Abo

Im InterviewDie Chefredaktion über das Konzept des neuen Newsrooms

Lesezeit 10 Minuten
Carsten Fiedler („Kölner Stadt-Anzeiger“), Mara Bergmann (n-tv), Constantin Blaß (EXPRESS) und Thomas Kemmerer (General Manager Digital) vor der Medienwand des neuen Newsrooms.

Carsten Fiedler („Kölner Stadt-Anzeiger“), Mara Bergmann (n-tv), Constantin Blaß (EXPRESS) und Thomas Kemmerer (General Manager Digital) vor der Medienwand des neuen Newsrooms.

Köln – Im Gespräch mit Mara Bergmann, Moderatorin bei n-tv, erklären die Chefredakteure Constantin Blaß und Carsten Fiedler sowie Digital-Manager Thomas Kemmerer das Konzept des Newsrooms.

Meine Herren, der „Kölner Stadt-Anzeiger“ und der EXPRESS in einem gemeinsamen Newsroom – passt das eigentlich zusammen?

Constantin Blaß: Das passt sehr gut zusammen, denn beide Redaktionen kümmern sich um oft die selben Themen, wenn auch mit unterschiedlicher Herangehensweise. Das Neue und auch bundesweit in dieser Form Einmalige ist die Art, wie bei uns eine Abonnement-Zeitung und eine Boulevard-Blatt in einer Stadt zusammenarbeiten. Es bleibt dabei, dass beide Titel für sich recherchieren und eigene Reporter losschicken, wenn es um die markenprägenden Themen geht, um den 1. FC Köln zum Beispiel oder um die Lokalpolitik. Aber es ist gut für uns, zu wissen, was der jeweils andere Titel aktuell plant oder welche spannenden Nachrichten und Geschichten er aktuell herausbringt.

Das war früher das am besten gehütete Geheimnis. Empfinden sich die beiden Zeitungen nicht mehr als Konkurrenten?

Blaß: Unsere Konkurrenz sitzt nicht im eigenen Haus, sondern draußen. „Wir sind DuMont“, diese Verbundenheit innerhalb der Mediengruppe gilt auch hier. Natürlich wetteifern wir weiter um die exklusive Nachricht und die beste Story. Aber wir enthalten sie einander nicht vor, sondern verweisen aufeinander und profitieren voneinander. Diese Transparenz in der Zusammenarbeit macht am Ende beide Zeitungen besser. Davon sind wir fest überzeugt.

Carsten Fiedler: Der gemeinsame Newsroom ist ein wesentlicher Teil unserer Antwort auf die Herausforderungen der Digitalisierung, die längst alle Lebensbereiche erfasst hat, insbesondere natürlich den Umgang mit Medien.

Blaß: Unser Newsroom – das sind 1000 Quadratmeter Zukunft.

Wie sieht das konkret aus?

Fiedler: Wir haben dort mehr als 100 Arbeitsplätze zur Verfügung. Die Kollegen aus den zentralen Ressorts – News, Sport, Lokales – sitzen direkt nebeneinander. Jeder weiß jetzt vom anderen, was der gerade macht. Jeder kann unmittelbar mit jedem kommunizieren. Das erleichtert die Zusammenarbeit, das ermöglicht die schnelle Hilfe, wo immer sie gebraucht wird. Herzstück des Newsrooms ist der Entscheider-Desk, der die Gesamtsteuerung der Titel übernimmt und überlegt, wie sie die besten Geschichten des Tages bestmöglich aufbereiten und an die Leser bringen. Die räumliche Nähe erleichtert Planung und Abstimmung. Wir schaffen die Barrieren ab – zwischen den Zeitungstiteln, zwischen Ressorts und zwischen den Mitarbeitern. Ich meine: Die ganze Welt ist heute vernetzt, und da sollte ausgerechnet in einer Redaktion jeder getrennt vor sich hinarbeiten? Das wäre doch absurd.

Führt barrierefrei zu Einheitsbrei?

Fiedler: Auf keinen Fall! Beide Zeitungen behalten ihren Charakter. Das Motto unserer künftigen Kooperation lautet deshalb: „So viel gemeinsam, wie möglich; so viel getrennt, wie nötig.“

Thomas Kemmerer: Bestimmte Funktionen eignen sich ideal für Pool-Lösungen. Etwa der Bereich Foto und Video, aber auch der Datenjournalismus oder die Webanalyse. Es ist nicht sinnvoll, für die neugeborenen Erdmännchen zwei Fotografen in den Kölner Zoo zu schicken. Einen von beiden können wir viel besser für andere Aufgaben einsetzen.

Fiedler: Etwas Ähnliches gilt für unsere Reporter, die wir noch gezielter auf die großen Themen des Tages ansetzen können, wenn parallel dazu bestimmte Termine von einem Kollegen für beide Titel wahrgenommen werden. Anders gesagt: Höhere Konzentration an der einen Stelle, größere Durchschlagskraft an der anderen.

Blaß: Wie hervorragend das funktionieren kann, haben die Reporter-Teams beider Zeitungen mit ihren Recherchen zur Kölner Silvesternacht 2015 gezeigt. Sie haben in der Sache an einem Strang gezogen, ohne einen Einheitsbrei zu servieren. Im Gegenteil: Kein Leser dürfte das Gefühl gehabt haben, der EXPRESS habe über die Silvesternacht nicht EXPRESS-like geschrieben oder der „Stadt-Anzeiger“ sei in seiner Berichterstattung nicht der „Stadt-Anzeiger“ gewesen. Diese doppelte Leistung – Bündelung der journalistischen Kapazitäten und Unverwechselbarkeit – wurde nicht umsonst mit renommierten Preisen ausgezeichnet.

Aber „Konzentration“ ist auch eine freundliche Umschreibung von Einsparungen.

Fiedler: Dass die Kosten eine Rolle spielen, wird im Ernst niemand leugnen. Aber wir machen aus der ökonomischen Notwendigkeit etwas journalistisch Sinnvolles. Und es ist doch klar: Beide Zeitungen würden sich allein viel schwerer tun. Gemeinsam sind wir stärker. Deshalb handelt es sich bei unserem Newsroom-Konzept eben nicht um ein reines Sparprogramm, sondern um ein Innovationsmodell.

Kemmerer: Aus dem Zusammenspiel der Kollegen, die sich um die Print-Ausgabe und um die verschiedenen digitalen Kanäle kümmern, ergeben sich zudem ganz neue Chancen, Themen weiterzudenken, fortzuschreiben und überraschend zu präsentieren. In der Datenanalyse sind wir ja heute längst über das bloße Zählen von Klicks hinaus. Wir können heute anhand der Verweildauer auf einem bestimmten Artikel, an der Häufigkeit der Empfehlungen oder der Ausdrucke sehr genau auf den Wert für die Leser schließen. Durch ihr Verhalten geben uns die Leser ein direktes Feedback, sie zeigen uns, was für sie wichtig ist. Sie sitzen im Newsroom gewissermaßen selber mit am Entscheider-Tisch.

Und bekommen künftig primär das vorgesetzt, was ihnen schmeckt?

Blaß: Nein, unser Angebot bleibt vielfältig, bunt, überraschend. Wir wollen auch weiterhin erklären, Hintergründe aufhellen, in die Tiefe gehen. Wir reden unseren Lesern auch nicht nach dem Mund, nur weil wir durch die Webanalyse eine Vorstellung davon haben, was ihnen schmeckt, um im Bild zu bleiben. Aber was heute jeder Kunde an personalisiertem Service etwa im Einzelhandel gewohnt ist, das erwartet er als Leser mit Recht auch von seiner Zeitung.

Fiedler: Wir tun nichts anderes, als auf die veränderte Mediennutzung und die veränderten Bedürfnisse unserer Leser zu reagieren. Wenn sie heute zehn-, zwanzigmal am Tag nach „Breaking News“ auf ihrem Smartphone schauen, dann müssen wir ihnen relevante Nachrichten liefern – und zwar so individuell, so passgenau wie irgend möglich. Dafür bietet unser Newsroom-Modell die idealen Voraussetzungen. Ich nenne das „themenorientiertes Arbeiten“. Früher hat der Redaktionsschluss der gedruckten Zeitung den Rhythmus unserer Arbeit bestimmt. Heute sind wir von solchen willkürlichen Zäsuren unabhängig. Stattdessen fragen wir: Wie bereiten wir ein Thema so auf, dass wir in allen Medienkanälen optimal informieren? Brauchen wir Bewegtbilder? Einen kurzen Kommentar für Online, der später womöglich zu einem Leitartikel ausgebaut werden kann? Dieser themenorientierte Ansatz führt am Ende dazu, dass wir unseren Lesern bessere Produkte liefern…

Kemmerer: … und dass wir ihm eine bestmögliche Hilfe sind. Ein Beispiel: Wenn morgen früh die Zoobrücke gesperrt wird, dann ist das für die Kölner und alle Besucher der Stadt zunächst einmal eine wichtige Nachricht. Völlig klar. Mehrwert aber liefern wir den Lesern, wenn wir ihnen nicht nur sagen, was der Grund für die Sperrung ist, sondern auch, wie sie sich umfahren lässt und wann sie wieder aufgehoben wird. Diese Informationen müssen wir möglichst schnell einholen und weitergeben, sinnvollerweise über Messenger-Dienste auf Smartphone oder Tablet.

Fiedler: Im nächsten Schritt müssen wir überlegen, was wir am folgenden Tag in der gedruckten Zeitung an Zusatzinformationen und an Vertiefung liefern: Wie hat sich das Verkehrsaufkommen entwickelt? Was tun Stadt und Land zur Entlastung der Verkehrsknotenpunkte? Sie merken schon, da braucht es Fantasie, Neugierde, Kreativität. Und auch hier gilt: Die besten Gedanken kommen zustande, wenn man die Köpfe zusammensteckt. Unser Newsroom ist auch ein Ort für überraschende Ideen und Geistesblitze.

Kemmerer: Wir punkten bei unseren Lesern, indem wir ihnen weiterhelfen, wann immer sie eine Frage an uns oder ein Anliegen haben. Der „Stadt-Anzeiger“ zum Beispiel ist im Digitalen sehr erfolgreich mit seinen Tipps für Ausflüge: Wo soll ich mit meinen Kindern am Wochenende hingehen? Frag„ den „Stadt-Anzeiger“! Der EXPRESS wiederum ist die Anlaufstelle, sobald sich irgendwas beim 1. FC Köln tut: Was ist dran an den jüngsten Transfer-Gerüchten? Geh auf express.de!

Aber was macht denn nun den „Stadt-Anzeiger“ aus, was den EXPRESS?

Kemmerer: Das muss an jedem Tag, bei jedem Thema neu betrachtet und bewertet werden. Und das kann nirgends besser passieren als am gemeinsamem Tisch in ständigem kollegialem Austausch.

Blaß: Der EXPRESS ist von den beiden Brüdern in der DuMont-Familie der schnelle, emotionale – gut gelaunt, mitten im Stadtleben, zu hundert Prozent kölsch, begeistert für den FC.

Fiedler: Der „Stadt-Anzeiger“ ist der seriöse, ruhige, nachdenkliche der beiden Brüder – Nachrichtenquelle für Köln und die Region, kritische Instanz, Agendasetter für Politik und Gesellschaft, Forum für Debatten, verlässlicher Begleiter im Alltag seiner Leser.

Und wie sieht nun die Zukunft der Zeitung aus?

Fiedler: Es wird die gedruckte Zeitung weiterhin geben. Aber wir stellen uns darauf ein, dass eine immer größere Zahl unserer Leser über Smartphone und Tablet auf die Inhalte zugreifen, die wir ihnen anbieten.

Kemmerer: Der vielleicht spannendste Kanal zurzeit ist für uns Whatsapp, weil wir hier in einem sehr persönlichen Austausch mit den Nutzern sind. Wir schicken ihnen auf direktem Weg Informationen, die wir für wichtig halten. Umgekehrt wenden sich die Leser mit ihren Fragen und Anliegen direkt an uns. Wir haben es geschafft, ein Gefühl wechselseitiger Partnerschaft und Loyalität zu erzeugen. Unsere User sind nicht heute hier und morgen da, sondern kommen in großer Zahl regelmäßig zu uns. Und das ist sogar messbar: Im Oktober hat der Digital-Auftritt des EXPRESS zum ersten Mal die Marke von 30 Millionen Besuchen geknackt. Damit sind wir bundesweit das erfolgreichste Internet-Angebot einer regionalen Tageszeitung.

Das könnte Sie auch interessieren:

Fiedler: Wenn man ehrlich ist, wird man sagen müssen: Die Verlagshäuser haben über viele Jahre hinweg mühsam versucht, mit der technischen Entwicklung Schritt zu halten. Ich glaube, die neue Form des Arbeitens in einem Newsroom wie unserem bringt uns wieder in die Offensive. Wir können auf der Höhe der Technik innovative journalistische Angebote machen. So wird der „Stadt-Anzeiger“ bereits am kommenden Wochenende eine Sonntags-Ausgabe als E-Paper herausbringen. Es wird einen täglichen Newsletter der Chefredaktion geben. Und wir werden den klassischen Abo-Gedanken ausweiten auf eine Art Club-Prinzip für unsere Leser – mit exklusiven Führungen, Diskussionsveranstaltungen, Kaminabenden mit lokalen Prominenten. Darin liegt auch ein Stück Zukunft für die Marke „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Können sich die Leser den Newsroom auch persönlich anschauen?

Fiedler: Auch das, mit Sicherheit! Jeder zeigt doch das gerne her, worauf er stolz ist. Und als Redaktion legen wir Wert auf Transparenz und auf den direkten Kontakt zu unseren Lesern.

Worauf dürfen sich die EXPRESS-Leser freuen?

Blaß: Wir experimentieren unter anderem mit Zusatz-Angeboten für die Samstag-Ausgabe. Auch die Boulevard-Zeitung mit ihrer starken Orientierung am Einzelverkauf wird am Wochenende noch intensiver genutzt als werktags. Dem wollen wir Rechnung tragen – unter anderem mit einem ausgebauten Service.

Wie kommt das neue Modell eigentlich intern an?

Blaß: Neuerungen stoßen immer auf eine gewisse Skepsis – und das zu Recht, weil sie nun einmal mit der Abkehr von Vertrautem verbunden sind. Wer viele Jahre lang in einem Einzelbüro gearbeitet hat, muss sich an einen Großraum sicher erst einmal gewöhnen. Aber die Kolleginnen und Kollegen lassen sich sehr bereitwillig darauf ein, weil sie die Notwendigkeit und auch die Vorteile erkennen.

Fiedler: Ich habe das Gefühl, der Newsroom lässt einen neuen Teamgeist entstehen. Das finde ich faszinierend und begeistert mich umso mehr für unser Modell. Denn wir wissen alle: Der Prozess der Veränderungen ist keineswegs zu Ende. Es wäre vermessen, zu sagen, wir wüssten schon heute, was in fünf Jahren die Trends sind. Aber mit der flexiblen Struktur des Newsrooms haben wir beste Chancen, sie frühzeitig erkennen und darauf reagieren zu können.

Haben Sie schon eine Idee, was die nächste große Innovation sein könnte?

Kemmerer: Ich tippe darauf, dass die Sprachsteuerung einen gewaltigen Aufschwung erfahren wird. Vielleicht werden die Leser unsere wichtigsten Nachrichten schon bald mit Hilfe von Alexa und Co. abrufen und uns ihre Fragen übermitteln: „Was ist da los auf dem Ebertplatz?“ – „Wieso kreist über meiner Wohnung schon eine halbe Stunde der Polizeihubschrauber?“ Sie sehen: Es bleibt spannend.

KStA abonnieren