Nach Tod eines Kölner StadtmitarbeitersEine erschreckende Chronik der Gewalt

Lesezeit 5 Minuten
Tödlicher Angriff in Dünnwald

Am 13. Dezember tötete ein psychisch kranker Mann einen Mitarbeiter der Stadt Köln mit Messerstichen.

  • In Bonn prügelte ein Obdachloser im Jobcenter auf eine Mitarbeiterin ein; in Köln-Dünnwald tötete ein psychisch kranker Mann einen Angestellten der Stadt – die Angriffe auf Mitarbeiter im Staatsdienst scheinen sich zu häufen.
  • Fast 20 Prozent von ihnen wurden bereits im Dienst geschlagen. Die KVB will ihre Mitarbeiter mit Sondermaßnahmen schützen.
  • Unser Autor beschreibt, wie sich die Taten häufen und wie sie verhindert werden sollen.

Köln – Die Attacke geschah ohne Vorwarnung: Als die Sachbearbeiterin im Jobcenter Bonn den Kunden hinauswinkte, weil der keinen Termin hatte, prügelte Bert Z. auf sie ein. Einem Kollegen, der zur Hilfe eilte, kratzte der Täter die Wangen blutig, gefolgt von einer Drohung: „Ich bringe Dich, Euch alle um.“ Tage später, im Juli 2019, soll der 56 Jahre alte Obdachlose seinen Betreuer angegriffen und gewürgt haben. Der Prozess gegen Bert Z., der am vergangenen Montag begann, wird vor allem die Frage beleuchten, ob der zigfach vorbestrafte Kleinkriminelle wegen seiner Psychose in einer geschlossenen Nervenklinik untergebracht werden muss.

Angriffe durch psychisch kranke Menschen auf Staatsbedienstete scheinen sich zu häufen. Meist erfolgen sie aus dem Nichts. Kurt B. hatte keine Chance: Das Messer traf den Mitarbeiter der Vollstreckungsabteilung der Kölner Stadtkämmerei am Vormittag des 13. Dezember 2019 in Dünnwald unvermittelt. Gleich mehrfach stach der säumige Schuldner auf den 47 Jahre alten Bediensteten ein. Jede Hilfe kam zu spät. Das Opfer starb noch am Tatort. Der Täter wurde in der geschlossenen Psychiatrie untergebracht.

Mehr als zwei Millionen Opfer

Die tödliche Attacke sorgte bundesweit für Entsetzen. Ein Einzelfall ist sie nicht. Laut einer Studie, die der Deutsche Beamtenbund (DBB) im August 2019 veröffentlichte, wurde jeder zweite der knapp fünf Millionen Staatsdiener schon einmal im Dienst beleidigt oder angegriffen. Fast 20 Prozent sind nach Auswertungen des Forsa-Instituts während ihrer Tätigkeit schon geschlagen worden.

Alles zum Thema Kölner Verkehrs-Betriebe

Bespuckt, beleidigt, bedroht, geschlagen, gejagt, genötigt – allein im vergangenen Jahr kletterte die Zahl gewaltsamer Attacken auf Polizisten und Polizistinnen auf einen Rekordwert von gut 79 000. Eine Untersuchung der Bochumer Universität aus dem Jahr 2017 ergab, dass jeder achte Feuerwehrmann, Sanitäter oder Notarzt bereits Opfer einer Gewalttat wurde. Oft wird den Helfern der Zugang zum Brandort verwehrt.

Manche Einsatzkräfte werden gar geschlagen, wenn sie einem Unfallopfer beistehen wollen. „Der Respekt vor Uniformträgern hat deutlich abgenommen und mit ihm die Hemmschwelle für Gewalt“, moniert Andreas Hemsing, Chef der NRW-Komba-Gewerkschaft, die für Beamte und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst zuständig ist.

Zahl der Körperverletzungen verdreifacht

Aber nicht nur dort: Mit Sorge beobachtet Elke Hannack, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), wie sich die Zahl der Körperverletzungen gegen das Personal der Deutsche Bahn (DB) in den vergangenen sieben Jahren verdreifacht hat. 2018 waren es laut dem DB-Sicherheitsreport 2624 Fälle.

Letztlich gebe es kaum eine Berufsgruppe, die nicht betroffen sei, sagte Hannack dem „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Immer häufiger werden diejenigen zum Ziel von Beleidigungen, Drohungen und tätlichen Angriffen, deren Arbeit uns allen zugutekommt.“

Tatort Jobcenter. Mal mosern Hartz-IV-Empfänger über die Bearbeitungsdauer der Anträge, mal werden überzogene Erwartungen enttäuscht. Kommt es zu Leistungskürzungen, verlieren manche die Beherrschung. Knapp zwei Drittel aller Beschäftigen in den Arbeitsagenturen und Jobcentern gaben bereits 2011 an, dass sie sich bedroht fühlten. Die Bundesagentur für Arbeit registriert seit 2012 zwei Morde und 21 Attacken auf Mitarbeiter. In 30 Fällen drohten Beschäftigungslose mit Gewalt. 14 Beleidigungen sind aktenkundig sowie 15 Sachbeschädigungen.

Sachbearbeiterin in Neuss erstochen

Vor sieben Jahren erstach ein marokkanischer Langzeitarbeitsloser eine junge Sachbearbeiterin in Neuss. Offenbar glaubte Ahmed S., die junge Mutter habe mit seinen Daten Handel treiben wollen. „Die Frau ist selbst schuld“, behauptete der zu lebenslanger Haft verurteilte Mörder gegenüber der Polizei.

Aus Angst vor der Kürzung seiner Bezüge verprügelte im Mai 2014 ein 23 Jahre alter Hartz-IV-Empfänger in Köln seine Sachbearbeiterin. Zwei Kollegen gelang es, den Schläger zu überwältigen. Die Beraterin erlitt schwere Kopf- und Augenverletzungen.

Nach wie vor verzichtet die Bundesagentur für Arbeit auf Schutzscheiben in den Anlaufstellen. Trotz der Übergriffe sei die Kommunikation ohne Trennscheiben wichtig, teilte ein Sprecher der Nürnberger Zentrale dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ mit. Zugleich habe man „zum Schutz unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein umfassendes Notfall- und Sicherheitskonzept erarbeitet. Neben räumlichen Sicherheitsmaßnahmen und Schulungen zum Verhalten von Beschäftigten in Gefährdungssituationen, gehört dazu auch ein IT-gestütztes Alarmsystem“, so ein Sprecher.

An jedem Tag im Jahr werden sieben Bahnmitarbeiter attackiert. Der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung zufolge stieg die Gewaltrate gegen Busfahrer zwischen 2010 und 2017 stetig an: Die Zahl meldepflichtiger Arbeitsunfälle lag demnach 2017 bei 639 (Vorjahr: 584). Matthias Pesch, Pressesprecher der Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB), spricht für 2018 von „54 tätlichen Angriffen auf die Kolleginnen und Kollegen, 20 davon führten zu zeitweiliger Arbeitsunfähigkeit“. Etwa gleich hoch liege die Zahl auch im Jahr darauf. „Darin enthalten sind nicht Beschimpfungen, Beleidigungen, Bedrohungen oder auch Spuckattacken“, betont Pesch. „Generell stellen wir fest, dass die Hemmschwelle für diese Art der verbalen Attacken sinkt.“

KVB-Mitarbeiter werden extra geschult

Für die KVB-Mitarbeiter gehöre ein Deeskalationstraining zur Grundausbildung: „Seit drei Jahren durchlaufen sie aber zusätzlich Deeskalations-Schulungen, die wir gemeinsam mit Polizisten anbieten.“ Landgericht Köln im August 2019. Der Angeklagte war bei den Nachbarn bekannt für seine Ausraster. Der 47-jährige Kölner musste sich wegen gefährlicher Körperverletzung verantworten. Er hatte zunächst einen Bus an der Haltestelle im Stadtteil Merheim bespuckt, als ihn der Busfahrer draußen zur Rede stellen wollte, rammte der Angeklagte den Kopf des Mannes gegen eine Bahnschranke. Wiederholt wurde gegen ihn wegen seiner Gewaltausbrüche ermittelt. Da er psychische Probleme hatte, verliefen die Verfahren allerdings im Sande. Doch dieses Mal schickten die Richter den Kölner in die geschlossene Psychiatrie.

Das könnte Sie auch interessieren:

„Die Jobs im Außendienst sind besonders gefährlich“, sagt Andreas Hemsing. Der NRW-Komba-Chef fordert eine bessere Schulung der Mitarbeiter in der Verwaltung „und ein besseres Meldesystem über gefährliche Personen“.

Vermutlich hätte dies auch Kurt B., dem Mitarbeiter der Kölner Vollstreckungsbehörde, das Leben gerettet. Behördenintern kursierte keine Warnung vor dem psychisch kranken Mann. Dabei war der Messerstecher schon im März 2019 auf eine städtische Mitarbeiterin und einen psychiatrischen Sachverständigen mit einem Schraubenzieher losgegangen. Seinerzeit verhinderte eine Polizeieskorte Schlimmeres.

KStA abonnieren