Hintergrund liefernde Geschichte.

Obwohl die Konzentration zuletzt BAP gegolten hat, gab es doch das eine oder andere bildkünstlerische Projekt.

Ja, da denke ich an die „Tagesbilder“ von 1985, die Wulf Herzogenrath im Kölnischen Kunstverein ausgestellt hat. Anschließend kam die Galeristin Inge Baecker auf Schmal Boecker und mich zu. Wir haben dann mit den „Neuen Souvenirs“ einen Neu-Anfang gewagt. Aber wie gesagt – da war ja noch die Band. Ich habe später immer wieder mal etwas in diesem Bereich gemacht. Aber das war dann eher für den Hausgebrauch und kam nicht in die offizielle Wertung.

Aber das Kunstwerk zum Jubiläum des „Kölner Stadt-Anzeiger“ kommt doch sicher auch in die Wertung?

Auf jeden Fall.

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