Mekka der jungen Verliebten: Das Autokino wird 70

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Petra und Jorge küssen sich in einem Autokino in Schwelm. Vor 70 Jahren - am 6. Juni 1933 - eröffnete der Amerikaner Richard Hollingshead das erste Autokino der Welt.

Petra und Jorge küssen sich in einem Autokino in Schwelm. Vor 70 Jahren - am 6. Juni 1933 - eröffnete der Amerikaner Richard Hollingshead das erste Autokino der Welt.

Hamburg - Unaufhaltsam rollt der dunkle Kleinwagen mitLübecker Kennzeichen auf die ballernden Maschinengewehre zu. DerFahrer hält. Motor aus, Licht aus, aussteigen, hastig Popcorn holen.Unter dem Sternenhimmel flimmert der Actionfilm "Matrix 2" über dieriesige Leinwand des Hamburger Autokinos. Vor 70 Jahren - am 6. Juni1933 - hatte der Amerikaner Richard Hollingshead das Freilicht-Cinemafür all jene Filmfans erfunden, die ihren fahrbaren Untersatz nichtmit einem Kinosessel vertauschen wollten.

Rund 60 Fahrzeuge - meist frisch gewaschen - sind an diesem Abendzum Autokino in Hamburgs Osten angerollt. Die große Asphaltfläche istfür einen Werktag also verhältnismäßig gut gefüllt. Dennoch machtFilmvorführer Willi Dahms einen bedrückten Eindruck, als er imDunkeln seine Runde macht und mit einem knappen "Guten Abend" dieKarten kontrolliert. 1976 fing er hier an, warf mit dem Film"Papillon" den Projektor an. Bald ist damit Schluss. Denn nachtausenden Vorstellungen muss er das Kino in zwei Wochen dicht machen.

Der Erfinder des Autokinos hatte wohl kaum damit gerechnet, dassseine Idee solche Höhen und Tiefen erlebt. Als er am 6. Juni 1933 mitdem Streifen "Wife Beware" (1932) das erste Autokino der Welteröffnete, wollte Hollingshead der Legende nach mit dem "Drive In" inCamden (US-Staat New Jersey)eigentlich nur seinen Handel mitAutozubehör ankurbeln.

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Das Freiluftkino verbreitete sich lange auch nur schleppend. Erstmit der steigenden Mobilität in den 50ern erlebte die Welle in denUSA plötzlich einen Höhepunkt: Die mehr als 4000 "Drive In" waren beijungen Pärchen beliebt, sie fuhren oft gezielt die letzte Parkreihean. Knutschen auf der Rückbank - das war in einer prüden Umweltjahrelang untrennbar mit dem Autokino verbunden. Spötter haben späterbehauptet, vier von zehn Amerikanern seien im "Drive In" entstanden.

"Die Zeit hatte damals ein völlig anderes Lebensgefühl, ein Auto,das hieß Freiheit, das hatte einen ganz anderen Stellenwert",erinnert sich Wolfgang Holl. Er arbeitet für die Starnberger FirmaJann, die heute den Großteil der 17 Autokinos im Bundesgebietbetreibt. Zu dem kleinen Imperium gehört auch das "Drive In" imhessischen Neu-Isenburg: Das älteste Autokino Europas empfing 1960seine ersten rollenden Gäste mit der Yul-Brynner-Komödie "Der Königund ich".

Monate zuvor berichtete Reporter Robert Schaffner für die dpa eherskeptisch von der Baustelle: "Wenn das Experiment gelingt, sollenAutokinos auch in anderen Teilen der Bundesrepublik gebaut werden."Es gelang. In Westdeutschland entstanden 23 Kinos, die Krise der 80erwar noch weit weg. "Da kamen in jedes Kino pro Jahr 500 000 Besucher.Das ist eine gewaltige Zahl für eine einzige Leinwand", sagt Holl.

Doch schon wenige Jahre später gab es Nackenschläge: Ölkrise,steigende Spritpreise und Öko-Bewusstsein ließen das Auto altaussehen. Von Ende der 70er Jahre an eroberten Heimvideos dieWohnzimmer, 1980 kam noch die neue Sommerzeit dazu: "Jetzt wurde esim Sommer später dunkel. Und wir können erst nach Dämmerung spielen",sagt Holl. Vorher waren drei Vorstellungen (20.00 Uhr, 22.00 Uhr und0.00 Uhr) die Regel. Nun wurde der 20.00 Uhr-Film in der warmenJahreszeit zur Seltenheit.

Außerdem rächte sich, dass die Autokinos traditionell jeden Filmerst sechs bis acht Wochen nach der Premiere zeigen durften. DasVideo war häufig genauso schnell auf dem Markt. Die 80er brachten füreinige Autokinos daher das Aus. In den USA lief es noch düsterer:Dort war 1990 nur noch weniger als ein Viertel der "Drive-In" übrig.

In Deutschland immerhin warfen Betreiber und Verleiher das Ruderin letzter Minute um: "Wir sagten, wir müssen diese Nische retten",denkt Holl zurück. Die Autokinos bekamen nun auch brandneue Filme."Seither läuft es wieder besser", auch wenn es eine Nische bleibe.100 000 Menschen kommen jetzt wieder jährlich nach Neu-Isenburg. "Wirhaben ein Einzugsgebiet von 200 Kilometern", sagt Helga Lehne (61).1968 hatte sie als Aushilfe in Neu-Isenburg angefangen, heute ist sieTheaterleiterin. Das Hamburger Kino rettet der Aufschwung nicht mehr:Neue Umwelt-Auflagen machen ihm den Garaus. Anderenorts lebt dieLegende weiter. (dpa)

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