Leserbriefe zur Nato-Erweiterung„Erdogan will sich Zustimmung versilbern lassen“

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Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan blockiert zurzeit die Aufnahme Finnlands und Schwedens in die Nato. 

Im Streit über eine Nato-Erweiterung ist ein neuer Deal mit der blockierenden Türkei nötig – Leitartikel von Matthias Koch (18.5.)

„Auf das Geschacher Erdogans einzugehen ist abwegig“

Das Agieren des türkischen Staatspräsidenten Erdogan hinsichtlich der Beitrittsgesuche von Finnland und Schweden zur Nato ist schlichtweg eine unwürdige Farce, außen- und sicherheitspolitisch schädlich und völlig inakzeptabel. Zum einen angesichts der angespannten und schwierigen gegenwärtigen Lage aufgrund des russischen Überfalls auf die Ukraine, die eine Stärkung der europäischen Nordflanke als sinnvoll erscheinen lässt.

Zum anderen aufgrund der Tatsache, dass ein Land mit einem autoritären, repressiven politischen System sowie durchaus fragwürdigen außenpolitischen Aktivitäten sich gegen die anderen 29 Nato-Mitgliedsstaaten stellt, die den Beitritt von Finnland und Schweden ausdrücklich befürworten. Wohlgemerkt zwei vorbildlichen demokratischen Rechtsstaaten, die auch das vorgebliche „Wertebündnis“ Nato, so jüngst Außenministerin Baerbock, bereichern werden.

Dazu nur so viel: Die beiden künftigen Nato-Mitglieder im hohen Norden liegen im weltweiten Demokratie-Index von „The Economist“ auf Rang drei und vier, die Türkei dagegen belegt Rang 103 und ist somit der Kategorie „Hybridregime“ zugeordnet. In diesem Zusammenhang einen „neuen Deal mit der blockierenden Türkei“ anzumahnen und auf das Geschacher Ankaras einzugehen, ist abwegig.

Im Gegenteil, hier müsste massiv Druck ausgeübt werden, um die Türkei auf gemeinsame Linie zu bringen. Ohne irgendwelche Zugeständnisse, die geeignet sind, das undemokratische System Erdogans zu stabilisieren. Nun, man darf zuversichtlich sein, das Bündnis wird‘s schon richten.  Roland Schweizer Leverkusen

Nur Einigkeit macht die Nato stark

Alles, was Herr Koch im Zusammenspiel von Türkei, USA, Griechenland EU anführt, ist richtig und bedarf – wenn nicht jetzt, wann dann? – einer Gesamtbetrachtung und umfassenden Lösung. Zu dieser umfassenden Lösung gehört aber auch, dass sich Griechen und Türken über Zypern einigen und die Insel wieder selbständig wird. Gleichzeitig sollte der Versuch unternommen werden, einen Vertrag über eine gemeinsame Exploration und spätere Förderung von Gas und Öl im östlichen Mittelmeer zu erzielen. Einigkeit macht stark – das gilt nicht nur für die Aufnahme Finnlands und Schwedens in die Nato, sondern auch im Zusammenspiel der Mittelmeerländer Griechenland und Türkei.  Wolfgang Schultz Bergisch Gladbach

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Erdogan will sich Zustimmung versilbern lassen

Laut offiziellem Nachrichtendiktus soll die Türkei „überzeugt“ werden, dass Schweden und Finnland in die Nato aufgenommen werden. Doch das richtige Wort ist nicht „überzeugt“. Erdogan droht mit einem Veto und hält die Hand auf. Warum auch nicht? Er kauft russische S-400-Raketen, umgeht die Sanktionen des Westens, schließt die Meerengen am Bosporus, nachdem die komplette russische Flotte durch ist, öffnet seine Häfen für die Jachten der Oligarchen und bietet ihnen sogar einen türkischen Pass für 250.000 Euro, so dass sie anschließend frei in der EU herumreisen können – und was passiert?

Nichts. Alle schauen tatenlos zu und die „neue deutsche moral- und werteorientierte Außenpolitik“ schweigt. Man kann für die Haltung Schwedens Verständnis haben, der Bündnisfall nach Artikel 5 des Nato-Vertrags solle bei einem Angriff auf die Türkei nicht gelten. Denn die Türkei hat nur Probleme mit allen ihren Nachbarn und droht sogar einem Bündnispartner.

Es ist Zeit, darüber nachzudenken, ob die Türkei nicht aus der Nato ausgeschlossen werden sollte. Dann bräuchte man dem „listigen Neutralen“ – der im Zweiten Weltkrieg zu den Siegern zählte, ohne eine Kugel verschossen zu haben, und jetzt im Ukraine-Krieg den Moderator spielt – die Zustimmung für die Nato-Erweiterung nicht zu versilbern.  Phedon Codjambopoulo Pulheim

Erdogans Forderungen sind ein Affront gegen die Nato

Die Nato ist keine Wertegemeinschaft, sie ist nur ein Militär-Bündnis. Die Türkei erfüllt aber diese Werte immer noch nicht, für die die Nato sich verpflichtet hat sie zu verteidigen. Die Forderungen von Erdogan sind ein Affront gegen die Nato und sollten mit der Androhung eines Ausschlusses aus der Nato zurückgewiesen werden. Die verbriefte Forderung der Ukraine nach einer Nato-Mitgliedschaft hat zu Kollateral-Erfolgen geführt, aber eben nur beim Militär und den Rüstungsindustrien. Karl Sonntag Pulheim 

Keine bedingungslose Unterstützung der Türkei

Es ist erstaunlich, wie leichtsinnig Matthias Koch die bedingungslose Unterstützung von Erdogans Türkei fordert. Eine Unterstützung mit Waffen und Marktzugängen, wie er schreibt. Dabei lässt er außer acht, dass Erdogan ein gewiefter Taktiker mit osmanischen Großmachtphantasien ist. Diese Großmachtphantasien richten sich nicht gegen Deutschland, sondern lediglich gegen den Nachbarn Griechenland, dessen schöne Ägäis-Inseln Erdogan gern hätte. Na dann ist es ja nur halb so schlimm, oder?

Erdogan würde in der Ägäis gerne „Putin“ spielen, kann es aber aktuell nicht, da Griechenland zu seiner Verteidigung eine schlagkräftige Armee, Luftwaffe und Marine aufgebaut hat. Dem Osmanen und Opportunisten Erdogan bedingungslos den Rücken zu stärken ist fatal und kurzsichtig und würde weitere Konflikte sowie Forderungen nach sich ziehen.

Kein anderes Nato-Mitglied hat versucht, aus dem Beitritt Finnlands und Schwedens einen Vorteil zu ziehen. Erdogans Türkei schon. Anstatt nun die Türkei zur Ordnung zu rufen, sieht Matthias Koch dies als legitim an und diskutiert darüber, wie man Erdogan zufriedenstellt. Das ist unverhohlene Parteinahme, die dem EU-Partner Griechenland in den Rücken fällt.  Michalis Gesos Köln 

Pragmatische Lösung gefragt

So, die Türkei wittert also Beute und droht mit einem Veto gegen den Beitritt Finnlands und Schwedens zur Nato. Herr Erdogan will mit der Angst und dem Schutzbedürfnis zweier Nationen schachern. Wie erbärmlich. Leider wird der Nato nichts anderes übrigbleiben als mit Herrn Erdogan zu verhandeln. Die Frage ist allerdings, wie weit der Westen bereit sein wird mitzugehen.

Was den Kauf der russischen Raketenabwehrsysteme angeht, könnte eine Lösung in einem „Ringtausch“ bestehen. Die Türkei tauscht die russischen Raketenabwehrsysteme gegen amerikanische und die USA geben diese an die Ukraine weiter. Die amerikanische Rüstungswirtschaft profitiert, Russland verliert einen Kunden, die Ukraine bekommt schwere Waffen, die Türkei muss nicht mehr mit Kritik über den Ankauf russischer Waffensysteme rechnen. Wenn Europa sich dann noch an den Kosten beteiligt, haben alle Beteiligten das gute Gefühl, gewonnen zu haben.

Klingt nach Politik? Ja ist es auch, pragmatische Politik und wer sagt denn, dass solche immer Persil-sauber ist? Ob ein solcher Ringtausch Herrn Erdogan reicht? Hoffen darf man ja.  Detlef Hanz Troisdorf

Nicht auf schmutzigen Deal mit der Türkei einlassen

Wenn Matthias Koch in seinem Kommentar zu dem Ergebnis kommt, „ideal für alle Beteiligten wäre ein neuer Deal mit der Türkei, der die Nato parallel zur Norderweiterung auch nach Süden stärker macht als bisher“, kann ich nur entschieden widersprechen. Aus menschenrechtlicher Sicht dürfte Erdogan in die gleiche Potentaten-Kategorie wie Putin einzuordnen sein.

Beide unterdrücken brutal die Opposition in ihren Ländern. Nach außen führen beide blutige Angriffskriege, Putin gegen die Ukraine, Erdogan gegen die Kurden in Nordsyrien. Gegen die kurdischen Miliz YPG/YPJ, die im Kampf gegen die abscheuliche Terrorherrschaft des IS einen wichtigen Beitrag geleistet hat, geht Erdogan besonders erbarmungslos vor.

Ihm missfällt, dass die demokratischen Regierungen Schwedens und Finnlands keinen Hehl aus ihren Vorbehalten gegen eine solche Politik machen. Sollte die Nato sich auf einen schmutzigen Deal mit Erdogan zu Lasten der Kurden einlassen, wäre dies eine moralische Bankrotterklärung. Uwe Hass Köln

Nato sollte sich nicht von der Türkei vorführen lassen

Laut Präambel des Nordatlantikvertrages bekennen sich die Mitglieder des Bündnisses zu den Grundsätzen der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts. Ich frage mich schon länger, ob es richtig ist, dass ein Staat, der sich bereits weit in Richtung Diktatur bewegt hat, gleichberechtigtes Mitglied in einem Bündnis demokratischer Staaten ist.

Statt sich von der Türkei vorführen zu lassen, sollten die anderen Nato-Staaten vielleicht mal darüber nachdenken, ob sie die Mitgliedschaft der Türkei nicht einschränken oder vorübergehend suspendieren können, bis dort – in hoffentlich nicht mehr all zu ferner Zukunft – wieder Demokratie und Rechtsstaatlichkeit herrschen. Gero C. Sifferath Kall  

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