Lieblingslyrik in geballter Ladung

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Profis und Amateure brachten der Stadt mit Gedichten ein Geburtstagsgeschenk dar.

Bensberg - „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen; und jeder geht zufrieden aus dem Haus.“ So lässt Goethe seinen Theaterdirektor im Faust-Vorspiel sprechen. Und Ingo Müller-Becker, Gründer des Kalliope-Theaters und professioneller Sprecher beim Deutschlandfunk, verfuhr nach demselben Grundsatz. Er sammelte Lieblingslyrik von Bergisch Gladbacher Bürgern und präsentierte eine Auswahl mit 33 Rezitatoren, die alle biografische Bindungen an die Stadt haben.

Die mit Unterstützung der Stadtbücherei organisierte Veranstaltung im Bensberger Rathaussaal war dem 150. Geburtstag der Stadt gewidmet. So wurden fast 70 Gedichte in zwei Stunden ohne Pause vorgetragen - eine geballte Ladung, die die mehr als 200 Zuhörer leicht hätte überfordern können. Ingo Müller-Becker, Intendant und Moderator dieses Abends, hatte das Arrangement jedoch so gekonnt gewählt, dass die Spannung über die ganze Zeit erhalten blieb.

Seine Choreografie nutzte die räumlichen Gegebenheiten des Saales mit Empore und Treppen voll aus, ließ die Vortragenden aus allen möglichen Ecken und Höhen auf- und abtreten. Er sammelte die Akteure auf einem dem Publikum zugewandten Podium, von dem sie sich im zweiten Teil des Abends wieder in den Saal verstreuten. Natürlich unterstützten die Rezitatoren das Konzept mit Sprech- und Spielfreude, denn die Mehrzahl war professionell als Sprecher oder Sänger durch verschiedene Rundfunkanstalten und Theater ausgebildet und trainiert.

Volker Hein vom Horizont-Theater in Köln eröffnete das Festival furios mit „Im Tingeltangel tut sich was“ von Fritz Graßhoff, gleich gefolgt Barbara Vesterling, Schauspielerin mit Musikausbildung, die Goethes „Zauberlehrling“ voller Spannung rezitierte. Es ging weiter mit dem Ritt durch die bekannte Lyriklandschaft, in der man Johann Wolfgang Goethe genauso wie Bertolt Brecht je viermal, Mascha Kaléko und Rainer Maria Rilke je dreimal begegnete.

Am häufigsten, nämlich je sechsmal bei 156 Bürgerantworten, waren Hermann Hesses „Stufen“ und Erich Frieds „Was es ist“ als Lieblingsgedichte genannt worden. Speziell das Letztgenannte wurde von vier Stimmen eindringlich und plastisch gestaltet. Besonders begrüßte das Publikum direkt auf die Stadt bezogene Lyrik: Die Kabarettistin Nessi Tausendschön zelebrierte hinreißend Annette Maria Marx Gedicht „Depressiv in Bergisch Gladbach“, und Naturschützer Mark vom Hofe wanderte mit Eleonore Knauers Versen durch das Bergische Land.

Auch Neuentdeckungen tauchten auf, etwa Ludwig Fuldas „Die Erschaffung des Weibes“, die das Ehepaar Hannelore und Ludwig Dohmen unter heftigem Zwischenapplaus amüsant im Duett darbot. Die Qualität der Vorträge erhöhte sich deutlich, wenn die Rezitatoren auswendig sprachen, was recht häufig, besonders bei den Profis, der Fall war.

Atempausen gab es bei Harfenmusik von Domenico Scarlatti und Paul Hindemith, die Kristina Kuhn - Gastsolistin bei der Finnischen Oper - einfühlsam und aussagekräftig spielte. Sie und alle Rezitatoren trugen honorarfrei zum großartigen Gelingen des Abends bei, der nach Fortsetzung ruft. Er war ein Geschenk an die Stadt Bergisch Gladbach, deren offizielle Vertreter allerdings vermisst wurden.

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