Mein ViertelKölns schönste Seite

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Hier fühlt sich der Kölner Kabarettist Richard Rogler richtig heimisch: Im Friseurladen „Haartraum“ spricht er mit Besitzerin Beate über Gott und die Welt. „Da gehen die Leute Kaffee trinken, ohne sich die Haare zu schneiden“, so Rogler. (Bild: Grönert)

Hier fühlt sich der Kölner Kabarettist Richard Rogler richtig heimisch: Im Friseurladen „Haartraum“ spricht er mit Besitzerin Beate über Gott und die Welt. „Da gehen die Leute Kaffee trinken, ohne sich die Haare zu schneiden“, so Rogler. (Bild: Grönert)

Agnesviertel – Wenn Beate aus dem Friseurladen in der Weißenburgstraße das jetzt hören könnte, sie würde zart erröten. Trotz ihrer 41 Jahre. "Das ist ein echtes Eifeler Mädchen", sagt Richard Rogler und steuert zielstrebig auf den "Haartraum" zu. "Sie macht die Dauerwellen für die Damen, hat immer einen guten Spruch drauf. Da gehen die Leute Kaffee trinken, ohne sich die Haare schneiden zu lassen."

Ein Spaziergang mit dem Kabarettisten durch sein Agnesviertel kann dauern, was vor allem daran liegt, dass Rogler einfach jeden kennt. "Ich gehe immer auf die Leute zu, und das hat der Kölner ja bekanntlich sehr gerne." Stimmt. Rogler spricht mit Wolfgang vom Restaurant "Wolfgang´s" am Neusser Platz über dessen Versuch, als Neuling im Veedel Fuß zu fassen. Frank vom Fotogeschäft Gademann gegenüber klagt ihm sein Leid, weil die Laser-Unit für 16.000 Euro spinnt und er keine Bilder mehr drucken kann. Die Tunesierin Leila von Textilreinigung "Sanft und Sauber", in deren Eingang eine weiß lackierte Heimorgel zum Verkauf steht, ist auch immer für ein Schwätzchen zu haben.

Bei der ein oder anderen Weinschorle in der "Weißenburg" erklärt Rogler, warum er die Gegend so ins Herz geschlossen hat. Es sei diese Mischung aus Nähe und Distanz, aus Intellektuellen und Reichen, aus nicht so Betuchten und alten Kölschen, die das Agnesviertel prägten. Und weil hier noch alle Bescheid wissen, der Nachbar eben nicht egal ist.

Alles zum Thema Ford

Wenn Rogler ins Schwärmen gerät, dann aber richtig. "Wir haben hier den besten Bäcker von ganz Köln, den Meyer in der Blumenthalstraße." Da hätten alle schon Angst gehabt, dass der seinen Laden dicht macht. "Der steht jede Nacht um zwei Uhr auf und ist auch nicht mehr der Jüngste. Da kommen die Leute am Samstag von überall her. Wenn man bei dem ein Brot kauft, schmeckt das nach drei Tagen noch besser als am ersten Tag." Das Viertel hat erstmal durchgeatmet, als die frohe Kunde durchdrang. Tochter und Schwiegersohn werden übernehmen.

Freche Bäckerinnen

Die Reihe der "Kleinfummler", wie Rogler seine Nachbarn liebevoll nennt, lässt sich beliebig fortsetzen. Gleich mit einer weiteren Bäckerei: Kohlenbeck in der Weißenburgstraße - mit den, wie Rogler sagt "frechsten Verkäuferinnen" von ganz Köln. Er liebt sie geradezu, die Renate mit ihrer Berliner Schnauze und Sophia, ihr kölsches Pendant. Der Getränkehändler an der Ecke, der den alten Leutchen in den Altbauwohnungen ohne Aufzug die Kisten hochschleppt und auch sonntags um halb zehn ein Pittermännchen vorbei bringt, "wenn du mal unverhofft Besuch kriegst oder Not am Mann ist". Das Café Elefant in der Weißenburgstraße, die Institution des Viertels seit fast 40 Jahren. Und natürlich das Stüsser auf der Neusser Straße, "das jetzt auch wieder läuft".

Beim Thema Kneipen wird es wird es kritisch, weil Richard Rogler die Wut packt. Man habe dem Viertel die Heimat genommen. Ohne Not, wie alle finden. Antje Hoepfner musste nach 27 Jahren das Harvey´s schließen, nachdem ein Arzt aus Düren, der im Jahr 2000 die Wohnung über der Kneipe gekauft hatte, sich immer wieder beschwert hatte. Über den Krach, die Gerüche, das Rauchen vor der Tür. Im Harvey´s haben sich alle getroffen. Das war eine Institution. Die Aufgeklärten, die Studierten, die links Orientierten. Architekten, Anwälte, Psychoanalytiker, "die auch schon mal Marx gelesen haben. Alles Leute, die kein dummes Zeug reden."

Viertel hat Heimat verloren

Vor gut 300 Tagen war Schluss mit lustig, die Erbengemeinschaft, der das Haus gehört, hat entnervt aufgegeben. Die Stammgäste betreiben die Homepage weiter, aus Trotz und in Ermangelung einer neuen Heimat. Ein Zeit lang haben sie darüber nachgedacht, ob sie den Laden einfach kaufen sollten. Das habe sich leider zerschlagen. "Jetzt hat die Antje keine Existenz mehr, lebt von Hartz IV, der Arzt die Bude wieder verkauft und wir wissen nicht mehr, wo wir hingehen sollen. So ist das im Leben."

Roglers Zorn verraucht. Er finde es prima, in einem Viertel zu leben, in dem auch Heinrich Böll mal zu Hause war. In der Hülchrather Straße. "Sein Geist weht hier immer noch ein bisschen. Gegen die Kirche, gegen den Karneval, all die schönen Sachen, die er geschrieben hat."

Obwohl: Mit der Kirche, mit der Agneskirche hat er so seine eigenen Erfahrungen gemacht. Genauer gesagt mit dem Pfarrgemeinderat. Rogler holt noch einmal aus, erzählt die Geschichte aus seiner Heimatgemeinde Selb, deren Porzellanmacher unbedingt einen Weihnachtsbaum in Köln ausstatten wollten. Mit Kugeln und Figuren, "und ich habe das auch noch vermittelt". Weihnachten 2007 hat der riesige Baum in der Agneskirche gestanden. Mit 2500 Porzellankugeln und Glöckchen im Wert von 12 000 Euro. "Wir haben den Baum extra angekarrt aus Oberfranken. Der war eine Sensation, so etwas gibt es sonst nur noch in Mailand und New York." Die Porzellanfabriken hätten den kompletten Baum gestiftet. "Und ich habe sogar noch die Lichterketten besorgt."

Ein Jahr später war der Spaß aber schon wieder vorbei. "Da hat sich keiner mehr drum gekümmert. Oh, hieß es da. Dann müssen wir ja einen neuen Baum holen. Und dann haben sie die Kugeln verkloppt. Auf dem Gemeindebasar. So sind wir hier in Kölle. Die Weltmeister vom Rhing. Und mich spricht jetzt jeder an, egal, wo ich herum renne. Was ist denn mit dem Weihnachtsbaum?"

Die Weihnachtsbaum-Posse

Genug der Aufregung. Dafür ist das Agnesviertel zu friedlich, fast schon idyllisch. Auch wenn die Immobilienpreise durch die Decke schießen und alle fürchten, dass eines Tages die Mischung darunter leiden könne. Rogler wohnt in der Merlostraße, hat dort vor fünf Jahren eine Eigentumswohnung erworben. Ein Neubau, mit Aufzug, "weil ich jetzt auch in dem Alter bin, wo man keine sechs Treppen mehr hoch kommt". Mit seiner Frau habe er lange überlegt, ob das Viertel den Preis auch wert sei. "Meine Wohnung war auch schon sehr teuer. Unter mir hat einer gekauft, der war Manager bei Ford und ist jetzt nach Marseille versetzt worden. Der hat in fünf Jahren 15 Prozent Plus gemacht. Das Ding zischt hier hoch ohne Ende."

Ein paar Sorgen müsse man sich nur um die Neusser Straße machen. Viele Läden seien kaputt gegangen und dann "kommt da wieder mal ein Backshop rein". Zwischen dem Neusser Platz und dem Ebertplatz könne man schon sieben Mal belegte Brötchen kaufen. Und Kaffee to go, jetzt auch zum Mitnehmen. "Ich habe keine Ahnung, wer das alles braucht."

Doch auch die Neusser Straße habe ihren Charme. Die Kneipe neben "Schlecker", das Sion an der Agneskirche, sei beispielsweise ein ähnlich legendärer Laden wie das Balthasar gegenüber. "Da sitzen dann die Damen, die sich morgens um acht schon den Cognac reinhauen. Sehr gepflegt, die wollen nur nicht auffallen. Da gehe ich auch mal gerne hin."

Fast hat man den Eindruck, als verlasse Rogler sein Agnesviertel nur, wenn es unbedingt sein muss. Für einen Auftritt bei Stratmanns Kneipentheater im Pott oder wenn er mit dem aktuellen Programm "Stimmung" durch die Republik tourt. Ansonsten gibt´s den Rogler im Veedel. Bis zum Sudermanplatz, weil dort der Wochenmarkt ist. Oder runter zum Rhein. "Die Grenze ist der Ebertplatz. Da komme ich nicht rüber. Auch zum Zoo geht man nicht. Das ist Riehl, da ist tote Hose."

Was ihm gefällt, ist die Dreiteilung, die klaren sozialen Strukturen, die sich bis heute erhalten hätten. Das noble Bankenviertel auf der Rheinseite. Das Viertel um das Oberlandesgericht bis zur Neusser Straße, wo früher die Gerichtspräsidenten und die Oberstaatsanwälte wohnten. Deshalb auch die schönen Häuser. Und die Wohnungen der einfachen Leute jenseits der Neusser, rund um die Alte Feuerwache. Doch jetzt müsse es genug sein. Mittagszeit. "Den Rest schafft ihr ohne mich." Rogler entert das Stüsser, seine Stammkneipe, seit das Harvey´s zu ist. Einen Happen essen. Und eine Weinschorle trinken.

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