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Neubrück und der Hauch des Kalten Krieges

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Fünfte Etappe: Von Seoul nach Neubrück: Juwelier und Uhrmacher Woo-Been Chung führt sein Geschäft seit mehr als 20 Jahren.

Fünfte Etappe: Von Seoul nach Neubrück: Juwelier und Uhrmacher Woo-Been Chung führt sein Geschäft seit mehr als 20 Jahren.

Die Sonne scheint, der Himmel ist blau, der Tag hätte so schön beginnen können. Doch am Eingang zum Wochenmarkt an der Ostheimer Straße in Vingst verteilen die rechtsextremen Bauernfänger neben den Papiercontainern ihre Kommunalwahl-Pamphlete mit dumpfen Parolen: „Konsequente Abschiebung, keine Großmoschee, keine Kopftücher an Schulen.“ Die Marktbesucher interessiert das nicht. Sie kaufen bei den Indern Rawisa Kappor und Rudi Singh, die seit 1978 in Köln leben, lieber ein paar Jeans für zehn Euro und nebenan beim Türken ihr frisches Gemüse. „Die Geschäfte gehen schlecht“, sagt Rudi Singh und rückt seinen Turban zurecht. „Die Leute haben einfach kein Geld.“ Preiswerte Kopftücher habe er übrigens auch im Angebot.

Expedition K (5)

Freitags wird geputzt. Zu unserer Überraschung poliert ein paar hundert Meter weiter ein Rentner mit nacktem Oberkörper seinen gepflegten Jaguar. „Den habe ich aus zweiter Hand, von einem Topmanager. Der ist billiger als ein Mercedes.“ Am Nachmittag will er Golf spielen, bei einem Benefizturnier.

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Vor der Hochhaussiedlung gegenüber knattert Hausmeister Franz-Erwin Ganster von der örtlichen Wohnungsgesellschaft mit dem knallgelben Kärcher durch seine Siedlung. Wie jeden Tag. „Ich habe immer Bereitschaft, wie ein Doktor“, sagt er. Rund 1000 Menschen leben hier in 261 Wohnungen. „Da sind auch ein paar bunte Vögel dabei, da ist immer was zu tun.“ Der Kärcher hat einen eigenen Einstellplatz und Ganster die Sorge, dass mit 65 Jahren die Rente nicht reichen könnte. „Die Politiker würden uns doch am liebsten arbeiten lassen, bis wir umfallen.“

Wir müssen weiter, jenseits der Frankfurter in der Servatiusstraße muss es eine Unterführung durch die Autobahn nach Neubrück geben. Frische Gartenblumen, Strauß 2,50 Euro, steht an einem Wohnzimmerfenster. Seit 30 Jahren mache sie das schon so, sagt die ältere Frau, die wie der Jaguar-Fahrer ungenannt bleiben möchte. „Das ist doch nur mein Hobby.“ Wir sind zu weit, müssen jetzt bis zur Olpener Straße laufen. Zum Glück, denn auf dem Parkstreifen will Veli Tekin mit der Familie in seinem vollbepackten Golf Joker in den Urlaub starten. Im Zweier-Konvoi (ein Golf, ein Focus) mit Freunden bis nach Adana. 4000 Kilometer in drei Tagen und nach vier Wochen das Ganze wieder zurück. Wie jedes Jahr. Tekin arbeitet bei Ford, Halle Y, Fiesta-Montage. „Wo sonst?“, sagt er und lacht. Und dass er keinen Ford fährt, weil „der Golf mein Hobby ist“.

Die Sonne brennt, vor unseren Augen taucht am Horizont der Olpener Straße ein Schlitten mit zwei Rentieren auf. Eine Fata Morgana? Ist die Expedition K mit ihren Kräften am Ende? Beim Näherkommen entpuppt sich die Wahnvorstellung zwar als Weihnachtsbeleuchtung des Elektromeisters Wagner und Schmidt, doch wir machen vorsichtshalber mal eine Pause. Erst Aprikosenschnittchen und Fleischwurstbrötchen bei Kaisers, und dann wird's noch bequemer.

Nach der verzweifelten Suche des Ausgangs Richtung Neubrück vom Merheimer Krankenhausgelände leisten wir uns einen Fremdenführer. Horst Edler, pensionierter Bundeswehroffizier, und sein Enkel Christian (10) weisen uns nicht nur den richtigen Weg. Der 67-Jährige („Ich bin Realist, Atheist und Optimist“) erweist sich als echter Kenner der ehemaligen Konrad-Adenauer-Siedlung, die seit langem Neubrück heißt. Im Kollwitzweg beeindruckt er uns mit dem Hinweis auf das Haus des ehemaligen Top-Spions Hansjoachim Tiedge, der 1985 nach Moskau überlief. Zum ersten Mal auf unserer Reise bekommen wir eine Gänsehaut. Für einen Augenblick kehrt ein Hauch des Kalten Kriegs nach Neubrück zurück, und das ist längst nicht das letzte As, das Edler aus dem Ärmel zieht. Auf dem Platz an St. Adelheid führt uns der Ex-Offizier zu Woo-Been Chung, einem Uhrmachermeister, den es vor 34 Jahren nach Deutschland verschlagen hat. „Hier haben wir nach 45 Jahren Ehe unsere Ringe gravieren lassen“, sagt er und Chung lacht freundlich. „Lauf schon zur Oma, ich komme gleich zum Mittagessen“, sagt der Ex-Offizier zu seinem Enkel. „Ich zeige den Herren noch den Schleichweg zum Baggersee.“

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