Mister Pumpernickel als Pionier

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DJ-Legende zu Lebzeiten: Der 1928 in London geborene Moderator und Schlagersänger Chris Howland verhalf dem britischen Soldatensender BFBS zu großer Popularität.

DJ-Legende zu Lebzeiten: Der 1928 in London geborene Moderator und Schlagersänger Chris Howland verhalf dem britischen Soldatensender BFBS zu großer Popularität.

BFBS hat als Informations- und Unterhaltungssender im Hörfunkbereich Geschichte geschrieben.

Ohne Gladys hätte die Kulturrevolution nicht stattgefunden. Die in britischen Militärtrucks untergebrachten mobilen Rundfunksender mit dem Spitznamen begleiteten die kämpfenden Truppen Ihrer Majestät seit dem Afrikafeldzug im Jahre 1944 überall dorthin, wo im Zweiten Weltkrieg die Front war. Was als „British Forces Experimental Station“ im Chateau des Cretes in Algier begann, wurde im Laufe der letzten 60 Jahre zu einem kleinen Medien-Empire an allen Standorten, wo im Zuge globaler Verteidigungsstrategien der Briten Soldaten Dienst tun, von Brunei bis Irak, von den Falklands bis Gibralta.

Mit dem Vormarsch auf Deutschland kam 1945 auch eine „Gladys“ nach Norddeutschland und blieb in Hamburg.

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Gerade mal zwei fahrbare Plattenspieler und drei Techniker starteten das „British Forces Network“ am 29. Juli 1945. Bald richtete man sich häuslich ein, die Hamburger Musikhalle wurde als Funkhaus requiriert. Und es begann die Eroberung Deutschlands in den Köpfen. Obwohl eigentlich als Informations- und Unterhaltungsmedium der britischen Truppen gedacht, entwickelte sich der BFN zum Motor einer kleinen Kulturrevolution, die von Naziideologie zugedröhnten deutschen Hirne umzuerziehen. Denn man stellte schnell fest, dass es viele deutsche Zaungäste gab, deren Herz das wichtigste Marschgepäck des Besatzungssenders im Sturm eroberte : Swing und Jazz, eine Musik, die 12 Jahre lang unter der Nazidiktatur verboten war.

Die „Operation Musikhalle“ entwickelte sich Anfang der Fünfziger zusehends zum medialen Großprojekt. Bis zu 200 Leute arbeiteten zeitweilig für den Sender. Drei eigene Orchester produzierten in den Hamburger Studios. Bekannte Namen auch der wiedererwachten deutschen Musikszene wie Bert

Kaempfert, Caterina Valente und Helmut Zacharias gingen beim Soldatensender ein und aus. Im Jahre 1956 folgte mit dem Umzug aus Hamburg in zwei zum Radiozentrum umgebaute Villen im Kölner Vorort Marienburg die zweite Welle der nordwestdeutschen Kulturrevolution via Äther. Der Soldatensender benannte sich in „British Forces Broadcasting Service“ und wechselte als erste englischsprachige Station Europas von der Mittelwelle auf den populären UKW-Bereich. Fortan wurde BFBS auch musikalisches Leitmedium für die Kinder der noch swingorientierten Kriegsgeneration. Rock 'n' Roll in den 50ern und Beat aus „Swinging London“ in den 60ern bestimmten das Programm.

Der Einfluss des Soldatensenders auf die nordwestdeutsche Medienszene manifestierte sich aber nicht nur in der Beeinflussung des Musikgeschmacks. Ein Mitglied der BFN-Mannschaft avancierte gar zur Kultfigur der deutschen Radiohörer: Chris Howland . Der radebrechende Mister Pumpernickel leitete mit seinem Wechsel aus der Hamburger Musikhalle zum benachbarten Nordwestdeutschen Rundfunk eine neue Ära der Mikrofonplauderei ein. Mit seinen lockeren Sprüchen, Witzchen und Popmusik aus den Hitparaden wurde Howland zum Urvater aller deutschen Radio-Discjockeys.

In den 70er Jahren setzten die Armeefunker erneut Akzente, die das deutsche Radio nachhaltig beeinflussen sollten. Ein Name steht dafür: Richard Astbury. Der DJ der Hausfrauenshow nutzte erstmals das Telefon als dramaturgisches Mittel, um die Hörer direkt in sein Programm einzubeziehen. Während die Rheinarmee-Hausfrauen darauf warteten, dass ihre Wunschplatte aus dem Archiv herausgesucht wurden, mussten sie sich auf einen Telefontalk mit „Asters“ einlassen - ein Unterfangen allerdings, das oftmals zum Vergnügen der britischen Hörer und deutschen Zaungäste in munter-schlüpfrige Dialoge abglitt. Im Anschluss an die „Asters“-Show lief - lange bevor deutsche Privatsender die Daily Soap entdeckten - täglich eine Herz-und Schmerzstory aus der fiktiven Nordlondoner Straße „Waggoners Walk“. In den 80er Jahren gesellte sich zum Ton das Bild: der BFBS bekam seinen eigenen Fernsehsender „SSVC-TV“, der zunächst aus einem umgebauten Möbelwagen auf dem Kasernengelände im westfälischen Werl sein Mini-Programm ausstrahlte. Mittlerweile hat sich BFBS-TV zum Vollprogramm mit Übernahmen von BBC und des kommerziellen ITV gemausert. In den 90er Jahren folgte ein weiterer Umbruch in der langen Geschichte des Soldatensenders in Deutschland. Er zog von Köln-Marienburg auf ein Kasernengelände in Herford um und bekam auch noch einen kleinen Hörfunk-Ableger dazu. Während das erste Programm „BFBS Radio One“ über starke Sender in ganz Nordwestdeutschland zu hören ist, ist die neue, zweite Welle „Radio Two“ nur über Kleinsender im unmittelbaren Umfeld einiger Rheinarmee-Garnisonen hereinzubekommen. Anfangs nur für Übernahmen von Kultur- und Nachrichtensendungen der BBC genutzt, hat sich Radio 2 mittlerweile auch zum BFBS-Nostalgiesender entwickelt.

Eine solch flächendeckende Versorgung mit zwei UKW-Netzen für gerade mal 56 000 Rheinarmee-Angehörige in der gesamten früheren britischen Zone und sogar nur 26 000 in Nordrhein-Westfalen weckt Begehrlichkeiten. Im überfüllten UKW-Äther an Rhein und Ruhr solche Frequenz-Filetstückchen für eine vergleichsweise kleine Hörergruppe freizuhalten, scheint eine arge Verschwendung.

Doch den Briten vor allem ihren reichweitenstarken Kanal am WDR-Sendemast in Langenberg abzuluchsen, ist nicht so einfach. Die Landespolitik kommt da nicht dran. Denn die Soldatensenderfrequenzen unterstehen dem „Nato-Truppenstatut“ und sind Verhandlungssache mit dem Londoner Verteidigungsministerium. Mithin muss der Bund tätig werden.

Doch die Briten stellten sich erst mal taub. „Wir haben ein garantiertes Senderecht und keine Veranlassung, das abzugeben“, sagt Rheinarmee-Sprecherin Helga Heine im Hauptquartier Mönchengladbach. Nach langem Stillstand aber kommt nun doch Bewegung in den Frequenzdeal. Federführend auf deutscher Seite sei das Bundeswirtschaftsministerium. Zusammen mit den Briten werde nach Ausweichfrequenzen gesucht, so Helga Heine. Möglich sei der Wechsel des britischen Soldatensenders auf die neuen Frequenzbereiche des Digitalfunks DAB.

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