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Dortmunder Neonazi-SzeneEntschlossen gegen die Angst

Lesezeit 7 Minuten
Unbekannte beschmierten die Hausfassade mit Hakenkreuzen.

Unbekannte beschmierten die Hausfassade mit Hakenkreuzen.

Dortmund – Nach jener Nacht im Januar, als Unbekannte zwei Hakenkreuze an die Wand seines Wohnhauses im Dortmunder Stadtteil Menglinghausen geschmiert hatten, war selbst Robert Rutkowski kurzzeitig schockiert. Dabei ist der 52-Jährige, der sich seit drei Jahren bei Demonstrationen auf der Straße und mit seinem Blog im Internet furchtlos mit der Dortmunder Neonazi-Szene anlegt, durchaus einiges gewohnt. „Damit das klar ist“, sagt er und verschränkt entschlossen die Arme, „einschüchtern lasse ich mich dadurch nicht. Ich will nicht, dass die Menschen hier in Angst leben müssen. Deshalb bin ich so offen.“

Offen – und angreifbar. Warum sich die Dortmunder Neonazi-Szene, zu deren hartem Kern die Polizei 30 bis 40 Personen zählt, seit einem knappen Jahr offenbar immer weiter radikalisiert, kann Rutkowski nur vermuten. Fest steht: Die Neonazis haben ihn ins Visier genommen. Der Mitarbeiter der beiden Dortmunder Landtagsabgeordneten Birgit Rydlewski und Torsten Sommer von den Piraten wird auf Twitter beleidigt, mit nicht bestellten Newslettern per E-Mail und Totholz-Post in Form von Katalogen und Werbebroschüren zugeschüttet. Und auf sehr subtile Weise mit dem Tode bedroht. „Die Übergriffe aus der rechten Szene laufen seit Juni 2014 mit steigender Intensität. Man kann das eine Spirale der Eskalation nennen.“

Doch Rutkowski gibt nicht klein bei und hat auch keinerlei Problem damit, die Übergriffe in seinem Blog zu dokumentieren. „Ärgerlich, Hr. Rutkowski, dass sie nicht verreckt sind. 14/88“, schreibt ein anonymer Absender in einem Tweet eines Eintagsfliegen-Accounts, der sich nicht zurückverfolgen lässt. „14/88“ ist ein eindeutiges rechtsextremes Symbol: Die 14 bezieht sich zum einen auf ein Zitat des amerikanischen Rechtsterroristen und Rassisten David Eden Lane, steht in Kombination mit der 88 aber auch für die entsprechenden Buchstaben des Alphabets: Auf Deutschland, Heil Hitler.

Rutkowski ist nicht der Einzige, der ins Fadenkreuz der Neonazis geraten ist. Kurz vor dem Jahreswechsel tauchen im Internet Todesanzeigen gegen ihn und fünf weitere Dortmunder auf, die sich zum Teil seit Jahren im Kampf gegen den Rechtsextremismus engagieren. Zu dritt wagen sie in den Schritt an die Öffentlichkeit: neben Rutkowski der freie Journalist Sebastian Weiermann und Iris Bernert-Leushacke vom Dortmunder Anti-Nazi-Bündnis BlockaDo. „Wir haben Strafanzeige erstattet, weil wir glauben, dass Öffentlichkeit auch eine gewisse Art von Schutz bietet. Natürlich hat das gewirkt. Das sollte mich einschüchtern, mich beeindrucken. Aber genau das Gegenteil passiert“, sagt Rutkowski. Dass Dortmunder Neonazis hinter den fingierten Todesanzeigen stecken, lässt sich zwar nicht belegen, ist aber sehr wahrscheinlich.

Unter den Anzeigen steht der Hinweis auf den Internetversand des führenden Dortmunder Neonazis Michael Brück, der neben Dennis Giemsch und Siegfried Borchardt zum harten Kern des Nationalen Widerstands Dortmund zählte, einer rechtsextremistischen Vereinigung, die im August 2012 von NRW-Innenminister Ralf Jäger verboten wurde und letztlich in den Landesverband NRW der Partei „Die Rechte“ überging. Deren Bundesvorsitzende ist der Neonazi Christian Worch.

Die Dortmunder Polizei beobachtet die Radikalisierung der rechtsextremistischen Szene und der Partei „Die Rechte“ mit Sorge. Vor allem seit der Kommunalwahl im Mai, als es den Rechten gelang, mit mehr als 2000 Stimmen mit einem Mandat in den Stadtrat einzuziehen, haben sich Klima und Umgangston merklich verschärft. Zunächst saß Siggi Borchardt, der berüchtigte „SS Siggi“, im Stadtrat, hat seinen Platz inzwischen für Dennis Giemsch geräumt und hockt nur noch in der Bezirksvertretung Nord. Rechtsextreme in den Stadtgremien: Das ist auch die Folge einer Kommunalpolitik, bei der die etablierten Parteien vor den Wahlen ganze Stadtviertel kampflos aufgegeben hatten.

„Wir haben den Eindruck, dass sich die Rechte immer mehr radikalisiert und versucht, sich ihrem Vorbild aus den 1930er Jahren, der NSDAP, anzunähern“, sagt Dortmunds Polizeisprecher Kim Ben Freigang. „Natürlich verfehlen diese Einschüchterungsversuche ihre Wirkung nicht.“ Der harte Kern der Rechtsextremen sei zwar überschaubar, „aber sie haben ein hohes bundesweites Mobilisierungspotenzial.“ Es sei schon eine andere Qualität, wenn bei Demonstrationen der Rechtsextremen, wie unlängst geschehen, das Konterfei des Leiters der Abteilung Staatsschutz samt Namen mitgeführt werde. „Gerade deshalb ist es wichtig, dass die Öffentlichkeit von solchen Dingen erfährt. Die Polizei sollte immer vorab eingeschaltet werden.“

Eine juristische Bewertung der sogenannten Todesdrohungen könne die Polizei nicht abgeben. Das sei Sache der Staatsanwaltschaft. „Wir wissen, dass die Rechtsextremisten oft knapp unterhalb der Strafbarkeit agieren.“ Dennoch sei jede Anzeige ein neuer Anlass, Ermittlungen aufzunehmen. „Die wird nicht einfach zu den Akten gelegt.“ Die Polizei beobachte den harten Kern der Neonazi-Szene sehr genau und habe sich dazu entschlossen, jeden einzelnen „personenbezogen zu behandeln“. Da könne selbst ein vergleichsweise kleines Delikt wie das Schwarzfahren durchaus strafrechtliche Folgen haben. In Dortmund hat die Polizei schon seit längerem eine Beratungshotline zum Thema Rechtsextremismus geschaltet.

Doch die Einschüchterungsversuche gehen weiter. Am Dienstagmorgen tauchen weitere Tweets auf, in denen vier Redakteure der „Ruhr-Nachrichten“, der Internet-Plattform „Ruhrbarone“ und des „Nordstadtblogs“ mit fingierten Todesanzeigen bedroht werden. „Das ist eine klare Reaktion auf die Strafanzeigen, die wir erstattet haben“, glaubt Rutkowski.

Auf dem Dorstfelder Wilhelmplatz, der zur Hochburg der Neonazi-Szene gehört, kommt es am Montagabend gegen halb zehn zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit 30 zum Teil vermummten Personen. Es fliegen Flaschen, die zuvor aus einem Kiosk gestohlen worden sind. Eine Gruppe sei eindeutig dem rechtsextremistischen Spektrum zuzuordnen, heißt es später im Polizeibericht. Sechs Männer und eine Frau aus der rechten Szene seien wegen des Verdachts auf Landfriedensbruch festgenommen worden. Die Polizei hat eine Ermittlungsgruppe unter Beteiligung des Staatsschutzes eingerichtet.

Robert Rutkowski beobachtet diese Entwicklungen mit zunehmender Sorge. Mit jedem fingierten Newsletter, mit jeder Werbung, die an seine Adresse gelangt, mit einem Paket, das er nicht angenommen, mit Pizza-Bestellungen an die Geschäftsstelle der Dortmunder Piraten, die er nie getätigt hat, sei nur ein Zweck verbunden. „Die wollen mir beweisen, dass sie mich unter ständiger Beobachtung haben, und mich so mürbe machen. Wenn ich irgendwo auftauche, werde ich freundlich mit »Hallo, Robert« begrüßt. Wenn ich im Netz mitteile, dass ich an diesem Montag mal nicht zur Anti-Pegida-Demo nach Duisburg fahre, kommt sofort die Reaktion: »Schade, Robert, das wäre doch schade, wenn wir uns heute Abend in Duisburg nicht treffen.« Das sind alles Einschüchterungsversuche.“

Spätestens seit dem Einzug von Siggi Borchardt in den Stadtrat hat Dortmund auch das Problem, bundesweit als Hochburg der Rechtsextremisten wahrgenommen zu werden. Eine Tendenz, die durch den letzten Dortmunder „Tatort“ in der ARD noch verstärkt wurde. Dabei unternimmt die Stadt längst alles, um dem entgegenzuwirken. Nachdem die Rechten versucht hatten, Bürgerversammlungen zu geplanten Flüchtlingsunterkünften in den Stadtteilen Brüninghausen, Hörde, Wickede und Eving für ihre Zwecke zu missbrauchen, hat ihnen Sozialdezernentin Birgit Zoerner Hausverbot erteilt. „Die haben versucht, die Veranstaltungen zu unterwandern, sich extra auseinander gesetzt, um dann ihre Parolen loszuwerden“, sagt Robert Rutkowski. „Sie sind mit ihren Argumenten zwar nicht durchgedrungen, aber alle anderen Besucher hatten regelrecht Angst zu äußern, dass sie sich für die Flüchtlinge einsetzen möchten.“ In Eving sei eine solche Veranstaltung völlig aus dem Ruder gelaufen, nach dem erteilten Hausverbot habe es vor der Türe kleinere Auseinandersetzungen mit der Polizei gegeben. Seit es das Hausverbot gebe, habe man damit keine Probleme mehr.

Es sind diese kleinen Erfolge, die Menschen wie Robert Rutkowski ermutigen, immer weiterzu- machen. Als nächsten Schritt gilt es, einen befürchteten großen Neonazi-Aufmarsch am 28. März zu verhindern. Das ist der zehnte Todestag des Dortmunder Punkers Thomas „Schmuddel“ Schulz, der von dem Neonazi Sven K. erstochen wurde. Offenbar planen die Rechten zu diesem Anlass ein Konzert mit einer in der rechten Szene bekannten Band auf dem Wilhelmplatz in Dorstfeld. „Wir werden alles versuchen, um das zu verhindern.“ Robert Rutkowski weiß genau, was er sich da aufgebürdet hat. Wenn er von einer Demo gegen rechts nach Dortmund kommt, wird er von Freunden am Hauptbahnhof abgeholt und nach Hause begleitet. „Wir haben ein gut funktionierendes Netzwerk. Darauf kann man sich verlassen.“

In Menglinghausen, seinem dörflich geprägten Stadtteil, in dem er auch aufgewachsen ist, interessieren sich die Menschen indes wenig bis gar nicht für das, was er tut. „Ich habe nach den Hakenkreuz-Schmierereien Flugblätter in der Nachbarschaft verteilt und versucht zu erklären, warum das geschehen ist. Die wollen hier alle nichts damit zu tun haben. Die wollen die Füße hochlegen. Ich kann ihnen das nicht vorwerfen.“

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