Muster-PersonalausweisDie Modellbürgerin wird 50 Jahre alt

Lesezeit 5 Minuten
Das seit 2010 gültige Personalausweis-Muster ist mit dem Geburtsort Berlin und dem Wohnort Köln versehen.

Das seit 2010 gültige Personalausweis-Muster ist mit dem Geburtsort Berlin und dem Wohnort Köln versehen.

Es wird ein ausgesprochen ruhiger Geburtstag werden. Weder Geschenke noch Glückwunschkarten wird es geben, wenn Erika Mustermann am 12. August 50 Jahre alt wird. Deswegen wird sie aber nicht in die Midlife-Crisis stürzen: Erika Mustermann, deren Foto diverse Mustervordrucke ziert, ist bloß eine Erfindung der Behörden. Doch ihr Mythos lebt.

Um ihre etwas verwirrende Biografie zu verstehen, muss man wissen, dass unter diesem Namen verschiedene Phantome unterwegs sind. Schon Ende der 70er Jahre tauchte auf Ausweismustern eine Blondine namens „Renate Mustermann“ auf. Richtig prominent wurde aber erst ihre Nachfolgerin Erika, die in den 80er Jahren ins Rampenlicht trat: Ihr Schwarz-Weiß-Foto prangte auf dem Muster des neuen Personalausweises, der erstmals zentral in der Bundesdruckerei produziert wurde. Die in Plastik eingeschweißte Karte, die 1987 das altgediente graue Ausweisbüchlein ablöste, sollte fälschungssicher sein – eine Reaktion auf Fälschungen der Roten Armee Fraktion (RAF). Erika, die Erste, war eine Blondine mit Ponyfrisur, angeblich am 12. September 1945 in München geboren. Sie war bald im ganzen Land bekannt. „Nach dem 2. Weltkrieg war Erika Mustermann eine der führenden deutschen Persönlichkeiten“, sagt Informatiker Uwe Haupt, der ihr 1995 zusammen mit Kollegen der Uni Bremen eine der ersten Internet-Seiten in Deutschland widmete. „Wir beschäftigten uns damals mit virtuellen Persönlichkeiten. Da drängte sich die Figur Erika Mustermann förmlich auf. Ein Kasten Bier hat dann sein Übriges getan“, erinnert sich Haupt. Aber nicht nur Computerfreaks waren von Erika fasziniert. Auch Briefe von Verehrern und sogar Heiratsanträge sollen für sie bei der Bundesdruckerei eingegangen sein.

Doch die Ära der Original-Erika ging nach zehn Jahren zu Ende. Grund war der technische Fortschritt: Die Ausweisfotos wurden farbig. Die neue Erika, Jahrgang 1957 und ebenfalls gebürtige Münchnerin, trug eine Brille und blickte streng in die Kamera.

Schon vier Jahre später musste sie der dritten Erika weichen, da die Ausweise jetzt mit Hologrammen gesichert wurden. Auf den Mustern lächelte nun, laut damaliger Pressemitteilung der Bundesdruckerei, eine „junge dynamische Frau mit frechem Kurzhaarschnitt“. Eine wie viele Deutsche, eine klassische Babyboomerin, denn geboren war sie in dem Jahr, in dem so viele Deutsche geboren wurden wie nie zuvor oder danach, dem Jahr 1964 (siehe Kasten) – genau am 12. August. Bei diesem Datum ist es geblieben, auch wenn andere Angaben zu Erikas Person variierten: Aus der Münchnerin wurde eine gebürtige Berlinerin, wohnhaft ist sie nach diversen Umzügen von München nach Köln und Berlin seit 2010 wieder in der Kölner Heidestraße. Immerhin sieht Erika seit etwa 2007 auf den Aufnahmen unverändert aus: eine freundlich dreinblickende Blondine mittleren Alters mit langen Haaren und blauen Augen.

Für die Fotos standen offenbar Mitarbeiterinnen der Bundesdruckerei Modell – wer aber wirklich hinter Erika steckt, will niemand verraten. Vor Jahren soll sich die Frau, die ihr das Gesicht verlieh, allerdings gegenüber Journalisten enttarnt haben. Sie bezeichnete sich damals laut „Spiegel“ als „eine gute, anständige Bürgerin“ und zeigte offenbar keine großen Berührungsängste. So zitierte sie das Magazin mit folgenden Worten: „Wenn mich jemand auf der Straße wiedererkennen würde, dann wäre ich stolz.“ Doch das ist lange her. Heute hüllt sich die Bundesdruckerei über derlei Angelegenheiten in Schweigen.

Überraschenderweise findet man im Telefonbuch zwei private Einträge unter dem Namen „Erika Mustermann“, einen davon in Augsburg. Darunter erreicht man aber nicht Frau Mustermann, sondern Herrn Weichselbraun. Früher, erzählt er, habe hier eine größere WG gelebt, die es leid war, ständig neue Bewohner an- und abzumelden. Aus Bequemlichkeit und Kostengründen ließ man den Anschluss daher auf „Erika Mustermann“ laufen. Eigentlich hätten er und seine Frau den Eintrag längst ändern wollen, sagt Peter Weichselbraun, „aber die Post hat’s verpennt.“ Deshalb bekommen die beiden nach wie vor Anrufe in Sachen Mustermann.

Max Mustermann ist erst elf

Es gibt aber auch echte Mustermänner. Da wäre zum Beispiel Erikas männliches Pendant Max Mustermann. Von ihm existiert das Gerücht, er sei mit Erika verheiratet. Schließlich ist sie laut Ausweis eine geborene Gabler – ihren berühmten Nachnamen hat sie also bei ihrer Heirat angenommen.

Doch Max Mustermann ist ledig – er ist nämlich erst elf. Wie ist der Junge, der im niedersächsischen Quakenbrück lebt, zu diesem Namen gekommen? Auf ganz geordneten Wegen: Als seine Eltern seinen Vornamen wählten, haben sie nicht an die berühmten Namensvettern gedacht. „Wir haben den Namen Max eben als schön empfunden“, erzählt Vater Thomas Krogmann, dessen Lebensgefährtin mit Nachnamen Mustermann heißt. „Mustermann ist hier auch kein so besonderer Name“, fügt er hinzu. Im Raum Quakenbrück leben nämlich mehrere Verwandte dieses Namens.

In ganz Deutschland tragen etwa hundert Menschen diesen Nachnamen, wie die Sprachwissenschaftlerin Damaris Nübling von der Universität Mainz erklärt. Erika dagegen ist ein gängiger, wenn auch etwas altmodischer Vorname. Beliebt war er vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Die Erfinder der ersten Erika Mustermann, Jahrgang 1945, haben ihr also einen zeitgemäßen Vornamen verpasst. Etwas aber haben sie nicht bedacht: „Ohne es zu beabsichtigen, haben sie einen »verweiblichten Mann« geschaffen“, gibt Nübling zu bedenken: „Erika“ ist die weibliche Form von „Erich“ beziehungsweise „Erik“. Und der Nachname endet auf „-mann“, obwohl es sich um eine Frau handelt. Bei den Schöpfern war wahrscheinlich der Realitätssinn ausgeprägter als der emanzipatorische Geist: Nachnamen enden nur sehr selten auf „-frau“.

Österreichische Behörden sind da fortschrittlicher. Auf den dortigen Personalausweisbeispielen ist eine „Mag. Dr. Musterfrau Isolde“ abgebildet. Vielleicht könnten die deutschen Behörden etwas Boden wettmachen, wenn sie ihrer Erika zum 50. wenigstens einen Doktortitel schenken.

Ein Hoch auf uns

Prominente, die 2014 ihren 50. feiern

Sie heißen Stefan, Sabine und Claudia. Und sie sind viele. Unter den geburtenstarken Jahrgängen der Babyboomer sind sie der stärkste: 1964 kamen in Deutschland 1 357 304 Babys zur Welt, Rekord in der Nachkriegszeit und etwa doppelt so viele wie heute.

KStA abonnieren