Märchenhafte Helden

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Esa-Pekka Salonen

Esa-Pekka Salonen

Es ist nicht immer leicht, Vorstellungen vonMusikern und Komponisten in Einklang zubringen. So auch bei dem Geiger Zoltán Székelyund Béla Bartók. Während Székely ein klassischesKonzert in Auftrag gegeben hatte,schwebte Bartók indes etwas anderes vor: eingrößeres Variationswerk. Sein zweites Violinkonzertzeigt, dass die Suche nach einem Kompromisszu einer sehr eleganten Lösung führenkann: Den langsamen Satz entwarf er als ausgewiesenenVariationssatz, den dritten wiederummachte er kurzerhand zu einer Kopie desersten Satzes!

Im Verlauf des Variationssatzesentführt Bartók den Hörer in verschiedensteKlang- und Märchenwelten. Wie der Held imMärchen durchschreitet der Geiger auch modrig-dunkle Passagen, marschiert jedoch trotzigweiter und zeigt sich erleichtert – bevor erins nächste Abenteuer schlittert. Und auch imdritten Satz benutzt Bartók das Variations-Prinzip.

„Alles“, so Christian Tetzlaff, „was imersten Satz einen Hang zum Großartigen, Stolzenund Schönen hat, bekommt im letzten Satzeher fratzenhafte Züge – wild, tänzerisch, bukolisch.“Und auch wenn man meine, den letztenSatz bereits zu kennen, sei alles anders.

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Über das Ende des Konzerts war Székely allerdingsgar nicht erfreut, denn der Solist kam garnicht mehr zum Zuge. So schrieb Bartók postwendendeine zweite Fassung des Schlusses –und schon stand die Solovioline bis zum letztenTon im Mittelpunkt. Tetzlaff indes hat sich fürdie weniger „eitle“ Version entschieden – denrauschend-orgiastischen Orchesterschlussmit absurden Posaunen- und Trompeten-Glissandi.

In welcher Version auch immer – mit seinemzweiten Violinkonzert hat Bartók einesder bedeutendsten und meist gespielten Werkedes 20. Jahrhunderts geschaffen – mit einemGeigenpart, der so ausgereift erscheint, alswäre Bartók nicht mit dem Klavier, sondernmit der Geige groß geworden.

Selten zu hören

Wenn von den Bühnenwerken Bartóks dieRede ist, dann meist von der einaktigen Oper„Herzog Blaubarts Burg“ und dem wegen seinesbrutalen Sujets berüchtigten Ballett „Derwunderbare Mandarin“. Leicht übersehenwird aber ein Genre-Frühwerk: „Der holzgeschnitztePrinz“ (Originaltitel: „A fából faragottkirályfi“). Warum dieses Ballett so seltenin den Theatern und Konzertsälen zu sehen respektivezu hören ist, lässt sich vielleicht mitdem ungewöhnlich großen orchestralen Aufwanderklären: Vierfaches Holz (und eine Saxophongruppe),Celesta, zwei Harfen, umfänglichesSchlagwerk und der üblicheBlechbläser- und Streicherapparat bringen dieNähte des klanglichen Gewands quasi zumPlatzen.

Umso erstaunlicher, dass weite Teileder Musik sehr lyrisch und leise geprägt sind.Diese spätromantisch bis impressionistischanmutenden Passagen werden jedoch immerwieder durch eruptive Orchesterausbrücheaufgeschreckt, die ein in sich zerrissenes musikalischesBild ergeben. Ein Märchen? Vielleicht– aber keines, was man Kindern zumEinschlafen erzählt...

Ein heißer Sommernachmittag

Dafür wäre eher Claude Debussys „Prélude àl‘après-midi d‘un faune“ geeignet, eine musikalischeDichtung über einen Faun, der in diePanflöte bläst. Angeregt durch StéphaneMallarmés gleichnamiges Gedicht aus demJahr 1876, das nicht einfach die Liebesgeschichteaus den „Metamorphosen“ des Ovidwiedergibt, sondern mittels eines unorthodoxenSatzbaus, mehrdeutiger Worte, Klangmalereiund wechselnder Schriftarten vornehmlichdie rauschhaft-flimmernde Stimmungeines heißen Sommernachmittags widerspiegelt,in dem Traum und Realität miteinanderverschmelzen.

Debussy kreierte daraus eineArt musikalischen Kommentar, geheimnistuerischin seiner Grundtonart, mit häufigenTaktart-Wechseln und einer ambivalentenForm. Wie er anlässlich der Erstaufführunganmerkte, entstünden „wechselnde intimeSchauplätze, in deren Stimmung sich Verlangenund Träume des Faun ergehen, in der Wärmedieses Nachmittags. Dann überlässt ersich, müde der Jagd, auf die furchtsam fliehendenNymphen und Najaden, dem berauschendenSchlummer, voll endlich erfüllter Traumgelüste,im Vollbesitz der allumfassendenNatur.“ Das Thema der Flöte kehrt immer wieder– in leicht abgewandelter Gestalt und Begleitung,mitunter von anderen Instrumentenintoniert.

Mit diesen Nuancen spielt Debussyauf die Wandlungsfähigkeit der Natur an: „DieMusiker hören nur die Musik, die von geschicktenHänden geschrieben ist“, meinte er einmal,„niemals aber die Musik, die in der Naturlebt“. Neben der Öffentlichkeit zeigtesich auch Mallarmé fasziniert, für denDebussys Vertonung hinsichtlich„Feinheit, Licht und Fülle“ sogarüber seine Dichtung hinausgingen.Eine trefflichere Beschreibungfür die Wirkungvon Musik hätte er nichtgeben können.

Von Christoph Guddorf

13.11.2011 Sonntag 20:00 Christian Tetzlaff Violine Philharmonia Orchestra Esa-Pekka Salonen Dirigent Claude Debussy Prélude à l‘après-midi d‘un faune L 86(1891–94) für Orchester. Nach einem Gedichtvon Stéphane Mallarmé Béla Bartók A fából faragott királyfi (Der holzgeschnitztePrinz) Sz 68 op. 13 (1932) Suite für Orchester aus dem gleichnamigenTanzspiel Konzert für Violine und Orchester Nr. 2 Sz112 (1937-1938)

Gefördert durch das KuratoriumKölnMusik e.V.

€ 110,– 95,– 80,– 55,– 32,– 10,– | Z: € 80,–

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