Intim-Massagen boomenWas eine Kölner Tantrastudio-Chefin an ihrer Arbeit liebt

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„Es ist widersinnig, den Intimbereich auszusparen. Schließlich steckt dort am meisten Lebensenergie“, meint die Leiterin des Ananda-Studios in Köln-Mülheim Martina Walser.

  • Gegenüber Tantra-Massagen, die im Intimbereich durchgeführt werden, gibt es viele Vorurteile.
  • Für manche ist diese Arbeit eine Form von Prostitution. In Köln gibt es zahlreiche Tantra-Studios.
  • Martina Weiser vom Ananda-Studio in Köln-Mülheim erklärt, warum sie ihre Arbeit wertvoll findet.

Köln – Frau Weiser, Sie machen Tantra-Massagen. Kommt es vielen nicht komisch vor, wenn ein Fremder sie an Penis oder Vagina anfasst?

MARTINA WEISER: Das liegt daran, dass der Berührungssinn in unserer Kultur nicht so verankert ist wie der Geschmackssinn. Essen und Schmecken haben in der Gesellschaft einen hohen Stand. Berührungen dürfen aber nur in festen Partnerschaften ausgetauscht werden. Das ist Quatsch. Wir vermitteln den Kunden, dass alles an ihrem Körper wert ist, berührt zu werden. Wir geben Geborgenheit und das Gefühl: Du bist in Ordnung. Dein Körper ist in Ordnung. Auch wenn er nicht perfekt ist.

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Unter diesem Hashtag präsentiert die Redaktion des „Kölner Stadt-Anzeiger” interessante, zeitlose Geschichten. Dieser Text ist im Jahr 2011 in der Zeitung erschienen.

Gut, aber muss ich für das Aufpolieren des Selbstwertgefühls meinen Intimbereich anfassen lassen?

WEISER: Nicht unbedingt. Aber auch Lust ist in Ordnung. Auch Lust darf sein. Ich war letztens mal bei der Kosmetikerin und als die mit einem warmen Tuch meine Brustwarzen berührte, hatte ich das Bedürfnis, lustvoll zu seufzen. Ich habe das aber unterdrückt, weil ich wusste: Lust hat bei der Kosmetikerin nichts zu suchen. Dabei ist das doch pervers, dass ich meine natürlichen Reaktionen ausgrenzen muss.

Kommt es Ihnen nicht manchmal selbst komisch vor, einen nackten Mann zu befriedigen?

WEISER: Nein. Ich bin bei der Arbeit auch nackt. Dadurch betreten beide einen rituellen Raum. Wir stehen auf einer Ebene. Es geht um die Natürlichkeit des Körpers. Es wäre für mich vollkommen undenkbar, bei der Arbeit Reizwäsche zu tragen.

Hat Tantra für Sie etwas mit Prostitution zu tun?

WEISER: Nein, ganz klar nicht. Ich mache ganzheitliche Massagen, die den Intimbereich auf natürliche Weise einbeziehen. Ich folge dabei einer klaren Struktur und wende fundierte Techniken an. Im Gegensatz zu Prostituierten biete ich mein Wissen und nicht meinen Körper an. Unsere Gäste bleiben in der passiven Rolle, sie bekommen eine Massage. Gerade diese passive Rolle ist für viele sehr ungewohnt, eröffnet aber ganz neue Erfahrungsräume.

Aber Sie massieren Ihre Kunden, bis die zum Orgasmus kommen.

WEISER: Ja, ich fasse sie an. Überall. Es ist für mich widersinnig, gerade den Intimbereich bei einer Massage auszuschließen. Schließlich steckt darin am meisten Lebensenergie.Reagiert Ihr Umfeld manchmal mit Befremden auf Ihren Beruf?Weiser Nein, die Menschen, die mir nah sind, sind da selbst sehr offen. Flüchtig Bekannten sage ich nicht immer, was ich genau mache. Letztens habe ich aber auf einer Party eine Frau kennengelernt, die zur Tantra-Massage geht und das offen erzählte. Das fand ich toll. Ich glaube, Tantra ist das Yoga des neuen Jahrtausends. In den 80ern haben viele Yoga für Hippie-Eso-Quatsch gehalten. Heute zahlt es die Krankenkasse.

Gibt’s Tantra bald auf Rezept?

WEISER: Wer weiß. Vorstellen kann ich mir das. Schließlich ist es auch eine Art Prävention für sexuelle Probleme.Kann Tantra-Massage denn die Sexualität in langjährigen Partnerschaften verbessern?

WEISER: Am Wochenende haben wir extrem viele Paare. Das Gute ist, dass beide passiv sein können. In langen Partnerschaften sind oft beide frustriert, gestresst, verletzt, fühlen sich hässlich. Niemand fängt dann an, den anderen wieder zu verehren. Hier werden die Ausgehungerten wieder aufgeladen, dann haben beide wieder Kraft für eine gute, bejahende Sexualität.

Lernen sie auch Techniken?

WEISER: Ja, allerdings gibt es dafür zusätzlich unser Berührungscoaching. Es gibt Menschen, die streicheln, als würden sie Butter auf ein Toastbrot streichen. Da steckt gute Absicht dahinter, es nützt dem Partner aber gar nichts. Diese Leute müssen lernen, wo und wie man den anderen anfasst, damit der es auch genießen kann.

Wenn ich zusehen würde, wo und wie die Masseurin meinen Freund anfasst, wäre ich wahrscheinlich erst einmal nur eifersüchtig.

WEISER: Wir fangen ja nichts an mit den Kunden. Alles bleibt professionell. Aber natürlich gibt es Verunsicherung. Deshalb raten wir unerfahrenen Partnern auch, die Massage in getrennten Räumen zu genießen. Sonst sind die zu abgelenkt. Da fragt sie sich dann, warum er jetzt ganz anders stöhnt als zu Hause. Und er denkt: Warum ist sie hier so laut und expressiv und bei mir ganz still? Das soll aber gar keine Rolle spielen. Jeder sollte sich auf seinen eigenen Körper, sein eigenes Geschenk konzentrieren. Anders als zu Hause muss sich der Kunde hier eben nicht noch um einen anderen kümmern.

Aber ich könnte mich ja auch in einer Partnerschaft verwöhnen lassen und mal nur genießen.

WEISER: In der perfekten Welt ist das so. Wenn wir uns frisch verlieben, bringen wir dem anderen diese Bejahung entgegen. Wir pflegen den anderen, verehren seinen Körper. Nach einiger Zeit gewinnen aber Stress, Verletzungen und Frustrationen wieder die Oberhand. Beide fühlen sich klein und hässlich, niemand macht den ersten Schritt. Körper und Seele sind ausgehungert nach Zuneigung.

Und werden wieder aufgeladen?

WEISER: Genau, es ist wie eine Akkuladung. Außerdem gönnen sich beide etwas unabhängig vom anderen. Das haben viele Paare verlernt. Sie haben den Wunsch, alles zusammen zu machen.

Gerade bei intimen Dingen ist dieser Wunsch doch verständlich.

WEISER: Ja, es nimmt der Partnerschaft aber die Tiefe. Der persönliche Austausch nimmt ab, die Beziehungen schlafen ein. Besser ist, man lässt dem Partner eine lange Leine und gibt ihm die Möglichkeit zurückzukommen.

Kann sich diese lange Leine nicht auch darauf beziehen, dass er alleine Fußball spielen geht und sie allein in den Urlaub fährt?

WEISER: Klar. Es gibt aber auch in der Sexualität Dinge, die in einer langjährigen Partnerschaft nicht gelöst werden können. Da ist oft zu viel Scheu im Spiel.

Zum Beispiel?

WEISER: Es kommen viele Männer ab Mitte vierzig zu uns, deren Potenz nachlässt. Sie sind sehr verunsichert, weil sie ihre Männlichkeit über die Erektion definieren. Sie haben keinen Plan B. Die Partnerin allein kann das manchmal nicht abfangen. Hier können diese Männer sich entspannen und eine andere Form der Erotik erleben, die dann auch in der Partnerschaft wieder angewandt werden kann.

Kommen auch Frauen zu Ihnen?

WEISER: Klar. Knapp vierzig Prozent. Oft geht es ihnen auch um Fragen, um Wissenslücken. Manche sind nicht sicher, ob sie überhaupt schon einmal einen Orgasmus hatten. Wo welche sensiblen Punkte genau sitzen. Hier kann man diese Unsicherheiten leichter zugeben als vor dem Partner, den man ja beeindrucken will.

Sollten Frauen nicht damit aufhören, dem Mann gefallen zu wollen?

WEISER: Sie hören meist auch damit auf. Allerdings erst später. Mit Mitte vierzig vielleicht. Junge Frauen sind oft sehr unsicher, dann bekommen sie Kinder und sind mit der Familie beschäftigt. Erst nach dem 40. Lebensjahr können viele mit ihrer Sexualität richtig durchstarten. Sie sind selbstbewusster, wissen, was sie wollen. Der Testosteronspiegel steigt.

Und sinkt blöderweise im gleichen Alter beim Mann.

WEISER: So ist es. Das muss nicht generell ein Problem sein. Wenn beide wissen, wie sie mit der Schwäche umgehen können. Was bei der Tantra-Massage erlernt werden kann. Dann kann Sexualität wieder erfüllt sein. Ein Jungbrunnen für die Beziehung. Nach gutem Sex mit einem Menschen, den man liebt, ist alles wieder am richtigen Ort.

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