Schneeverkäufer aus NeussSchnee aus NRW rettet viele Sportevents

Lesezeit 6 Minuten
Die Herren Holle: Geschäftsführer August Pollen (links) und Johannes Janz.

Die Herren Holle: Geschäftsführer August Pollen (links) und Johannes Janz.

  • Den beiden Geschäftsführern ist vor allem eines wichtig: Dass man sie für verrückt erklärt.
  • Unsere Autorin berichtet, was sie zu dem Mut gebracht hat, am platten Niederrhein Schnee und Berge zu setzen.

Alle Jahre wieder. Alle sehnen sich nach weißen Weihnachten. Meteorologen betreiben vom zweiten Advent an eifrig Kaffeesatzleserei, ob und mit welcher Wahrscheinlichkeit es denn dieses Jahr endlich mal wieder klappen könnte. Und kurz vor Weihnachten geht der Daumen zuverlässig runter: Nach einem weiß gepuderten dritten Advent wartet Heiligabend aller Voraussicht nach auch in diesem Jahr wieder einmal „grün-grau“ bei zehn Grad, so der Deutsche Wetterdienst (DWD) in Offenbach.

Wer dennoch weiße Weihnacht vor der Haustür haben will, der muss entweder hoch hinaus oder in Neuss anrufen und Schnee ordern – je nach Menge zum Preis von 60 bis 80 Euro pro Kubikmeter plus Verladepauschale. Im dortigen Alpenpark liegt in diesen Tagen der schneesicherste Ort Deutschlands. Die weißen Kristalle sind zum rheinischen Verkaufsschlager geworden – für winterliche Atmosphäre auf Weihnachtsmärkten, Nachbarschaftsfeste oder Ski-Weltcuprennen.

Deutschlandweit die größten Schneeverkäufer

August Pollen (56) und Johannes Janz (54), Geschäftsführer des Alpenparks Neuss, haben die Sehnsuchtsware zum Geschäftsmodell gemacht. Die beiden berg- und skibegeisterten Unternehmer und Betreiber der Neusser Skihalle sind nach eigenen Angaben deutschlandweit die größten Verkäufer von Schnee. Ohne Flocken made in Neuss würde in Deutschland in Zeiten des Klimawandels so manches liebgewonnene Winterevent nicht mehr stattfinden: Egal ob das Weltcup-Skispringen in Willingen, das auch 2019 wieder Mitte Februar terminiert ist, oder die Vierschanzentournee in Oberstdorf. Als es im vergangenen Jahr viel zu warm war und die Schanzentournee auszufallen drohte, retteten die beiden Rheinländer auf Anruf des Veranstalters mit selbst gemachtem Schnee die Veranstaltung. Die Outdoor-Schneekanonen vor Ort hätten erst bei Temperaturen unter 0 Grad Schnee erzeugen können.

Alles zum Thema Deutscher Wetterdienst

Aber die Mehrzahl der Aufträge seien schon kleiner dimensioniert, erzählt Pollen. Eltern lassen sich für Kindergeburtstage eine Lkw-Ladung Schnee für Rodelbahn und Schneeballschlacht liefern. Als Hauptpreis bei einem Preisausschreiben gab es auch schon einmal angelieferte weiße Weihnachten vor der Haustür. Der immer häufiger ausfallende Winter sorgt dafür, dass die Auftragsbücher gut gefüllt sind. Dabei nutzen Janz und Pollen eigentlich nur geschickt die Synergieeffekte, die ihre Skihalle bietet – ein riesiger auf einer ehemaligen Mülldeponie erbauter Kühlschrank mit kombinierter Luft- und Bodenkühlung, in dem konstant minus drei Grad herrschen: Wenn die Skifahrer abends weg sind, lassen sie es aus zwölf in die Hallendecke integrierten Schneekanonen weiße Flocken rieseln. Das sind bis zu 80 Kubikmeter Schnee pro Tag.

Kristalle speichern viel Energie

Das System, das mit Kältekompressoren arbeite, hätten sie mit einem belgischen Kältetechniker entwickelt, erläutert Pollen. Der Clou dabei ist die hohe Hallendecke. „Der Schnee hat auf dem Weg zum Boden anders als bei herkömmlichen Schneekanonen im Skigebiet sehr viel Zeit zu kristallisieren. Dadurch sind die Flocken sehr pulvrig und kommen dem echten Schnee sehr nahe“, schwärmt Pollen. „In der Qualität und Quantität kann das international kein anderer leisten.“

Anschließend wird der Schnee vor der Auslieferung noch einmal durch die vier Pistenbullys vor Ort komprimiert. „Dadurch erzielen wir eine hohe Dichte und die Kristalle speichern sehr viel Energie.“ Danach schieben die Pistenkatzen den Schnee zusammen und verladen ihn auf Lastwagen. Auch bei gut über zehn Grad Außentemperatur würden kaum 15 Prozent am Tag schmelzen. Und selbst im Laster auf der Autobahn unterwegs nach Oberstdorf verliere er über die ganze Fahrt kaum Volumen, erläutert Pollen.

Bürgermeister erklärte sie für verrückt

„Schnee, das ist einfach ein unheimlich emotionales Gut. Wenn Kinder hier in die Skihalle kommen und beim Anblick des Schnees juchzen, zeigt sich das genauso, wie bei dem regelmäßigen Gerede über weiße Weihnachten“, erklärt sich Pollen den Erfolg des weißen Geschäfts. Die beiden seit Jugendzeiten befreundeten Unternehmer aus dem niederrheinischen Nettetal sind selbst Bergsteiger und Skilehrer und schon früh der weißen Materie verfallen. „Hinzu kommt, dass Bergsteigen die Begabung ausprägt, sich Herausforderungen zu suchen, von denen man nicht weiß, ob man sie bewältigt. Uns macht einfach Spaß, wenn uns andere für verrückt erklären“, erläutert Pollen ihre Unternehmensphilosophie.

So war das nämlich auch ganz am Anfang, als die beiden in den 90er Jahren in Mönchengladbach ein Sportgeschäft nebst Skireisebüro eröffnet hatten. Eines Winterabends schlitterten sie nach einem kreativen Arbeitstreffen in der Kneipe die abschüssige Mönchengladbacher Altstadt in Richtung Taxistand hinunter. „Hier müsste man mal ein Skirennen ausrichten“, schoss es ihnen durch den Kopf. Gleich am nächsten Tag standen Janz und Pollen beim Mönchengladbacher Bürgermeister auf der Matte, der sie für verrückt erklärte.

Schnee und Berge am platten Niederrhein

Solche Situationen lieben die beiden. Sie ließen nicht locker. 1998 wurde der Weltcup im Synchron-Skifahren dann tatsächlich in der Mönchengladbacher Fußgängerzone ausgetragen. Vor fast 300 000 Zuschauern. Damals noch nicht auf selbst gemachtem, sondern mit Stickstoff produziertem Schnee, bezogen von einer Firma in Holland.

Ein Erfolg, aus dem viel Neues wuchs. Vor allem der Mut, am platten Niederrhein auf Schnee und Berge zu setzen: In der von ihnen 2001 eröffneten Neusser Skihalle gibt es nicht nur Pulverschnee, Almgolf, Eisstockarena und Après-Ski-Sause, sondern als emotionale Überschrift über allem die ersehnten Wintergefühle. Im angegliederten 4-Sterne-Tagungshotel „Fire and Ice“, das die beiden 2011 eröffnet haben, sitzen Manager vor dem prasselnden Kamin und genießen aus dem riesigen Panoramafenster den Blick auf Skipiste und rieselndes Weiß von der Decke.

Alpin-ski im Flachland

In der Skihalle im Alpenpark Neuss sind zwölf Schneekanonen in die Hallendecke integriert, die am Tag bis zu 80 Kubikmeter Schnee mit reinem Leitungswasser ohne chemische Zusätze produzieren. Für die Produktion von einem Kubikmeter Schnee werden 350 Liter Wasser benötigt. Ein Kubikmeter Schnee wiegt etwa 500 Kilogramm. In der Halle sind konstant 9000 Kubikmeter Schnee vorrätig. Die kombinierte Boden- und Luftkühlung sichert eine ganzjährig gleichbleibende Temperatur von rund minus drei Grad. 100 Kilometer Kühlschläuche gefüllt mit einem Glykol-Wasser-Gemisch, halten die Lufttemperatur auf minus drei Grad.

Der Alpenpark Neuss wird jedes Jahr von einer Million Gästen besucht. Zu ihm gehören neben der Skihalle mit 300 Meter Piste außerdem drei Rodelbahnen, eine Eisstockarena, eine Skischule sowie das angegliederte Hotel „Fire and Ice“ für Übernachtungsgäste. Weitere Freizeitangebote sind Klettern im Hochseilgarten, Almgolf und Fun-Fußball. Seit diesem November gibt es außerdem die Möglichkeit in den 22 neu gebauten Baumchalets zu übernachten.

www.alpenpark-neuss.de

Dabei ist der hausgemachte Winter ökologisch freilich sehr fragwürdig: 350 Liter Wasser für die Produktion von einem Kubikmeter Schnee zu nutzen, plus Strom zur Kühlung der Skihalle – um einen Winter zu simulieren, den es eben so nicht mehr gibt. Aber den Vorwurf, auch selber den Klimawandel zu fördern, mag Pollen so nicht stehen lassen: „Nachhaltigkeit wird bei uns großgeschrieben.“

100 Ladungen weiße Pracht

Das Betreiben der Skihalle verschlinge nicht mehr Energie als ein mittleres Freibad benötige, hätten sie sich von Experten ausrechnen lassen. Im Grunde gehe es nur um große Mengen Leitungswasser. Die Skihalle sei optimal kälteisoliert. „Wenn Sie im Kühlschrank die Tür zulassen, braucht der auch Sommer wie Winter dieselbe Menge Energie.“

Kein Skiweltcup in Oberstdorf komme mehr ohne künstliche Schneeproduktion aus. Oft verbunden mit künstlichen Speicherseen und Leitungen in den Berg, die große Eingriffe in die Natur bedeuten. „Und die Skiweltcup-Zuschauer kommen von überallher mit dem Auto.“ Dann lobe er sich doch einen Biathlon-Wettkampf auf Schalke, wo alle Ruhrgebiets-Zuschauer nur ein paar Kilometer zum winterlichen Ort des Wettkampfgeschehens zurücklegen müssten. Am 28. Dezember geht das Spektakel wieder los. Dann startet der internationale Biathlon-Wettbewerb auf Schalke. 3000 Kubikmeter Schnee haben die Veranstalter diesmal in Neuss bei Pollen und Janz geordert.

Direkt nach Weihnachten werden die Lastwagen ihren Pendelverkehr aufnehmen, um ihre 100 Ladungen weiße Pracht pünktlich nach Gelsenkirchen zu transportieren. Damit es unter den Skiern der Biathleten Runde um Runde ordentlich winterlich knirscht.

KStA abonnieren