10 Jahre nach Beinahe-KatastropheSo gefährlich können „Fume Events“ im Flugzeug sein

Lesezeit 5 Minuten
Piloten

Piloten im Cockpit vor dem Start (Symbolbild)

  • Vor zehn Jahren wäre ein Jet von Germanwings beim Anflug auf den Flughafen Köln/Bonn wegen „Fume“ Problemen beinahe abgestürzt.
  • Einige Forscher kritisieren die Verharmlosung des Problems.

Köln – Es ist fast auf den Tag genau zehn Jahre her, als es am Flughafen Köln/Bonn um ein Haar zu einer Katastrophe gekommen wäre. Ein Vorfall, der jedoch erst zwei Jahre später öffentlich wird. Am 26. Oktober 2012 gibt die Lufthansa in Frankfurt die Details des Germanwings-Fluges 735 vom 19. Dezember 2010 auf seinem Weg von Wien nach Köln/Bonn preis. Und das auch nur, nachdem die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen (BFU) den Vorfall mit einer Verzögerung von einem Jahr untersucht hatte, weil dieser zum Thema im Bundestag geworden war.

In dem brisanten Zwischenbericht der BFU  vom September 2012 ist von einem Beinahe-Absturz der Maschine die Rede. Mit 149 Passagieren und Besatzungsmitgliedern an Bord. Beide Flugzeugführer hätten beim Landeanflug nur noch eine Sauerstoffsättigung von unter 80 Prozent im Blut gehabt und die Maschine nur  unter dem Einsatz von Sauerstoffmasken bei extremen winterlichen Bedingungen  in Köln/Bonn landen können.

Fast bewusstlos geworden

Die Schilderungen des Flugkapitäns, der mit seinem Co-Piloten beim Landeanflug auf den Flughafen Köln/Bonn wegen eines plötzlich auftretenden sogenannten Fume Event um ein Haar bewusstlos geworden wäre, sind dramatisch. Es sei einer der schneereichsten Tage  im Winter 2010/2011 gewesen. Nach Wien sei man noch vor dem großen Wettereinbruch geflogen, berichtet der Kapitän. „Dort sind wir  gestrandet, weil Köln wegen massiver Schneefälle ein paar Stunden geschlossen war.“ Nach drei Stunden habe sich gegen 19.30 Uhr dann abgezeichnet, dass „wir doch fliegen können“.

Alles zum Thema Flughafen Köln/Bonn

Die Anflugvorbereitungen für Köln beginnen, auf dem Queranflug sei dann erstmals „dieser Geruch“ aufgetreten. Es habe „schlagartig stark verbrannt gerochen. Für meine Wahrnehmung hatte es auch einen leicht elektrisch-süßlichen Beigeschmack“.  Der Kapitän schaut seinen Copiloten an. „Wir haben beide noch überlegt, wo das denn herkommen könnte“. Die Nachfrage in der Kabine ergibt, dass „weder vorne noch hinten etwas zu riechen ist“.

Wenig später, der Endanflug beginnt gerade, habe ihn sein Copilot informiert, dass ihm „kotzübel“ sei und er sich deshalb die Sauerstoffmaske aufziehen werde. „Noch bevor ich den nächsten Gedanken fassen konnte, was mache ich jetzt, habe ich ein Kribbeln in den Händen und Füßen verspürt, mir wurde schwindelig.“ Er habe sofort das getan, was er gelernt habe und was im Simulator relativ häufig geübt werde, berichtet der Kapitän: Maske aufziehen. „Ich habe den reinen Sauerstoff eingeatmet und war wieder Herr meiner Sinne.“

Ufo: Dunkelziffer ist hoch

Bei einem Fume Event gelangen gesundheitsschädliche Dämpfe in Cockpit und Kabine. Dies geschehe vor allem zum Zeitpunkt der maximalen Belastung der Triebwerke in der Start und Landephase, so der Arbeitskreis Gesundheit der Flugbegleiter-Gewerkschaft Ufo.

„Diese Schadstoffe beinhalten unter anderem giftige Dämpfe aus hoch erhitzten Hydraulik- und Triebwerksölen sowie Enteisungsflüssigkeiten. Unter bestimmten Voraussetzungen werden solche Ereignisse von unangenehmen Gerüchen begleitet, häufig sind sie jedoch überhaupt nicht wahrnehmbar, was unter anderem zu einer weiterhin hohen Dunkelziffer führt“, heißt es in einer Information der Gewerkschaft für das Kabinenpersonal weiter.

Zehn Jahre später. Der Jahrestag des Beinahe-Absturzes am Flughafen Köln/Bonn ist für Professor Johannes Ludwig Anlass genug, erste Ergebnisse seiner Forschungen über die Gefährlichkeit von Fume Events in Flugzeugen vorzustellen. Seit 2018 leitet Ludwig ein Forschungsprojekt an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg. Sein  Urteil: „Es gibt bis heute keine vollständigen Informationen, weil niemand ein Interesse daran hat.“ Allein die Zahlenunterschiede seien krass.

Keine Meldepflicht

Der Wissenschaftler hat alle Quellen ausgewertet, die ihm zur Verfügung standen. Beim Luftfahrtbundesamt (LBA) sind danach für 2019 insgesamt 66 Meldungen als „Vorfälle mit Ölgeruch“ erfasst. Die BFU hingegen zählt 133 Ereignisse auf „bei denen es zu Rauch- und Geruchsentwicklung kam“. Bei der Berufsgenossenschaft Verkehr wurden laut Ludwig hingegen mehr als 500 Vorfälle gemeldet.

„Derlei Daten sind eigentlich nicht wirklich brauchbar, weil nicht vollständig oder gar repräsentativ sind“, sagt Ludwig. Die Erfassungsmethoden seien zu unterschiedlich. „Es gibt leider keine standardisierten gesetzlich vorgeschriebenen Meldewege für solche Fume Events.“ Auf Grundlage seiner Datenbasis schätzt er, dass bei einem von 2000 Flügen der Lufthansa ein solcher Fall eintritt.

1,85 Fume Events am Tag

Aus einem Protokoll eines Workshops bei der Europäischen Union für Flugsicherheit (EASA) in Köln zur Luftqualität in Passagierflugzeugen, der im Januar 2020 noch vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie stattfand, geht hervor, dass die Lufthansa die Zahl der Fume Events pro Tag mit 1,85 angibt. Bezogen auf alle Flüge sei das eine Quote von 0,05 Prozent und damit äußerst gering, so eine Vertreterin der Fluggesellschaft, die sich mit der Luftqualität in der Kabine befasst. Das Unternehmen hat im Januar  angekündigt, eigene Studien  in Auftrag zu geben.

Professor Dieter Scholz von der „Aircraft Design und Systems Group“ der HAW Hamburg hält das System der Zapf-Luft aus den Turbinen, die für Fume Events im Flugzeug verantwortlich ist, für eine „Fehlkonstruktion“. Die Zapf-Luft sei so heiß, dass sie über Vorkühler bis auf 200 Grad heruntergekühlt werden müsse, um sie über verschiedene Klimaanlagen im Flugzeug verteilen zu können. Gefährlich werde das, wenn bei der Kompression der Zapf-Luft eine der vielen Dichtungen leckt, synthetisches Öl austritt und durch die Hitze verbrennt. „Dann können“, so Scholz, „giftige Stoffe in die Kabine gelangen.“

Man dürfe neben der Frage der Flugsicherheit die Langzeitfolgen solcher Belastungen nicht vergessen. Vor allem für das Flugpersonal sei das problematisch, weil die Belastung deutlich höher sei als für die Passagiere, „für die ein Flug ja nur eine zeitlich begrenzte Angelegenheit“ und nicht der Arbeitsplatz ist. Die gesundheitlichen Folgen für die Betroffenen könnten ganz plötzlich auftreten, sich aber auch erst mittel- bis langfristig einstellen.

Pilot stellt drei Strafanzeigen

Markus Fenzel, ehemaliger Pilot bei TUIfly, hat nach eigenen Angaben mehrfach versucht, auf gerichtlichem Weg Ansprüche wegen gesundheitlicher Probleme als Folge von Fume Events bei der gesetzlichen Unfallversicherung einzuklagen. Bisher ohne Erfolg. „Ich habe jetzt insgesamt drei Strafanzeigen gestellt. Vielleicht hilft das weiter.“ Vor allem ältere Kollegen hätten kognitive Probleme als Folge einer Langzeitschädigung des Gehirns und des Nervensystems. „Das war auch bei mir so“, sagt Fenzel. „Ich war nicht einmal mehr in der Lage, alleine das technische Bordbuch auszufüllen. Mein Co-Pilot musste mir dabei helfen.“

KStA abonnieren