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Kurios, turbulent, dramatisch und verrückt

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Als Erinnerung an die Meisterschaft bekam das Team eine Uhr mit Gravur.

Leverkusen - Eine Definition zur Uhr lautet: „Die Uhr - von mittelniederdeutsch: or(e), aus lateinisch: hora (die Stunde) - ist ein Instrument, mit dem die Zeit gemessen und angezeigt wird. So weit, so gut. Auch Otto Reintjes, Abteilungsleiter der Bayer Giants Leverkusen, ist Besitzer einer Uhr, doch das Exemplar des 51-Jährigen ist kein 08 / 15-Gerät. Es ist aber auch keine Rolex oder eine ähnlich sündhaft teure Ausführung. Die Auflage der Reintjes-Uhr ist wahrscheinlich dennoch geringer als die fast aller anderen Armbanduhren. Inklusive Edel-Marken.

Reminiszenz an Reiter

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„Wir haben damals 20 Stück bestellt und die sind in der Schweiz angefertigt worden“, erinnert sich der Basketball-Abteilungsleiter. Also immerhin made in Suisse, was bei Uhren schon als Qualitätsausdruck gilt. Aber ist dies das Besondere an der Uhr mit dem Metall-Armband? Und überhaupt, wann war „damals“? „Diese Uhr haben wir 1985 als Erinnerung und Auszeichnung geholt“, so Reintjes. Auszeichnung, wofür? „TSV Bayer 04 Leverkusen Deutscher Meister 1985“ ist auf dem Ziffernblatt zu lesen und damit ist vieles erklärt. Erinnerung, Auszeichnung - in Ordnung. Kann man nachvollziehen. Aber warum nur trägt ein der Zukunft zugewandter Mann wie Reintjes diese Uhr mit einer Hingabe, „dass ich jeden Morgen, wenn ich die Uhr anziehe, an diese Meisterschaft und an einen besonderen Menschen denken muss?“

Der Basketball-Chef holt aus: „Diese Meisterschaft war die verrückteste in der Geschichte der Bayer-Basketballer und zugleich ist sie für mich untrennbar verbunden mit Achim Reiter, der damals als Co-Trainer einen wesentlichen Beitrag zu diesem Triumph leistete.“ Und weiter: „Achim war über viele Jahre hinweg ein guter Freund und Weggefährte. Er ist leider viel zu früh verstorben. Damals hatten wir beide diese Uhr für die Mannschaft und die engsten Begleiter zusammen ausgesucht und so kommt mir beim morgendlichen Anblick der Uhr auch immer Achim Reiter in den Sinn,“ erzählt Reintjes.

Umso größer ist daher auch die Bedeutung dieser Meisterschaft in der Saison 1984 / 1985, die als eine der kuriosesten, turbulentesten und dramatischsten Spielzeiten aller Bundesliga-Jahrzehnte in Leverkusen gilt. Der TSV Bayer 04 Leverkusen, unter diesem Namen traten die ehemaligen „TuS 04“-Basketballer erstmals an, hatte Holger Arpe (Saturn Köln), Paul Hamilton (MTV Wolfenbüttel) und Tom Norwood (USC Heidelberg) als Verstärkungen verpflichtet und wollte unter Trainer Chris Lee nach 1979 endlich wieder einen Meistertitel holen. Der erste Rückschlag stellte sich früh ein: Zwischen Heidelberg und Bayer entwickelte sich eine heftige Auseinandersetzung um Tom Norwood, die bis zum Saisonende andauerte. Am Ende der Spielzeit hatte Norwood keine Sekunde gespielt.

Der sportliche Auftakt ging mit drei Niederlagen in Folge auch gründlich daneben, so dass sich Bayer ganz schnell am Tabellenende wiederfand. Bis Anfang November hatten Uwe Brauer, Stephan Baeck, Christoph Körner, Lars Stinshoff und Kollegen zwar einiges an Boden wieder gut gemacht, doch zwei peinliche Pleiten hintereinander sorgten Mitte November für die Ablösung von Chris Lee als Head-Coach. Manager Otto Reintjes sprang in die Bresche und übernahm zusammen mit Achim Reiter, der bereits unter Lee als Co-Trainer tätig war, das wankelmütige Team.

Bis Januar, zum Beginn der damals noch stattfindenden Zwischenrunde, hatten die beiden ihre Truppe immerhin auf den fünften Rang gebracht. Zum Auftakt der Runde gab es dann ein schon fast sensationelles 75:74 beim souveränen Tabellenführer Saturn Köln und anschließend wurde noch in der Kabine der US-Amerikaner Jim Kelly von Reintjes als neuer Coach vorgestellt. Durch einen wahren Kraftakt arbeitete sich Bayer in der Zwischenrunde hinter Saturn Köln noch auf den zweiten Rang vor und qualifizierte sich für die Halbfinal-Playoffs.

„Ein unglaubliches Jahr“

Dort setzte sich Leverkusen gegen Göttingen, Meister 1983 und 1984, mit 71:66 und 63:62 durch.

Im Finale tauchte überraschend der DTV Charlottenburg als Endspielgegner auf. In Berlin feierte das Kelly-Team ein 73:62, das am 27. März 1985 in der Dopatka-Halle mit einem weiteren Erfolg die sechste Deutsche Meisterschaft mit sich brachte. Vor 3000 Zuschauern setzten sich die Gastgeber 69:64 durch. „Das war in der Tat ein unglaubliches Jahr“, sagt Reintjes und stellt einen Vergleich zur Gegenwart an: „Auch damals hatten wir eine Durststrecke zu überwinden.“

Sollte es Reintjes mit Coach Achim Kuczmann gelingen, dieses Tief zu überwinden, wäre vielleicht irgendwann eine neue Uhr mit Gravur fällig. Und vielleicht würde Reintjes dann zwei Uhren tragen.

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