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Zukunft des Journalismus„Verschenken von Informationen erzeugt keine Wertschätzung“

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Karikatur von Jack Ohman zur Lage der amerikanischen Zeitungen. Die deutsche Übersetzung lautet: „Hast du den Artikel über all die Zeitungen in unserer Region gelesen, die untergehen, weil die Leute sie nicht mehr abonnieren?“ Antwort: „Nein“.

Karikatur von Jack Ohman zur Lage der amerikanischen Zeitungen. Die deutsche Übersetzung lautet: „Hast du den Artikel über all die Zeitungen in unserer Region gelesen, die untergehen, weil die Leute sie nicht mehr abonnieren?“ Antwort: „Nein“.

Herr Professor Meier, die Digitalisierung stellt die Verlage vor große Herausforderungen. Die Tageszeitungen kämpfen mit sinkenden Auflagen. Welche Bedeutung hat eine lokale Berichterstattung für die Demokratie?

Lokalzeitungen und lokale Demokratie sind zwei Seiten einer Medaille. Seit sich Demokratie entwickelt hat, hat sich auch lokale Öffentlichkeit entwickelt. Es ist nicht vorstellbar, das eine vom anderen zu trennen. Lokalzeitungen haben im Kern drei Aufgaben: Sie sollen Orientierung bieten in der Informationsvielfalt, die auf uns einprasselt.

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Zweitens sollen sie Teilhabe an Öffentlichkeit und Politik ermöglichen und zu einer regionalen Identität und Heimat beitragen. Es stärkt die Bürger, wenn sie sich einer Region zugehörig fühlen. Auch die dritte Aufgabe, das Wächteramt, kann man nur durch unabhängig finanzierten Journalismus erfüllen.

Die USA gelten oft als Negativbeispiel. Dort gibt es viele Regionen, in denen keine Tageszeitung mehr erscheint. In Skandinavien hingegen gelingt es Verlagen, auch im Internet Geld mit ihren Inhalten zu verdienen. Welche Lehren kann man aus solchen Entwicklungen für Deutschland ziehen?

Der Vergleich mit anderen Ländern ist immer schwierig, weil die Rahmenbedingungen andere sind. Das Schreckgespenst USA droht uns sicher nicht in dieser Radikalität. Positive Beispiele aus Skandinavien und etwa Spanien kann man allerdings auch nicht eins zu eins übertragen. Wir sehen aber, dass der Weg zu Bezahlmodellen funktionieren kann. Man muss einen langen Atem haben.

Wenn ein Modell nicht funktioniert, muss man es verändern. Und man muss immer wieder den Wert des Journalismus erklären. In skandinavischen Ländern gibt es eine stärkere Tradition, unabhängigen Journalismus und Pressefreiheit zu achten und zu schätzen – auch von Seiten der Politik. Da haben wir sicher Nachholbedarf, zum Beispiel indem wir den Wert des Journalismus etwa in der Schulbildung stärker verankern.

In Deutschland gibt es erste Erfolge mit journalistischen Bezahlmodellen im Internet, viele Angebote tun sich aber noch schwer.

Das Problem hat damit begonnen, dass früher viele Inhalte verschenkt wurden und an eine alleinige Werbefinanzierung geglaubt wurde. Es ist schwierig, die Menschen jetzt dazu zu bringen, den Wert der digitalen Information auch dadurch wertzuschätzen, dass sie dafür bezahlen. Aber ich sehe keine Alternative. Denn das Bezahlen bedeutet ja auch, dass mir diese Information wichtig ist und ich sie schätze. Das Verschenken von Informationen erzeugt keine Wertschätzung.

Zur Person

Klaus Meier ist seit 2011 Professor für Journalistik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt – davor war er an der Technischen Universität Dortmund und der Hochschule Darmstadt.

Meier ist Autor und Herausgeber verschiedener Lehrbücher zur Journalistik. Er studierte Journalistik und Kommunikationswissenschaft, Politikwissenschaft, Philosophie und arbeitete auch als Journalist. (Foto: Klenk)

Werden die Leser dadurch, dass immer mehr Medienhäuser ihre Inhalte im Netz nicht mehr kostenlos zur Verfügung stellen, für das Thema sensibilisiert?

Ich denke ja, und dieses Bewusstsein ist auch sehr wichtig. Es geht um diesen Dominoeffekt. Wenn immer mehr journalistische Angebote Bezahlmodelle einführen, stolpert man im Internet vermehrt darüber. Es ist ein sehr komplexes und vielfältiges Thema.

Es gibt nicht das eine Modell, das für alle Verlage, alle Plattformen und alle Themengebiete funktionieren wird. Aber ich bin optimistisch, dass die Menschen bereit sind zu bezahlen, wenn sie merken, wie wichtig es ist, dass man verlässliche lokale Informationen bezieht – und wenn Sie qualitätsbewusste Redaktionen und praktikable Bezahlmodelle vorfinden.

Im Internet kann aber auch jede Privatperson eine eigene, kostenlose Nachrichtenseite starten.

Es gibt ja Beispiele, wo sich etwa freie Journalisten zu kleinen Online-Redaktionen zusammenschließen, und das funktioniert auch in vielen Fällen. Aber im Großen und Ganzen sind das Nischen, die eine Ergänzung zur Lokalzeitung sind. Lokalzeitungen durch solche Eigeninitiativen zu ersetzen, ist nur begrenzt möglich, wenn man das nicht hauptberuflich tun kann. Denn nur dann kann man sich komplett auf diese Aufgabe, die wichtig ist in unserer Gesellschaft, konzentrieren.

Warum ist die Hauptberuflichkeit so wichtig?

Hauptberuflichkeit bedeutet, sich nicht in Abhängigkeit begeben zu müssen, professionell unabhängig zu sein und kein Sprachrohr für bestimmte Interessen zu sein. Natürlich können Bürger aus ihrem eigenen Interesse heraus für bestimmte Themen Öffentlichkeit herstellen, und das ist auch gut und legitim, aber wir brauchen im Netz trotzdem einen unabhängigen Journalismus, der das mit einer gewissen Distanz einordnet, unterbelichtete Themen aufgreift und Missstände aufdeckend recherchiert.

Wie können Zeitungen im Internet deutlich machen, dass ihre Inhalte journalistische Qualitätskriterien erfüllen und andere eben nicht?

Da ist das entscheidende Stichwort Transparenz. Wir müssen uns bewusst sein, dass Transparenz ein unglaublich wichtiges Merkmal für guten Journalismus geworden ist. Sie bedeutet im Detail, dass man aufzeigt, woher man seine Informationen hat, wie man recherchiert hat und das auch gerade bei konfliktbeladenen Themen offen legt.

Für das redaktionelle Handeln bedeutet es auch zu erklären, warum dieses oder jenes Thema größer aufgegriffen wird und ein anderes kleiner. Man muss die Zugbrücke der Festung herunterlassen, die Fenster und Türen aufmachen und die Menschen in das redaktionelle Handeln hineinschauen lassen. Das hätte uns vor dem Internet-Zeitalter auch nicht geschadet, war aber nicht so dringend nötig wie heute.

Welche Aufgaben sollten Journalisten außerdem im Internet erfüllen?

Journalisten müssen im Internet eine neue Rolle übernehmen. Es geht darum Menschen und Informationen zu vernetzen, also zu kuratieren, bewusst zu schauen und zu verlinken, wo sind wertvolle Informationen, Erfahrungen und Stellungnahmen, auch von Menschen, die keine Journalisten sind. Dann schaffen Redaktionen lokale Plattformen, die den Menschen Teilhabe und Beteiligung ermöglichen. Da ist noch viel Potenzial im Lokaljournalismus. Damit noch mehr Menschen sagen, das ist meine Zeitung, meine Plattform. Für die bezahle ich, aber ich bin auch Teil dieser Zeitung. Nicht nur als Abonnent, Käufer und Leser, sondern auch als jemand, der etwas beitragen darf: vom Themenvorschlag über einen Erfahrungsbericht bis zu einem Meinungsbeitrag.

Die Leser müssen stärker eingebunden werden?

Das muss man so sehen. Wobei die Hauptberuflichkeit natürlich ein Alleinstellungsmerkmal ist. Da ist immer eine Abgrenzung zwischen der journalistischen Tätigkeit und den Bürgern, die sich an Meinungsbildung im Internet beteiligen. Das wird immer ein Austarieren sein: Was können Bürger beitragen, und was können nur Journalisten? Es geht um das Finden der Rollen. Das Modell Elfenbeinturm ist definitiv zu Ende. Aber das neue Modell zu finden, das finanziell funktioniert, das vertrauens- und glaubwürdig ist, das auf ein Miteinander hinausläuft, in dem man gemeinsam lokale Öffentlichkeit schafft, die verantwortlich Demokratie befruchtet, dieses Modell ist noch nicht so deutlich sichtbar, daran müssen wir alle arbeiten.

Wie groß ist der Druck, ein solches Modell zu finden?

Ein paar Jahre kann das alte Modell schon noch gut gehen, aber man braucht für solche Umstellungsprozesse Zeit. Das betrifft letztlich alle verlegerischen Aktionen und alle redaktionellen Tätigkeiten. Der Druck für die Zeitungsverlage und Redaktionen, sich voll und ganz auf digitale Verbreitungswege einzulassen und sich nicht mehr auf das gedruckte Blatt zu fokussieren, ist sehr groß.

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