„Labor-Theorie“ überprüftForscher legen zwei neue Studien zum Corona-Ursprung vor

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Wet Market Wuhan 2

Ein Markthändler und Geflügel im chinesischen Wuhan

Tucson/Wuhan – Auch nach zwei Jahren gibt das Coronavirus der Wissenschaft immer noch Rätsel auf. Wie variabel ist es? Welche Varianten könnten noch entstehen? Werden sie gefährlicher, ansteckender, immunflüchtiger? Und wie sieht es mit den Langzeitfolgen einer Ansteckung aus? Welche gibt es – und wie lange bleiben sie? Am umstrittensten ist und bleibt aber wohl die Frage nach dem Ursprung des Coronavirus.

War es ein Laborunfall im Institut für Virologie im chinesischen Wuhan, bei dem der Erreger Ende 2019 auf den Menschen übertragen wurde? Nein, sagt ein internationales Forscherteam um den Evolutionsbiologen Michael Worobey von der University of Arizona. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben am Samstag gleich zwei Studien publiziert, die nahelegen, dass Sars-CoV-2 von Tieren stammt, die auf dem Wildtiermarkt in Wuhan verkauft wurden. Beide Arbeiten müssen noch von unabhängigen Expertinnen und Experten überprüft werden.

Forscher werten Daten der WHO aus

Forscher kartieren Covid-19-Fälle in Wuhan Für ihre erste Studie nutzten die Forschenden Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die bei der Mission Anfang vergangenen Jahres gesammelt wurden. Damals waren Fachleute der Organisation nach Wuhan gereist, um den Ursprung des Coronavirus genauer zu untersuchen.

Sie waren am Ende zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Übertragung des Erregers von Fledermäusen über ein anderes Tier auf den Menschen am wahrscheinlichsten ist. Worobey und sein Team verwendeten die Daten der WHO, um die Längen- und Breitengrade von 156 Covid-19-Fällen, die im Dezember 2019 in Wuhan aufgetreten sind, zu bestimmen. Die höchste Dichte an Fällen konzentrierte sich demnach um den Wildtiermarkt.

Ersten Corona-Fälle konzentrieren sich an Markt in Wuhan

Für die Kartierung der Covid-19-Fälle im Januar und Februar 2020 griffen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf Daten der Social-Media-App „Weibo“ zurück, über die Menschen wegen einer Corona-Erkrankung um Hilfe bitten konnten. Die 737 registrierten Fälle konzentrierten sich nicht auf den Markt, sondern auf andere Teile des Stadtzentrums von Wuhan. Die Forschenden werteten dies als Hinweis darauf, dass sich das Virus vom Markt aus weiter in der Stadt ausgebreitet hat.

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Händler und Kunden auf einem sogenannten „wet market“ in Wuhan, China

„Wir stellten fest, dass die Fälle im Dezember sowohl näher am Huanan-Markt lagen, als auch stärker auf ihn konzentriert waren, als man angesichts der Bevölkerungsdichte in Wuhan oder der räumlichen Verteilung der Covid-Fälle im späteren Verlauf der Epidemie erwarten konnte“, schrieb Worobey auf Twitter. „Das Epizentrum der Epidemie lag auf dem Markt.“

Das Team um den Evolutionsbiologen lieferte zudem Beweise dafür, dass auf dem Huanan-Markt in Wuhan zum Zeitpunkt des Corona-Ausbruchs durchaus Wildtiere wie Marderhunde verkauft wurden, die als potenzielle Wirte der Coronaviren gelten. In der Studie finden sich etwa Bilder der Tiere von der Social-Media-App „Weibo“, die Bürgerinnen und Bürger dort gepostet hatten.

Corona-Spuren an Markt-Oberflächen gefunden

Genetische Proben, die im Januar vergangenen Jahres auf dem Wildtiermarkt von Böden, Wänden und anderen Oberflächen entnommen wurden, hätten außerdem Spuren von Sars-CoV-2 in der südwestlichen Ecke des Marktes aufgewiesen, wo die meisten lebenden Säugetiere gehandelt werden würden, schrieben die Forscherinnen und Forscher. Von welchen Tieren die Übertragung des Erregers genau ausgegangen ist, konnten sie jedoch nicht klären.

Zwei verschiedene Sars-CoV-2-Linien entdeckt Die zweite Studie, die das internationale Forscherteam vorlegte, beschreibt, dass das Coronavirus möglicherweise zweimal auf Menschen übergesprungen ist, die auf dem Wildtiermarkt gearbeitet und eingekauft haben.

Zwei Mutationen nachgewiesen

In genetischen Proben, die zwischen Dezember 2019 und Mitte Februar 2020 gesammelt wurden, wiesen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zwei Sars-CoV-2-Linien mit verschiedenen Mutationen nach: Linie A und Linie B. Beide seien getrennt voneinander in Tieren entstanden und hätten sich dann eigenständig an den Menschen angepasst.

„Die erste zoonotische Übertragung betraf wahrscheinlich Viren der Linie B und fand Ende November/Anfang Dezember 2019 und nicht früher als Anfang November 2019 statt“, heißt es in der Studie, „während die Einführung der Linie A wahrscheinlich innerhalb weniger Wochen nach dem ersten Ereignis erfolgte.“ Die frühesten Fälle der Linie A stünden „in keinem direkten epidemiologischen Zusammenhang mit dem Huanan-Markt“, sie würden aber von Personen stammen, die in der Nähe des Marktes lebten oder sich dort aufgehalten hatten.

Auch chinesische Forschungen deuten auf Markt-Ursprung

Ähnliche Erkenntnisse lieferte am Freitag eine Untersuchung des chinesischen Zentrums für Krankheitskontrolle und -prävention. Demnach seien in genetischen Proben, die im Januar 2020 auf dem Wildtiermarkt in Wuhan gesammelt wurden, ebenfalls Viren von zwei verschiedenen Linien gefunden worden. Beide Virenstränge seien von den Tieren auf dem Markt übertragen worden, schrieben die Fachleute.

Virologe bemängelt Aussagekraft der Daten Die Theorie, dass das Coronavirus Sars-CoV-2 aus einem Labor stammt, konnte keine der Studien belegen. „Wenn man alle Beweise zusammen betrachtet, ergibt sich ein außerordentlich klares Bild, dass die Pandemie auf dem Huanan-Markt begann“, sagte Evolutionsbiologe Worobey der „New York Times“.

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Doch nicht für alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist die Datenlage zum Ursprung des Coronavirus so eindeutig. Jesse Bloom, Virologe am Fred Hutchinson Cancer Research Center in Seattle, merkte im Gespräch mit der US-amerikanischen Tageszeitung an, dass es weiterhin keinen direkten Beweis dafür gebe, dass die Tiere auf dem Wildtiermarkt in Wuhan selbst mit dem Coronavirus infiziert gewesen seien.

„Ich denke, was sie behaupten, könnte wahr sein“, sagte Bloom zu den Ergebnissen von Worobey und seinem Team. „Aber ich glaube nicht, dass die Qualität der Daten ausreicht, um mit Sicherheit sagen zu können, dass irgendeines dieser Szenarien wahr ist.“ Die Diskussionen um die Herkunft des Coronavirus dürften also weitergehen. (dpa)

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