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Musikalische Drahtseilakte

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Valery Gergiev

Valery Gergiev

Städte, die im Wasser versinken, gibt es bekanntlich(bisher) nicht viele. Und wenn,dann erzählen Legenden davon. Neben Atlantiswäre da Kitesch zu nennen. Nun gibtes diverse Ursachen, die den Untergang solcherStädte herbeiführen. Atlantis etwataucht innerhalb eines Tages und einerNacht infolge einer Naturkatastrophe imMeer unter. Der Sage – und Platon – nachsollten seine Bewohner für ihre Gier nachimmer mehr Macht und Reichtum bestraftwerden. Eine recht unpoetische Ursachealso.

Unter ganz anderen Umständen verschwindetGroß-Kitesch vom Erdboden: Umdie Stadt vor den mörderischen Folgen einesTataren-Überfalls zu bewahren, versinkt sieauf die Fürbitte einer Jungfrau hin in dichtemNebel, um in dunkler Nacht unter Kirchengeläutgänzlich in einem See zu verschwinden.Ein vergleichsweise stilvollerAbgang. Diese Legende gab Stoff für weitereLegenden, welche bis heute weiterleben.

Die Legende der unsichtbarenStadt

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Es wird erzählt, dass nur solche, die rein sindin Herz und Seele, den Weg nach Kitesch findenkönnen. Auch heißt es, dass bei ruhigemWetter bisweilen die anklagenden Glockenspieleund der Gesang der Einwohner ausdem Swetlojar-See zu hören sind. BesondersFromme sollen das Licht religiöser Prozessionenund sogar Gebäude am Grund des Seessehen können. Da also liegt das „russischeAtlantis“. Anlass genug für Nikolaj Rimskij-Korsakow, aus dieser stimmungsvollen russischenLegende ein schillerndes Tongemäldezu kreieren, das ebenso mystischdaherkommt wie das Geschehen selbst.

„DieLegende von der unsichtbaren Stadt Kiteschund der Jungfrau Fewronia“, eine Oper, dieim Stellenwert und pseudo-religiösen Gehaltgerne mit Richard Wagners „Parsifal“verglichen wird, steht allerdings nur seltenauf den Spielplänen. Nicht viel anders ergehtes der gleichnamigen viersätzigen Suite.Wirft man einen Blick in ihren dritten Satzund zugleich in die Geschichte der musikalischenSchlachtgetümmel, so könnte man sagen,Rimskij-Korsakow richtet hier das „lyrischsteBlutbad“ aller Zeiten an. Ihm ginges wohl eher darum, unter anderem mit russischerFolklore das heroische Sterben „fürdie Sache“ zu schildern.

»Daniil Trifonov: Wettbewerbgewinnals Karriereschub«

Als „ernste Musik“ ist Rodion SchtschedrinsKonzert für Orchester Nr. 1 „Naughty Limericks“(1963) in der Tat nicht zu bezeichnen.Ganz im Gegenteil: Mit Sinn für musikalischenSlapstick treibt Schtschedrin hier einengroßen instrumentalen Zirkus auf dieSpitze des Trapezes und hinterlässt mit seinem„frechen Orchesterscherz“ zudem einenperfekt proportionierten Ohrwurmohne jedweden Stumpfsinn.

Elementare Anklängean Schostakowitsch, Strawinsky undVilla-Lobos balancieren Hand in Hand überdas Seil und werden in einer Art Perpetuummobile ständig „abgelenkt“ von störendenMissklängen und Klangkaskaden. Ein musikalischerDrahtseilakt, der sich selbst nichtso ernst nimmt – noch ein Grund mehr fürdie Wiener Philharmoniker unter ValeryGergiev, die „Naughty Limericks“ umsoernster zu nehmen.

Letzteres gilt auch für Tschaikowskys erstesKlavierkonzert, eine künstlerische Hürde,die jeder romantisch orientierte Pianist gernezu nehmen wagt. So auch Daniil Trifonov,der gleichwohl mit entsprechenden Vorschusslorbeerenin die Manege der KölnerPhilharmonie kommt, gewann er doch geradeden Moskauer Tschaikowsky-Wettbewerb!

Kurz zuvor verdrängte er im Rubinstein-Wettbewerb in Tel Aviv die Konkurrenzauf die Plätze. Und verlässt man sich auf GergievsEntdeckerqualitäten – er hob auchAnna Netrebko auf die große Bühne –, sodarf man gewiss sein, dass er auch bei DaniilTrifonov die richtige Spürnase für den Ausnahmetalent-Trüffel bewiesen hat!

Christoph Guddorf

11.01.2012, Mittwoch 20:00R> Daniil Trifonov KlavierR>Wiener PhilharmonikerR>Valery Gergiev DirigentR>

Sergej ProkofjewR>Sinfonie Nr. 1 D-Dur op. 25 (1916–17)„Symphonie classique“

Peter Iljitsch TschaikowskyR>Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1b-Moll op. 23

Nikolaj Rimskij-KorsakowR>Die Sage von der unsichtbaren StadtKitesch und der Jungfrau FewroniaSuite

Rodion SchtschedrinR>Konzert für Orchester Nr. 1 (1963)R>„Naughty Limericks“

Daniil Trifonov ist Gewinner des XIV. InternationalenTschaikowsky-Wettbewerbs2011 Moskau.

KölnMusik gemeinsam mit der WestdeutschenKonzertdirektion Köln

€ 147,– 126,– 105,– 72,– 42,– 10,– | Z: € 90,–

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