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Lesung UrbanPoldi, Polen und der Fußball

Lesezeit 3 Minuten
Thomas Urban, Osteuropa-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, sprach über die Fußballbefindlichkeiten von Polen und Deutschen. (Bild: Musick)

Thomas Urban, Osteuropa-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, sprach über die Fußballbefindlichkeiten von Polen und Deutschen. (Bild: Musick)

Bergheim – Europameisterschaft 2008. Der deutsche Nationalspieler Lukas Podolski erzielt im Spiel gegen Polen zwei Treffer. Doch die Freude bleibt aus. Er habe aus Respekt vor dem Land, in dem er geboren wurde, nicht gejubelt, sagt der Kicker später. Zwei Herzen schlagen in seiner Brust. Das starke Gefühl für beide Länder, die gerade auch in fußballtechnischer Hinsicht schicksalhaft verbunden sind, wurde im Verhalten des Fußballers sichtbar – eine wunderbare Metapher für die ambivalente Beziehung, der sich Thomas Urban in seinem Buch „Schwarzer Adler – Weißer Adler. Deutsche und polnische Fußballer im Räderwerk der Politik“ gewidmet hat.

Der Osteuropa-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung ist im Erftgymnasium zu Gast. Das hat einen Grund. Der Sohn polnischer Einwanderer verbrachte seine Kindheit in Bergheim, machte am Erftgymnasium Abitur, bevor sein Interesse für osteuropäische Länder ihn nach Kiew, Moskau und nach Warschau führte.

Tatsächlich ist es der Initiative des historisch interessierten Lehrers Oliver Großmann zu verdanken, dass Urban nach Bergheim gekommen ist, um wenige Monate vor dem Start der Fußball-EM in Polen und der Ukraine von seinen Recherchen rund um das Fußballverhältnis zwischen Polen und Deutschland zu berichten. Der 58-Jährige spricht lange. Er liest nicht ab. Die Informationen prasseln. Die Zuhörer, darunter auch einige Schüler, lauschen gespannt.

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Geschichtliche Details über die Zeit der Besetzung Polens durch die Nationalsozialisten quittieren die Zuhörer mit entsetztem Kopfschütteln. Polen sollte als Kulturnation vernichtet werden, erfahren sie, die Menschen durften nicht mehr Fußball spielen und die Stadien nicht mehr betreten. Etwa 50 Spitzenspieler seien nach Auschwitz deportiert worden, der Mord an zehn Spielern sei historisch belegt.

Dann lernen die Anwesenden Friedrich Scherfke kennen, der aus einer deutsch-polnischen Familie stammte und 1938 das erste Tor bei einer Weltmeisterschaft für Polen schoss. Die Zuhörer erhalten nebenbei eine Lehrstunde im Recherchieren. Um zu zeigen, dass Scherfke kein Kollaborateur gewesen sei, sondern ein „positiver Held“, der polnische Spieler gerettet habe, hat Urban nicht nur alte Zeitungen und Dokumente gewälzt, sondern auch alle Scherfkes im Telefonbuch abtelefoniert, bis er den Sohn des einstigen Spielers fand. „Und wer hat das erste Tor für die Deutschen bei einer Weltmeisterschaft geschossen?“ Die Frage scheint rhetorisch. Natürlich sei das 1934 ein polnischstämmiger Spieler gewesen, nämlich Stanislaus Kobersky.

Hochemotional gehe es im deutsch-polnischen Fußballverhältnis her, erinnere man sich nur an die „Wasserschlacht von Frankfurt“ bei der Weltmeisterschaft 1974, bei der die Polen den Deutschen Manipulation vorwarfen. „Noch heute ist das ein Thema in polnischen Talkshows“, erzählt der Journalist, „und wird behandelt wie ein politisches Großereignis.“ Oder der Skandal, als 2008 eine polnische Zeitung ein Bild zeigte, auf dem der polnische Nationaltrainer die Köpfe von Ballack und Löw hochhielt.

Doch im „Fußball-Krieg“ gelte es, den Ball flach zu halten. Tatsächlich sei das Verhältnis zwischen Deutschen und Polen gut. „Je jünger die Polen, desto besser ist das Deutschlandbild“, sagt der Korrespondent. Die Schüler aus Bergheim können das bestätigen, haben sie doch gute Erfahrungen im Austausch mit Schülern der Partnerschule im polnischen Kozy gemacht.

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