„Ich denke, Sie werden exekutiert“Ärzte aus der Region von Impfgegnern angriffen

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Mediziner aus der Region berichten von Übergriffen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie.

Köln/Bonn – Anonyme Pakete machen die Helferinnen in Axel Gerschlauers Praxis nicht mehr auf, sie geben sie direkt an den Bonner Kinderarzt. Es kann immer mal passieren, dass Absender einfach vergessen, ihren Namen auf das Paket zu schreiben, sagt Gerschlauer. Doch seit dem Vorfall bei seinem Kollegen sind sie eben vorsichtig. Vor ein paar Monaten hatte ein guter Bekannter von ihm, ebenfalls Kinder- und Impfarzt, ebenfalls in der Region niedergelassen, ein anonymes Paket angenommen und geöffnet. Es enthielt eine reizende Substanz.

Ende Juli dieses Jahres erschütterte der Fall einer österreichischen Landärztin das Nachbarland: Die Allgemeinmedizinerin Lisa-Maria Kellermayr sprach sich öffentlich für die Corona-Impfung aus, impfte, kritisierte Impfgegner und Corona-Leugner. Dabei geriet sie selbst in den Fokus. Die Bedrohungen gegen sie wurden so stark, dass sie ihre Praxis schließen musste. Kurze Zeit später nahm sie sich das Leben. 

Drohmails und Online-Pranger

Auch einige Ärzte in der Region berichten von Drohungen, die sie von Verschwörungsgläubigen erhielten. Nicht in dem Umfang, wie Lisa-Maria Kellermayr sie erlebte. Doch wenn sie Interviews gaben, als Impfärzte auftraten, bekamen sie zum Teil Drohmails oder fanden sich auf Online-Prangern von Impfgegnern wieder. 

Jürgen Zastrow, leitender Impfarzt in Köln, zeigte im März dieses Jahres zum ersten Mal eine Morddrohung im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie an. Zastrow habe sich durch seine Tätigkeit als Impfarzt des Völkermordes schuldig gemacht, schrieb der Absender in einer wirren Mail.

„Ich denke, Sie werden exekutiert“

Nach dem Umsturz werde er endlich zu gegebener Zeit bestraft, „ich denke exekutiert.“ Unterschrieben mit Klarnamen und Adresse. Der Impfarzt leitete die Mail an die Polizei Köln weiter, nun ermittelt der Staatsschutz. Wirklich ernst genommen habe er die Bedrohung nicht, sagt Zastrow. „Es gilt der alte Satz: Viel Feind, viel Ehr. Wer solche Mails verhindern will, der kann sich nicht öffentlich äußern.“

Auch die Ärztekammer Nordrhein bestätigt auf Nachfrage dieser Zeitung Übergriffe im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie: Impfende Ärzte seien von Impfgegnern beschimpft worden, per Mail oder per Anruf bedroht, teils kam es sogar zu Vandalismus an Praxen und Privathäusern. „Die Menschen, die sich seit zweieinhalb Jahren im Dauereinsatz für die Gesundheit unser Bevölkerung engagieren, werden nun mit Beleidigungen und Bedrohungen einer lautstarken Minderheit konfrontiert“, kritisiert Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein. „Das ist indiskutabel und muss aufhören, und zwar sofort. Denn hier geht es nicht mehr um den kontroversen Austausch von Meinungen, den eine Demokratie aushalten kann und muss, sondern um Gewalttätigkeit mit dem Ziel, Ärztinnen und Ärzte an der gewissenhaften Ausübung ihres Berufes zu hindern und diese einzuschüchtern.“

Die Ärztekammer bietet Medizinern, die im Zusammenhang mit der Impfkampagne bedroht wurden, eine Rechtsberatung an.

Strafrahmen nachschärfen

Auch die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Nordrhein schreibt, einige niedergelassene Ärzte hätten in den vergangenen Monaten immer wieder von Aggressivität gegenüber dem Praxisteam berichtet. Im November 2021 verabschiedete die Vertreterversammlung der KV folgenden Beschluss: Die Diffamierungen, Beleidigungen und Angriffe auf impfende Ärztinnen und Ärzte sei nicht hinnehmbar. „Staat und Justiz werden aufgefordert, entschlossen rechtlich solchen Fällen nachzugehen. Sollte der Rechtsrahmen dafür nicht ausreichen, muss an dieser Stelle sehr zeitnah und unmissverständlich nachgeschärft werden.“

Wie hoch die Gesamtzahl der Betroffenen seit Beginn der Pandemie ist, kann weder die Ärztekammer noch die Polizei sagen. Für das Jahr 2021 führte das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen jedoch eine Einzelfallauswertung durch: Die Behörden registrierten 13 angezeigte Straftaten gegen Ärztinnen und Ärzte, die im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie standen. In drei Fällen konnte ein Tatverdächtiger ermittelt werden.

„Die Übergriffigkeit ist ein bekanntes Problem“

Gewalt gegen medizinisches Personal ist eigentlich nichts Neues, sagt Axel Gerschlauer. Schon vor 20 Jahren, als er noch Assistenzarzt war, schlug ihm der Vater eines Kindes mit der Faust ins Gesicht, Platzwunde, nichts gebrochen. Sein Kind wurde nicht schnell genug behandelt, fand der Vater. Ähnliches erlebten die Mitarbeiter des Kinderkrankenhauses an der Amsterdamer Straße: Kurz nach Weihnachten 2021 randalierten zwei Männer in der Klinik, weil der Mann seine Frau und sein Kind nicht begleiten durfte: Die Corona-Vorschriften ließen nur eine Begleitperson zu.

Die Männer griffen einen Sicherheitsmitarbeiter an, das Klinikpersonal ging dazwischen. Erst die herbeigerufenen Polizisten schafften es, die Männer zu überwältigen und leiteten ein Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung ein. 

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„Die Übergriffigkeit ist ein bekanntes Problem“, sagt Gerschlauer. „Gewaltandrohungen gegen medizinisches Personal - das kennen wir.“ Doch die Sitten seien rauer geworden, im Internet, bei Impfgegnern, zum Teil auch bei jenen, die eigentlich für das Impfen sind. Nach einem Zeitungsinterview wurde er im Netz als „Gefahr für die Volksgesundheit“ und „Nazi-Arzt“ beschimpft. Als er von dem Shitstorm erfuhr, habe es ihn den Tag über schon sehr beschäftigt, sagt der Kinderarzt. „Die Verrohung, die wir gerade erleben, wird bleiben. Ich glaube nicht, dass man das Rad wieder zurückdrehen kann.“

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