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Wehrhahn-AnschlagSprengstoff für das Attentat stammt aus Handgranaten der Bundeswehr

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Dieses Foto aus dem Jahr 2000 zeigt Ermittler am Tatort.

Düsseldorf – Etliche werden fehlen. Sieben der zwölf Opfer des Sprengstoffanschlags an der Düsseldorfer S-Bahn-Station Wehrhahn wollen nicht nochmal das schreckliche Geschehen an jenem 27. Juli 2000 durchleben. Als eine Rohrbombe gefüllt mit 300 Gramm TNT in unmittelbarer Nähe explodierte. Das Schreien der Menschen, die umherfliegenden Metallspiltter, das Blut, die Panik – all das Grauen suchen die einstigen Sprachschüler aus den ehemaligen GUS-Staaten seit gut 17 Jahren zu vergessen.

Mordversuch in zwölf Fällen

Deshalb werden sieben Überlebende dem Prozessauftakt am kommenden Donnerstag gegen den mutmaßlichen Bombenleger Ralf S. fern bleiben, wenn der Düsseldorfer Oberstaatsanwalt Ralf Herrenbrück die Anklage verliest. Es geht um Mordversuch in zwölf Fällen sowie die Herbeiführung eines Sprengstoffanschlags. Zehn Kontingentflüchtlinge soll der 51-jährige Rechtsradikale durch das Bombenattentat schwer verletzt haben. Eine schwangere Frau verlor dabei ihr ungeborenes Kind. Das Motiv, so die Ermittler, deutet auf puren Fremdenhass hin.

Der hochverschuldete Militariahändler und Ex-Bundeswehrsoldat machte offenbar die Sprachschüler aus der Lehranstalt gegenüber seines Ladens für sein berufliches Scheitern verantwortlich. Nachdem er mit den osteuropäischen Kursteilnehmern aneinandergeraten war, soll er seit Ende 1999 monatelang den Anschlag vorbereitet haben.

Obschon Ralf S. bereits kurz nach dem Attentat als Hauptverdächtiger firmierte, konnten ihm die Ermittler lange nichts nachweisen. Erst als er wegen Schulden im Jahr 2014 eine kurze Haftstrafe absitzen musste und gegenüber einem Zellengenossen mit dem Attentat geprahlt haben soll, wurde der Fall neu aufgerollt.

Und dieses Mal schaffte die neue Ermittlungskommission Furche mit Ankläger Herrenbrück an der Spitze ein dichtes Indizienpaket gegen Ralf S. zu schnüren. Zumal nun auch seine Freundinnen und seine Lebensgefährtin ihn schwer belasteten. Demnach soll Ralf S. seine Tat mit den Worten angekündigt haben, er werde „die Kanaken wegsprengen“. Nach Informationen des Kölner Stadt-Anzeigers will seine Frau zudem auch den selbstgebastelten Sprengkörper gesehen haben. Den Anschlag wertete S. in einem Gespräch mit einer Bekannten „maximal als Abtreibung“.

Brisante Fotostrecke auf Computer entdeckt

Ferner erhärteten zahlreiche weitere Beweise und Aussagen den Tatverdacht: So will eine Zeugin den rheinischen Neo-Nazi just zur Tatzeit am Anschlagsort gesehen haben. Zudem fand sich nach Informationen dieser Zeitung bei der Auswertung seines Computers eine brisante Fotostrecke. Die Aufnahmen zeigen nicht nur den Tatort, sondern auch die gegenüberliegende Bushaltestelle mit der besten Sicht auf das Geländer, an dem der Sprengsatz platziert worden war. Dann hatte der Angeklagte auch noch den Stromkasten fotografiert, von dem der Attentäter um kurz nach 15 Uhr an jenem Julitag mittels Fernzündung die Bombe hochjagte.  

In seiner Zeit bei der Bundeswehr hatte sich der Rechtsextremist überdies Kenntnisse zum Bau von Sprengfallen angeeignet. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Sprengstoff aus Handgranaten der Bundeswehr stammt. Auch hier helfen neue belastende Aussagen seiner Ex-Freundinnen weiter: So soll S. geprahlt haben, dass die Kripo kurz nach dem Anschlag bei der Durchsuchung in seinen Räumen keine Handgranaten gefunden habe, da er diese „in ekligem Schmodder versteckt gehalten und entsorgt habe.“

Angeklagter beteuert seine Unschuld

Ralf S. bestreitet vehement die Vorwürfe. Aus dem Untersuchungsgefängnis heraus schreibt der Angeklagte laufend Briefe ans Gericht, um seine Unschuld zu beteuern. Sein Verteidiger Olaf Heuvens zweifelt daran, dass sich sein Mandant gegenüber einem Mithäftling als Bombenleger geoutet haben soll. „Wieso sollte mein Mandant einem Gefangenen, den er kaum kannte, so etwas erzählen?“ Der Anwalt sieht in den ausgelobten 63.000 Euro Belohnung eine mögliche Motivation. „Viele belasten ihn komischerweise jetzt“, moniert Heuvens.

Der psychiatrische Gutachter indes hält nach eingehender Befragung den rheinischen Neo-Nazi für schuldfähig. Vieles spreche dafür, dass die Anklage zutreffe. Die monatelange Planung des Attentats deute darauf hin, dass Ralf S. vollständig steuerungsfähig gewesen sei. Der Prozess ist zunächst auf 37 Verhandlungstage angesetzt, dabei sollen 96 Zeugen vernommen werden.

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