„Blutmond“ über KölnLängste totale Mondfinsternis des Jahrhunderts

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Der Mond erscheint am 28.09.2015 neben einer der beiden Domspitzen rötlich. Der Erdtrabant wurde in der Nacht von 04.11 bis 05.24 Uhr während einer totalen Mondfinsternis in einen roten Schimmer getaucht und zum „Blutmond“.

Köln – Patrick Cremer kennt das Tor zum Himmel. Ein Blick ins Firmament genügt ihm, um Faszinierendes zu entdecken. Cremer ist Hobby-Astronom an der Volkssternwarte Bonn. Und er fiebert dem Freitag entgegen. „Das wird atemberaubend“, sagt er. Zwei astronomische Phänomene haben sich angekündigt: Mit bloßem Auge können Sternengucker gleichzeitig den Erd-Nachbarn Mars und die längste totale Mondfinsternis des Jahrhunderts beobachten. Besonders beeindruckend: Der Mond wird kräftig kupferrot leuchten. Ein Blutmond im Sternenmeer.

Die längste totale Mondfinsternis des Jahrhunderts

Cremer sitzt im Backsteinbau mit markanter Kuppel, der Volkssternwarte Bonn. Zwischen alten Teleskopen und Fachliteratur blättert er in seinen Notizen. Durch seine dünne Brille studiert er die Fakten dieser Mondfinsternis: Der Vollmond geht um 21.01 Uhr auf, aber dann ist es noch so hell, dass er kaum erkennbar sei. Ab 21.30 Uhr wird der Blutmond dann seiner Aussage nach aber etwa 103 Minuten lang in seinem vollen Rot-Schein zu sehen sein. Die längste totale Mondfinsternis des Jahrhunderts. In Köln kann man das Spektakel ab 22.22 Uhr am besten beobachten, denn dann ist der Zenit der Mondfinsternis erreicht. „In der Wissenschaft herrscht viel Theorie“, sagt er. Aber in dieser Nacht wird es anders sein. Niemand wird Bücher wälzen müssen. Denn: „Mit Ereignissen wie dieser Mondfinsternis können wir die Phänomene selbst erleben.“ Der Blick in den Himmel. Der mache für ihn die Faszination der Astronomie aus.

Der theoretische Hintergrund ist schnell referiert: „Bei einer totalen Mondfinsternis steht die Erde in einer Linie zwischen Mond und Sonne“, erklärt Cremer. Der Mond tritt zunächst in den sogenannten Halbschatten ein. Ein Teil des Mondes wird von der Sonne noch angestrahlt, der andere Teil ist nicht mehr zu sehen, weil er bereits im Schatten der Erde liegt. Wenn der Mond aus Sicht der Sonne komplett hinter der Erde – im sogenannten Kernschatten – verschwunden ist, dann herrscht totale Mondfinsternis. Bei dieser Blutmondfinsternis dauert das Spektakel genau 103 Minuten lang. „Das passiert selten, da für die Mondfinsternis Sonne, Erde und Mond auf einer Linie liegen müssen und die Mondbahn geneigt zur Erdbahn verläuft“, erklärt Astronom Cremer. Teile des Sonnenlichts fallen aber auch während der totalen Mondfinsternis auf den Mond. Das Licht biegt sich dann quasi um die Erde und durch die Lufthülle, der Atmosphäre. Dabei werden blaue Lichtanteile herausgefiltert. Rot-Anteile des Lichts hingegen sind langwellig – eine Eigenschaft, die es ihnen im Gegensatz zu kurzwelligem blauem Licht erlaubt, sich um die Erde zu biegen und auf den Mond zu treffen. Dieser leuchtet dann in unseren Augen kupferrot.

Mondfinsternis mit bloßem Auge zu sehen

Cremer hat seine Notizen beiseite gelegt. Der stellvertretende Vorsitzende des Sternwarten-Vereins untersucht normalerweise die Himmelskörper mit Teleskopen. Diesmal nicht. „Diese Mondfinsternis ist so besonders, weil sie mit bloßem Auge lange zu sehen ist“, sagt er, „für jeden.“ Die Faszination für das Universum teilt er in Bonn mit rund 100 Vereinsmitgliedern. Gemeinsam veranstalten sie ein Public-Mondfinsternis-Viewing am Rheinufer. Und warum am Rhein? „Wir brauchen einen klaren Blick auf den Horizont, um wirklich alles gut sehen zu können“, erklärt er. Der Mond geht nämlich flach am Horizont auf. Gebäude, Bäume, Berge sowie andere Lichtquellen störten da den Blick auf den Blutmond.

Eine noch bessere Aussicht auf die Mondfinsternis hat Alexander Gerst. Der Kommandant der Internationalen Raumstation ISS muss im Weltall nicht einmal auf einen wolkenfreien Himmel hoffen. Gerst und seine Crewmitglieder wollen das Mond-Spektakel von der ISS aus fotografieren und diese Perspektive über Twitter teilen, heißt es in einer Mitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Die Mondfinsternis sei selbst für erfahrene Astronauten wie Gerst ein außergewöhnliches Spektakel.

Astronomische Phänomene faszinieren die Menschen seit jeher. Nicht erst seitdem die Technik sie beobacht- und analysierbar gemacht hat. Ein Blutmond beeindruckte auch schon in der Antike und dem alten Orient die Menschen. So sehr, dass als Verursacher des Phänomens nicht selten Gottheiten oder schlicht Zauberei ins Spiel gebracht wurde. Die rote Färbung des Mondes versetzte die Bevölkerung in Schrecken. Sternenkundige und Priester deuteten den Blutmond als Zorn der Götter oder machtvollen Eingriff des Übernatürlichen in die irdische Welt.

Um die Zeichen am Himmel zu deuten, beschäftigten Monarchen und Regenten Gelehrte. Ulrich Köhler, Planetengeologe beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, erzählt: „Die babylonisch-sumerischen Gelehrten entdeckten durch Himmelsbeobachtungen Muster bei Sonnen- und Mondfinsternisse. Sie erkannten den Soras-Zyklus, ein Zeitmaß für Regelmäßigkeiten der astronomischen Ereignisse.“ Damit ist schon aus dem Jahr 748 vor Christus eine Art astronomischer Mondfinsternis-Kalender überliefert.

Ein archaisches und epochales Natur-Phänomen

Die Faszination hält bis heute an. Ob bei Patrick Cremer oder Alexander Gerst. „Eine Mondfinsternis ist eben etwas Besonderes. Sie berührt uns tief in der Seele“, sagt Köhler. „In einer hochtechnischen und wissenschaftlichen Welt bricht die Mondfinsternis unseren Alltag. Ein archaisches, epochales Natur-Phänomen, auf das wir keinen Einfluss haben. Das beeindruckt.“ Der erfahrene Forscher Köhler ist sich sicher, dass er diese Mondfinsternis nie vergessen wird.

Neben dem roten Mond ist an diesem Freitagabend auch der rote Planet zu sehen. Der Mars kommt der Erde verhältnismäßig nah. Nah bedeutet in diesem Fall rund 57,7 Millionen Kilometer. Immerhin nah genug, dass er als helles Gestirn mit dem bloßen Auge erkennbar ist. Die Erde liegt Freitagnacht genau zwischen Sonne und Mars. Bei Sonnenuntergang geht der Mars am gegenüberliegenden Horizont auf. Und umgekehrt. Experten sprechen von einer Oppositionsstellung, die etwa alle 780 Tage auftritt. „Dass der Mars diese Position zeitgleich mit der längsten Mondfinsternis des Jahrhunderts bezieht, ist wirklich außergewöhnlich“, sagt Köhler. Vermutlich hätte dieser Freitag viele babylonisch-sumerische Sternendeuter in Erklärungsnot gebracht. Für alle anderen ist es ein Spektakel, das sich lohnt. Schließlich wird es eine ähnlich lange totale Mondfinsternis erst in hundertfünf Jahren wieder geben: Am 9. Juni 2123.

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