Lothar EversEin Kämpfer für die Wahrheit

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Lothar Evers. (Bild: Grönert)

Lothar Evers. (Bild: Grönert)

Organisierte Verantwortungslosigkeit sei das gewesen, eine vorhersehbare Katastrophe. Lothar Evers steht in seinem Kölner Arbeitszimmer und zeigt auf eine Karte, die hinter ihm hängt. Das Gelände der Loveparade in Duisburg. Die Skizze zeigt Bühnen, Zugänge und die Veranstaltungsfläche. Die Rampe, auf der am 24. Juli des vergangenen Jahres 21 Menschen starben und mehr als 500 verletzt wurden, ist mit einem Pfeil gekennzeichnet. „Da wird gelogen und vertuscht“, sagt Evers. Mit grauem Bart und Gesundheitslatschen wirkt er wie ein gemütlicher Teddybär. Doch der Eindruck vergeht schnell, wenn er spricht. „Die Opfer haben ein Recht auf die Wahrheit“, sagt er. Damit die Suche nach den Ursachen weiter vorangetrieben wird, hat der Kölner die Internet-Plattform docunews.org gegründet: Analysen, Informationen und Dokumente zum Unglück.

Evers kann es sich leisten, jede Menge Zeit in die Recherche zu stecken. Der Kölner lebt von den Mieteinnahmen seiner Immobilien und von Erspartem. Früher hat der Germanist sich beruflich und privat für Verfolgte des NS-Regimes eingesetzt. Der 56-Jährige ist ein Kämpfer, einer, der sich über Jahre hinweg mit den großen deutschen Konzernen anlegte. Der Anteil daran hatte, dass die ehemaligen Zwangsarbeiter der Nazizeit nach Jahrzehnten eine Entschädigung erhielten. Journalistische Erfahrungen sammelte Evers zudem während einer Recherche über Probleme bei der Sterbehilfe.

Zufällig an das Thema Loveparade geraten

„Ich mache gerne Dinge, von denen ich glaube, dass sie letztlich den Unterschied ausmachen“, sagt Evers: „Das gibt mir dann die Motivation, meine Kraft in die Projekte zu investieren.“An das Thema Loveparade ist er zufällig geraten. Am Tag des Unglücks hat er mit einer Freundin aus Essen telefoniert, die glaubte, dass auch ihr Sohn und ihre Tochter auf dem Festival seien. Doch sie konnte die Jugendlichen telefonisch nicht erreichen. „Die Angst, die Aufregung, das alles hat mich stark mitgenommen“, erinnert sich Evers. Zwar stellte sich im Nachhinein heraus, dass die Kinder seiner Bekannten gar nicht auf der Loveparade waren. Doch als er am nächsten Tag im Fernsehen die Pressekonferenz im Duisburger Rathaus sah, wuchs die Wut: „Nur Ausreden, keine Antworten: Man erfuhr nichts – oder nur Falsches.“

Spontan entschied Evers sich dafür, das Unglück zu seiner Sache zu machen. Er analysierte die Dokumente, Informationen und Stellungnahmen, die in den folgenden Wochen öffentlich wurden. Er sprach mit Experten, nahm Kontakt mit dem Duisburger Verein „Massenpanik-Selbsthilfe“ auf und ist Mitgründer des später eingerichteten „Runden Tischs“ mit ausgewiesenen Experten wie dem früheren Bundesinnenminister Gerhart Baum, dessen Kanzlei zahlreiche der Geschädigten anwaltlich vertritt.

Bei seinen Recherchen stieß Evers als einer der Ersten darauf, dass es auch Kameras an den Eingängen zum Tunnel gegeben hat, die Aufschluss darüber geben könnten, ob der Einlass tatsächlich gesperrt wurde, als die Menge sich langsam staute. Er entdeckte, dass eine elektronische Alarmierungsanlage mit Lautsprechern zwar vom Bauamt gewünscht, vom Veranstalter aber nicht eingebaut wurde. Anhand von Listen bewies er, dass 40 Prozent der Ordner ihren Dienst nicht antraten. Und er zeigte auf, dass man im Eingangsbereich stündlich mit bis zu 90 000 Zugängen und 55 000 Abgängen rechnete, der Tunnel aber nur eine Kapazität von 60 000 Menschen pro Stunde hatte.

„Wie konnte so etwas genehmigt werden?“, fragt Evers. Er will, dass die Opfer der Katastrophe möglichst bald entschädigt werden. Bisher haben 258 Betroffene sowie deren Angehörige Ansprüche bei der Stadt Duisburg und dem Konzern Axa gestellt, der den Veranstalter Lopavent versichert hatte. Die meisten Geschädigten fordern zwischen 1000 und 15 000 Euro Schmerzensgeld. In Einzelfällen geht es um sechsstellige Summen. Etliche Betroffene wollen die genaue Höhe ihrer Ansprüche erst später beziffern.

„Wichtig ist, dass die Leute möglichst schnell eine Abschlagszahlung erhalten, um ihr bisheriges Leben ohne große Nachteile weiter führen zu können“, so Evers. Denn meist werde bei derartigen Ereignissen erst nach Jahrzehnten gezahlt, wenn die Verantwortlichkeiten durch die Gerichtsinstanzen geklärt wurden. Aber egal, wie lange es dauert. „Ich werde dranbleiben“, sagt Evers.

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