Nobel-PreisDie Ölgeschäfte der Nobel-Brüder

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Alfred (li.) und Ludwig Nobel in der 1840er Jahren in Petersburg (Bild: Nobel-Stiftung)

Alfred (li.) und Ludwig Nobel in der 1840er Jahren in Petersburg (Bild: Nobel-Stiftung)

An der Straße zwischen dem Flughafen und der Altstadt von Baku liegen die Überreste eines Paradieses. Mit Blick über das Kaspische Meer steht eine alte Villa am Hang. Der Wind, der über ihre Dächer und durch ihren verkümmerten Park weht, riecht auch heute noch frisch, nach See und Bergen. Steht man auf dem Turm der Villa, sieht man die glitzernde Wasseroberfläche des Meeres. Tief unter dem Wasser liegt ein kostbarer Rohstoff. Vor mehr als 130 Jahren hat er die Erbauer der Villa in diesen südlichsten Zipfel des russischen Reiches nach Aserbaidschan gelockt. Erdöl.

Doch die Zeit ist dieser Villa, der „Villa Petrolea“, nicht wohlgesinnt gewesen. Der einst prächtige Garten wurde noch zu sowjetischer Zeit auf Handtuchgröße beschnitten. Zwischen Haus und Meer liegen nun ein Industriegebiet, ein Vergnügungspark und eine achtspurige Autobahn. Wie zum Hohn trägt diese den Namen der einstigen Besitzer der Villa Petrolea: Nobel-Chaussee.

Sie suchten Holz und fanden Öl

Zwischen den Jahren 1882 und 1884 hat die berühmte Industriellenfamilie aus Schweden hier eine Residenz für sich und ihre skandinavischen Angestellten gebaut. Der Garten der Siedlung reichte damals bis hinunter ans Ufer des Meeres, seine Beete waren gefüllt mit schwarzer Erde aus dem Süden Aserbaidschans. Seine Blumen und Bäume bekamen Frischwasser aus den Bergen, das durch eine Pipeline in die Halbwüste Bakus floss. Hier traf sich einst die feine Gesellschaft des ersten Ölbooms, um der sommerlichen Hitze und dem Staub in den Straßen der Stadt zu entfliehen. Man picknickte, feierte Bälle, traf sich zum Billardspielen. Jeden Winter wurden 80 Tonnen Eis im Keller der Villa eingelagert: als Kühlschrank und Klimaanlage.

Heute verfällt in den Überresten des Villen-Parks ein altes Theater unbestimmbaren Baudatums. Des Hauses selbst hat sich vor vier Jahren eine Stiftung angenommen und ein Nobel-Museum mit Businessclub eingerichtet. Doch das Gebäude wurde zu Tode restauriert, die alten Holzveranden sind steinernen Terrassen gewichen, im Inneren stehen Überreste der originalen Einrichtung wie zusammenhangslose Dekorationsobjekte herum und an den Wänden hängen der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev und sein Vater und Vorgänger in Öl. Einzig das elegante Zusammenspiel zwischen der steinernen Wendeltreppe in den ersten Stock und der eisernen Stiege hinauf auf das Dach des Turmes spiegelt etwas vom Geschmack der Zeit.

Kombination aus Zufall und Geschäftssinn

Wer heute Nobel sagt, denkt an die Nobelpreise und an ihren Stifter Alfred Nobel. Als der Erfinder des Dynamits im Jahr 1896 starb, verfügte er in seinem Testament, dass sein gesamtes Vermögen in eine Stiftung übergehen sollte, die jedes Jahr die besten Leistungen in der Literatur, Chemie, Physik und Medizin auszeichnen sollte. Außerdem sollte jährlich ein Friedenspreis verliehen werden. Zu den unbekannteren Seiten Alfreds gehört allerdings, dass er gemeinsam mit seinen älteren Brüdern Robert und Ludwig einer der größten Ölmagnaten seiner Zeit war und dass etwa zwölf Prozent des Stiftungsvermögens, aus dem heute die Nobelpreise gezahlt werden, mit Öl aus Aserbaidschan verdient wurde.

Es war eine Kombination aus Zufall und Geschäftssinn, die die Brüder Nobel, Waffenfabrikanten aus Sankt Petersburg, nach Baku brachte. 1873 reiste Robert Nobel auf der Suche nach geeignetem Holz für Gewehrkolben nach Aserbaidschan. Doch statt Holz fand er Öl. Das schwarze Gold lag in dem Land so dicht unter der Erdoberfläche, dass es an vielen Stellen ans Tageslicht blubberte. Seit Jahrhunderten füllten die Bewohner der Gegend es in ihre Lampen, befeuerten damit ihren Herd und heizten ihre Häuser.

Baku der Schmelztiegel

Robert kam genau rechtzeitig. 1873 begannen die ersten Industriellen, im Süden des russischen Reiches systematisch nach Öl zu bohren. In Balachani bei Baku kam es am Förderturm Vermischevski zu einem großen Blowout: Eine meterhohe Ölfontäne schoss aus dem Boden, 13 Tage dauerte es, bis das Bohrloch unter Kontrolle war. Robert erkannte das Potenzial der zähen Flüssigkeit und ergriff seine Chance. Er kaufte einem niederländischen Kapitän eine Raffinerie und ein Stück Land bei Baku ab und grub. Im Herbst 1875 nahm sein Betrieb die Produktion auf.

Der sagenhafte Reichtum, der in Baku auf diese Art zu verdienen war, ließ die Stadt wachsen: Juden kamen aus der Ukraine, Ingenieure aus Schweden und Norwegen, Georgier, Armenier, Russen und Deutsche suchten hier ihr Glück. Baku wurde zu einem Schmelztiegel.

Als Robert mehr Geld brauchte, gründeten die Nobelbrüder eine Kapitalgesellschaft: Branobel. Von nun an übernahm Bruder Ludwig die Leitung und Bruder Alfred ließ sich durch Briefe auf dem Laufenden halten. Ludwig, der wie der berühmte Dynamit-Erfinder Alfred ein Tüftler war, revolutionierte die Ölindustrie im Alleingang: Die Nobels pumpten als erste ihr Öl von den Fördergebieten in die Raffinerien der „schwarzen Stadt“ vor den Toren Bakus. Ludwig setzte als erster Dampfmaschinen zum Bohren ein. Er baute den ersten Tanker, der Kerosin sicher transportieren konnte ohne dabei in die Luft zu fliegen. Innerhalb weniger Jahre verdrängte Branobel die amerikanische Standard Oil vom russischen Markt und produzierte zehn Prozent des weltweit verkauften Öls.

Die Familie rang ums Erbe

Doch der Erfolg forderte seinen Tribut. Vier Jahre, nachdem er die Villa Petrolea gebaut hatte, starb Ludwig 1888 im Alter von 57 Jahren in Cannes an Erschöpfung. Im gleichen Jahr stiftete Branobel in Erinnerung an Ludwig einen Wissenschaftspreis – sozusagen den ersten Nobelpreis. Heute ist er vergessen.

Als Alfred Nobel acht Jahre später starb, musste sein Neffe gegen die Familie kämpfen. Alfred hatte die Nobel-Stiftung gegründet, die Familie stritt nun darum, wie mit seinem Anteil am Ölimperium umzugehen sei. Zwei Jahre rangen sie. Dann zahlte der Neffe 18 Millionen Pfund in die Nobelstiftung ein.

Und wieder sprudelt das Öl

Die russischen Revolutionen von 1905 und 1917 beendeten die Ära der Ölbarone. Als die Rote Armee Baku 1920 einnahm, gingen die Raffinerien, Eisenbahngleise und Tanker der Gebrüder Nobel in Flammen auf oder wurden verstaatlicht. Die Villa Petrolea wurde erst zum Kinderheim, dann verfiel sie. Was brauchbar war, trugen Marodeure davon.

Heute ist es in Baku als wiederholte sich die Geschichte: Seit zehn Jahren spült ein zweiter Ölboom Milliarden nach Aserbaidschan. Konzerne wie BP und Shell konkurrieren um Deals. Und die neuen Herren des Öls treffen sich in der Villa Petrolea, dem „Baku Nobel Business Club“. Auch die Lage am Hang über dem Kaspischen Meer scheint ihren Reiz nicht verloren zu haben: Auf dem Nachbargrundstück werden gerade mehrere neue Villen gebaut.

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