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Mit einem Koffer voller Schnapsflaschen

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Harry Rowohlt

Harry Rowohlt

Das Poem „Die Reise nach Petuschki“ des Russen ist ein Meisterwerk - und das wird zunehmend erkannt.

Alkohol, Rausch und Sucht prägen die Biografien vieler Literaten, aber nur wenige Werke sind so vom Wodka durchtränkt wie die des russischen Schriftstellers Wenedikt Jerofejew (1938-1990). Lange Zeit dümpelte sein mittlerweile als Meisterwerk erkanntes Poem „Die Reise nach Petuschki“ übersetzt, aber ungelesen in den Regalen. Dann entdeckten einzelne Leser - unter ihnen Autoren wie Ingo Schulze oder Robert Gernhard - Jerofejew wieder und empfahlen ihn weiter. Die Mundpropaganda hatte Erfolg.

Auf diese Weise lernte auch Harry Rowohlt „Die Reise nach Petuschki“ kennen. Jerofejew erzählt darin, wie er, ausgestattet mit einem Köfferchen voller Schnapsflaschen, zum Moskauer Vorort Petuschki fährt. Er monologisiert und trinkt, seine Mitreisenden tun es ihm gleich, und so entwickelt sich ein Kosmos, der ebenso absurd komisch wie tief tragisch ist. Harry Rowohlt hat dem Buch - zusammen mit gleichgesinnten Jerofejew-Liebhabern - schon einige seiner berühmten Marathonlesungen gewidmet. Heute wird er sich in der Kulturkirche in Köln allerdings weniger der Reise als vielmehr dem gerade im Tropen-Verlag erschienenen Frühwerk Jerofejews widmen, den „Aufzeichnungen eines Psychopathen“.

Mit 17 Jahren beginnt Jerofejew die Arbeit an diesem Tagebuch. „Da ist man so altersweise wie später nie wieder im Leben“, sagt Harry Rowohlt mit einem tiefen Lachen. Für ihn sind die erst Jahre nach Jerofejews Tod aufgetauchten Aufzeichnungen eine „gute und nützliche Vorstudie“ im Werk des Autors. Jerofejew führt den Leser darin an seinen Geburtsort Kirowsk, eine Industriestadt nördlich des Polarkreises. Jerofejews Vater stirbt nach langer Lagerhaft, sein Bruder wird ebenfalls verhaftet, er selbst fliegt von der Universität. „Alkohol ist die Rettung!“ Suff, Tod und Kotze. Es beginnt ein delirierender Text, der den Übersetzer Rowohlt an den

Joyce'schen „flow of consciousness“ (Bewusstseinsstrom) erinnert. Gedanken und Dialoge gehen ineinander über. Rebellion und Verzweiflung, Sarkasmus und Selbstironie liegen eng beieinander.

Welchen Kultstatus Jerofejew auch in seinem Heimatland erlangt hat, mag eine von Harry Rowohlts unnachahmlichen Anekdoten verdeutlichen: Angesprochen auf ein sagenumwobenes Getränk aus „Die Reise nach Petuschki“ war der 1947 geborene Autor Victor Jerofejew, der mit seinem Namensvetter in keiner Weise verwandt ist, entsetzt darüber, dass in der deutschen Ausgabe besagter Cocktail offenbar unter „Komsomolzenträne“ firmiert und nicht - wie im russischen Original - als „Komsomolzinnenträne“. Das sei doch ein grober Fehler, seufzt Harry Rowohlt, denn die Tränen einer kleinen Komsomolzin rühren Leser und Trinker ohne Zweifel in ganz anderem Maße als die eines gestandenen Komsomolzen.

Rowohlt hofft deshalb auf die Neuübersetzung von seinem Kollegen Peter Urban. Er selbst habe in seinem Leib-und-Magen-Buch „At Swim-Two-Brids“ des Iren Flann O'Brien immerhin an die 1200 Übersetzungsfehler gefunden. Aus „Zwei Vögel beim Schwimmen“ wurde nach seiner Bearbeitung „Auf Schwimmen-zwei-Vögel“, und das gibt es inzwischen, vom Übersetzer gelesen, auch als prämiertes Hörbuch. Mit dem Vorlesen angefangen hat Rowohlt ganz privat. „Als mein Vater kaum noch etwas sehen konnte, habe ich ihm den gesamten »Schweijk« vorgelesen“, erzählt er. Später dann, bei seiner ersten Lesung vor Publikum in Aachen, „war ich so beeindruckt, dass die Leute kamen und Geld dafür bezahlten, dass ich sechs Stunden gelesen habe.“ Inzwischen hat er die Zeit etwas reduziert - auch mit Rücksicht auf seine Stimme.

Harry Rowohlt liest Wenedikt Jerofejews „Aufzeichnungen eines Psychopathen“ am Freitag, 28. Mai, 20 Uhr, in der KulturKircheKöln, Siebachstraße.

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