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Zocken mit dem MundWie ein Gelähmter durch E-Sport zum Superhelden wird

Lesezeit 7 Minuten
Dennis Winkens 2

Dennis Winkens spielt trotz seiner Lähmung mit anderen E-Sports

  • Dennis Winkens kann sich seit einem Mountainbike-Unfall nicht mehr bewegen. Sport macht er trotz seines Schicksals – in einem E-Sports-Team. Da er seine Hände nicht benutzen kann, spielt er mit dem Mund.
  • Die Debatte, ob es sich bei E-Sports um einen „richtigen Sport“ handelt, gibt es weiterhin. Für Menschen wie Dennis Winkens ist E-Sport aber eine große Chance. Wir haben ihn besucht.

Lifeline rennt. Vor einigen Sekunden noch durch eine Wiese voller lilafarbener Blumen, jetzt balanciert er auf einer schmalen Brücke. Im Hintergrund sind Schüsse zu hören. „Pass auf, da ist einer hinter dir“, schreit Teamkollege Daniel. Lifeline springt einige Meter in die Tiefe, landet auf beiden Beinen, versteckt sich in einer Ecke und hört Schritte im Kies – das gegnerische Team kommt näher. Er zieht die Beine an, macht sich so klein wie möglich, wieder ein Schuss, er zieht seinen Kopf ein.

Auch Dennis Winkens zieht seinen Kopf für einen Moment ein, sein Mund klebt dabei immer noch an seinem Gaming Controller, mit dem er seinen Spielcharakter Lifeline steuert. An der Decke hängen zwei große Bildschirme. Winkens liegt im Bett, den Oberkörper durch zwei Kissen erhöht, zugedeckt mit einer hellblauen Decke, die mit dem Gesicht des Spielhelden Super Mario bedruckt ist. Winkens kann sich nicht mehr bewegen. Lifeline schleicht an einen Gegner heran. Und wird im nächsten Moment getroffen. Game Over.

Dennis Winkens: E-Sportler mit dem Mund

„Mutter?“, ruft Dennis, „Ich würde gerne kurz was trinken“. Seine Mutter kommt ins Zimmer, nimmt das Glas mit Wasser in die Hand, steckt einen Strohhalm hinein und führt ihn zu Winkens Mund. „Kurze Pause?“ fragt er seine zwei Mitspieler durch das Mikro, das an seiner linken Bettkante montiert ist. Winkens Kopf liegt in der Mitte eines Halbkreises, der aus verschiedenen, verstellbaren Halterungen besteht. Daran befestigt sind ein Tablet, Leuchten sowie sein Gaming Controller.

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Penta Bcon

Die Tetraplegie ist eine Form der Querschnittslähmung, die auf eine Schädigung des Rückenmarks – meist nach einem Unfall – zurückzuführen ist. Allerdings sind nicht nur die Beine, sondern auch die Arme betroffen.

Penta Bcon aus Berlin gründete im Sommer das erste E-Sport-Team für Spieler mit Handicap.

Das E-Sport-Team trat erstmals im Rahmen der Gamescom 2019 in Köln mit dem Electronic-Arts-Spiels „APEX Legends“ an.

E-Sport – ist das wirklich Sport oder doch einfach nur Gaming? Die Frage wurde in den letzten Monaten, sowohl von der Politik, als auch von verschiedenen Sportverbänden, Ärzten und Gamern selbst diskutiert. Während ein vom Deutschen Olympischen Sportbund in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten die Anerkennung von E-Sport als Sport , mit der Begründung, Sport sei durch die „langjährige Rechtssprechung im traditionellen Sinne der Anforderungen an die Körperlichkeit konkretisiert“, ablehnt, spricht die Bundesregierung von einer olympischen Perspektive. „Wir können uns der Wirklichkeit stellen und uns fragen, welche Möglichkeiten die neuen E-Sportarten gerade für Menschen bieten, die sich nur eingeschränkt körperlich betätigen können wie ältere oder körperlich behinderte Menschen“, sagte die Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung, Dorothee Bär (CSU).

Behindertensportverband erkennt E-Sport ausdrücklich als Chance an

Auch der Deutsche Behindertensportverband (DBS) erkenne, laut Annett Chojnacki-Bennemann, Leiterin des Berliner Büros, die besonderen Chancen von E-Sport ausdrücklich an. „Für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen bedeutet E-Sport auch mehr Teilhabemöglichkeiten bezüglich eigener Aktivitäten und sozialer Interaktion“, so Chojnacki-Bennemann.

Vor 14 Jahren hatte Winkens einen Mountainbikeunfall. Seitdem kann er weder seine Arme noch seine Beine bewegen. Mobil ist Winkens nur durch seinen Rollstuhl, den er über einen Kopfsensor steuert. Tetraplegie wird seine Krankheit in der Medizin genannt. Seit diesem Sommer trainiert Winkens mit zwei anderen Spielern mit Handicap in der Penta.bcon Mannschaft. Penta, eines der erfolgreichsten E-Sports-Teams in Deutschland, hat nationale Meister sowie Weltmeister aus verschiedenen Disziplinen des E-Sports in seinen Reihen. Dass Winkens in eines dieser Teams aufgenommen wurde, gibt ihm neuen Selbstwert und das Gefühl auch in seinem körperlichen Zustand noch Erfolgserlebnisse haben zu können. Gleichzeitig setzt ihn die Aufgabe aber auch unter Druck, sich zu verbessern: „Aber genau das macht doch einen Sport aus“, meint Winkens. „Das eigene Potenzial steigern, eigene Grenzen austesten und sich in neue Sachverhalte reindenken“.

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Auch laut Ingo Froböse, Leiter des „Zentrums für Gesundheit durch Sport und Bewegung“ der Deutschen Sporthochschule Köln, biete der E-Sport die wesentlichen Kriterien, die auch echten Sport ausmachen: „Wettkampfcharakter: Spiel, Spannung und Spaß“, sagt Froböse: „Beim E-Sport haben die Spieler dauerhafte Muskelanstrengungen, es werden Stresshormone wie beim Elf-Meter-Schießen ausgeschüttet.“

Dennis Winkens: Früher Mountain Bike, heute E-Sport

Früher ist Winkens Mountainbike gefahren, speziell Dirt Bike und Parcours. Er trainierte sein Gleichgewicht, hüpfte nur mit dem Hinterrad von einem zum anderen Hindernis: „Ich war extrem viel unterwegs“, sagt er. Nach dem Training war er manchmal richtig kaputt. Sowohl körperlich, als auch mental. Jetzt, beim E-Sport, sagt Winkens, konzentriere sich die ganze Anstrengung nur noch auf den Kopf. „Ich muss taktisch denken, konzentriert sein und extrem schnell reagieren.“

Froböse hat jahrelang mit schwer körperlich behinderten Menschen gearbeitet und ist sich sicher: „Jeder Mensch, egal wie stark körperlich eingeschränkt, hat Schätze, die er nutzen kann“. Wichtig sei vor allem, diese zu kennen und zu trainieren.

Die Ressourcen von stark körperlich behinderten Menschen könnten besonders beim E-Sport gefördert werden. Klassischen Sport solle aber E-Sport natürlich nie ersetzen. Auch körperlich behinderte Menschen sollten auf die körperliche Bewegung nicht verzichten. Winkens findet nicht, dass Gaming das frühere Gefühl beim Biken ersetzen kann. Genau so wenig vergesse er während dem Spielen für mehr als ein paar Sekunden, dass er bewegungslos im Bett liegt. Nur bei Bike-Simulationsspielen „kann ich richtig spüren, wie ich das Gewicht verlagern muss, wie ich meinen Körper nach rechts lege, wenn ich mich in eine Kurve lasse“.

Gaming-Controller mit drei dünnen Röhrchen

Seinen Spielcharakter steuert Winkens über einen speziellen Gaming Controller. Er ist direkt vor seinem Kopf positioniert und hat drei Öffnungen, an welchen dünne Röhren hängen. Winkens kann daran ziehen oder hinein pusten. Jede dieser Öffnungen kann mit vier Befehlen belegt werden, insgesamt ergeben sich zwölf Möglichkeiten, plus einigen Kombinationen, wie beispielsweise zu rennen und währenddessen zu schießen. Je nach Spiel kann Winkens die Befehle verändern. Wenn er leicht an dem rechten Rohr zieht, fängt Lifeline an zu springen, zieht er stärker, rennt sie. Pustet er nur leicht, gibt Lifeline einen Schuss ab. Die Krankenkasse übernimmt die Kosten für einen solchen Gaming Controller nicht. „Mit Gaming haben sie nichts zu tun, heißt es immer“, sagt Winkens. Dementsprechend schwierig war es, eine Kostenübernahme durch die Kassen zu erreichen.

Oft filmt sich Winkens beim Spielen und streamt all das ins Netz. Später im Chat liest er dann die Kommentare: „Was? Wie Krass! Ich habe gegen jemanden verloren, der mit dem Mund spielt?“

„E-Sport ist maximal inklusiver Sport“, sagt Froböse. Es gebe kaum eine Sportart, die so international, unabhängig von Religion, Zeitzonen und körperlicher Verfassung betrieben werden könne. Auch Winkens ist überzeugt: „E-Sport holt Menschen aus der Einsamkeit raus“.

Streaming und E-Sport: Digitales Grundbedürfnis

„Digitale Spiele können ein Grundbedürfnis nach zwischenmenschlichem Kontakt und nach Anerkennung durch die anderen Mitspielerinnen und Mitspieler erfüllen“, sagt Sven Hulvershorn von der Landesanstalt für Medien NRW. Natürlich sei das Potenzial der exzessiven Nutzung eines digitalen Spiels bei Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung genauso gegeben, wie bei Menschen ohne. Problematisch werde es erst, wenn sich das komplette Leben nur noch um das Spiel drehe und es keine anderen Aktivitäten mehr gibt, sagt Hulvershorn.

Nach seinem Unfall war Winkens ein knappes Jahr im Krankenhaus, dann aber machte er sein Fachabitur und im Anschluss eine Lehre zum Bürokaufmann. Immer wieder lernte er neue Menschen kennen, doch die Kontakte verliefen sich. Auch die Kneipen in einem Heimatort Viersen, in die Winkens noch ging, schlossen nach und nach. Das soziale Netzwerk wurde immer kleiner, die Möglichkeiten etwas zu unternehmen, immer weniger. Erst vor zwei Jahren, als ihn ein Bekannter darauf aufmerksam machte, dass es auch einen Controller gibt, mit dem man ohne Hände spielen kann, entdeckte er ein neues Hobby.

Er gründete den Youtube-Kanal „Wheely World“ mit dem Untertitel: „Alles reine Kopfsache“. Auch dort streamt er seine Spiele. Viele Zuschauer schrieben ihn an, fragten nach Tipps oder wollten einfach plaudern. Dadurch lernte er viele neue Leute kennen, „die ich sonst nie kennen gelernt hätte“. Einige besuchen Winkens, mit den meisten spricht er aber online, nach den Spielen, auch über ganz alltägliche Dinge. Dennis nennt das: „Virtuellen Kaffeeklatsch“.

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