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Extremsportler durchschwimmt MeereAllein gegen Haie – warum tut sich das jemand an?

Lesezeit 6 Minuten
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André Wiersig bei hohem Wellengang im japanischen Meer.

  • Für Extremsportler an Land gibt es die Seven Summits. Im Wasser heißt die Herausforderung: Ocean's Seven. André Wiersig stellte sich ihr.
  • Der Ausdauer-Sportler durchschwamm sieben Meeresengen rund um die Welt.
  • Dabei war der Blauhai, dem er im Hawaii-Archipel begegnete, nur eine von vielen Gefahren.

Tiefe Nacht, Wolken verdecken die Sterne, absolute Dunkelheit also, an Land ist es stürmisch, und das eiskalte Wasser im Ozean schaukelt mit hohem Wellengang. Dazu ist die Strömung brutal, hier in der Tsugaro Straße, die die japanischen Inseln Hokkaido und Honshu voneinander trennt. Ach ja, Haie und andere Raubfische gibt es dort auch, sehr viele sogar. Dies ist kein Ort für Menschen.

Und doch schwimmt André Wiersig da gleich durch, ein Extremsportler aus Paderborn, startet in pechschwarzer, furchterregender Nacht im Kraulstil und setzt auf diese Art und Weise über von Hokkaido nach Honshu, 19,5 Kilometer Luftlinie. Das Schwarz der Umgebung ist jetzt sogar sehr wichtig, Licht würde Raubfische anlocken.

Die Strömung verlangt Wiersig alles ab

Wiersig schwimmt wegen der Strömung und des hohen Seegangs einen Umweg, nach 42,1 Kilometern erreicht er das andere Ufer. Dafür braucht er zwölf Stunden und 55 Minuten. Dann darf er, offiziell beglaubigt von auserkorenen Streckenposten und Chronisten, einen Haken machen hinter Station fünf seiner siebenteiligen Mission.

Wiersig ist ein großer, starker Mann mit eiserner Psyche, angestellt in der IT-Branche, er will die Ocean’s Seven schaffen, also sieben nur unter großen Qualen zu bewältigende Meeresengen dieser Welt durchschwimmen, gelegen vor fünf Kontinenten. Diese Prüfung ist das Aqua-Äquivalent zu den Seven Summits, den sieben höchsten Gipfeln eines jeden Kontinents, die zu erklimmen eine große Herausforderung für Bergsteiger darstellt.

Wiersig versucht sich als Amateur an der Herausforderung, Sponsoren hat er nicht. Sein Traum kostet ihn fast 150.000 Euro, die er selbst finanziert. Seine Familie – seine Frau Beate, Stiefsohn Konstantin (32), Tochter Lisa (18) und Sohn Carl (9) – trägt das Projekt mit.  „Sonst hätte ich nicht angefangen damit“, sagt Wiersig.

Nach fast sieben Jahren ist es vollbracht

Er schafft es letztlich nach fast sieben Jahren, durchschwimmt sieben markante Meerengen dieser Welt, am 9. Juni 2019 ist es vollbracht. Wiersig ist der erste  Deutsche, dem das gelingt. Ohnehin haben das Wagnis erst 15 Langstreckenschwimmer vor André Wiersig bestanden, aber um Rekorde oder die Aufnahme in Bücher, die Sensationen vermelden, geht es ihm gar nicht.

Sondern um die Verwirklichung eines Traums, vor allem aber um diese Botschaft: „Was du schaffen willst, kannst du auch schaffen.“

Natürlich weiß Wiersig auch, dass nicht jeder mal eben durch bisweilen fürchterliche Meere  schwimmen kann, etwa von Nordirland nach Schottland, auch wenn er das noch so sehr will. Das Kraulen dort in 13 Grad kaltem Wasser hätte sogar Wiersig fast das Leben gekostet – „Schwimmen in der Todeszone war das“, sagt er. Also, was ist seine Mission?

Die Einstellung beeinflussen

In seinem Buch: „Nachts allein im Ozean“, das er zusammen mit dem Autor Erik Eggers verfasst hat, beschreibt Wiersig sein Ziel: „Das Gute ist, dass man seine eigene Einstellung ganz unmittelbar und von einer auf die andere Sekunde beeinflussen kann.“

Das sei essenziell, um ein Ziel zu erreichen – seien es sieben Meerengen, die man durchschwimmen möchte, oder andere Herausforderungen, die man sich gesetzt hat: ein Haus bauen, Spanisch lernen, ein Studium aufnehmen und beenden.

Das alles kann gelingen, schreibt und sagt Wiersig, „wenn du Vertrauen zu dir selbst aufbaust und hast. Und an dich glaubst. Insofern habe ich das mit den sieben Meerengen umgesetzt, weil ich es wollte, weil ich wusste, ich habe mich dahintrainiert. Und dann wollte ich es auch schaffen.“

Botschafter der Ozeane

Darüber hinaus sieht sich Wiersig jetzt auch als Botschafter der Ozeane, eine Plattform dafür hat er bei der „Deutschen Meeresstiftung“ gefunden. „Ich möchte vermitteln, dass wir respektvoll mit der See umzugehen haben. Das Meer war zuerst da, aus ihm ist alles entstanden. Aber wenn wir so weitermachen, können wir bald nur noch in Schwimmbädern schwimmen“, sagt Wiersig.

Dieses Bewusstsein will er stärken, vermischt mit seinen Eindrücken, denn einmal ist er vor eine Europalette geschwommen und hat sich in Plastik verheddert, mitten im Meer.  Gegen die Verschmutzung der Ozeane zu kämpfen ist sein neues Projekt.

Wiersig besitzt die Gabe schnell und ausdauernd schwimmen zu können, dazu eine masochistische mentale Stärke. Ach, in allen Meeren schwimmen quälende Quallen? Nun gut, reist Wiersig halt nach Mallorca, schwimmt durch Quallenschwärme, lässt sich verletzen, um den Schmerz zu trainieren, der ihn in einem der Ozeane auf seinem Weg quälen könnte.

13 Grad kaltes Wasser

Und 13 Grad kalt soll es sein auf der Schwimmreise im Nord-Kanal zwischen Nordirland und Schottland? Also gut, ab nach Loch Lomond in Schottland, acht Grad kaltes Wasser, sechs Stunden, Training für Teil zwei seiner siebenteiligen Ozean-Reise. Und wie ist das so in derart niedrig temperiertem Wasser?

„Die Kälte zieht dir das Leben raus“, sagt André Wiersig. Beinahe hätte er sein Bewusstsein verloren angesichts der zunehmenden Unterkühlung, „der Tod nähert sich“, schreibt Wiersig und: „Das hätte ich nicht machen dürfen.“

Unverantwortlich sei das gewesen, vor allem seiner Familie gegenüber. Sechs Stunden bei acht Grad? „Das ist hirnrissig“, stellt Wiersig selbstkritisch fest.

Und doch ist es letztlich wohl genau diese wahnsinnige Grenzerfahrung, die ihn die Qualen aushalten lässt, mit denen der Nord-Kanal so aufwartet. Später, bei seinem Versuch in stürmischer See, warfen ihn bei tatsächlich 13 Grad Wassertemperatur die Wellen hin und her, die riesige Löwenmähnen-Qualle kreuzte seinen Weg, bald hatte er viele Verletzungen als Souvenirs von den Tieren.

Doch die Schmerzen, die das bereitete, konnte er ausblenden. Und so berührte er nach 52 Kilometern sowie zwölf Stunden, 17 Minuten und 22 Sekunden Land an der schottischen Küste. Geschafft. Nach dem Ärmelkanal  war das Teil zwei der siebenteiligen Extremsportserie.

Über Hawaii nach Neuseeland

Es folgte Hawaii, nachts, von der Insel Moloka’i nach O’ahu. Dort begegnete er im Wasser einem Buckelwal – und staunte, das Tier wollte ihn offenbar nur begleiten, ließ ihn ansonsten aber in Ruhe. Nicht jedoch die Portugiesischen Galeeren, Quallen, die Menschen fürchterliche Schmerzen bereiten. Wiersig entfernte die Tentakeln, die sie an seinem Körper hinterließen, nahm die Leiden, die sie ihm bereiteten, hin – und schwamm weiter. Einem großen Blauhai entgegen.

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Wiersig verhielt sich so, wie er es für solche Fälle gelernt hatte: ruhig. Er hörte auf zu schwimmen. Stellte sich senkrecht ins Wasser. Der Hai umkreiste ihn ein paarmal, kam immer näher – und verschwand dann.

Ein bewegungsloser Mann ist für einen Blauhai offenbar ein uninteressanter Mann. Okay. Aber in einer solchen Situation derart abgebrüht zu reagieren, ist nicht jedem gegeben.

Nach gut 55 Kilometern erreichte Wiersig sein Ziel, nach 18 Stunden und 46 Minuten. Was für eine Distanz. Dazu fast einen ganzen Tag im Wasser. Es ist unglaublich.

Reise nach Los Angeles

Teil vier der Ozean-Reise war  der Catalina-Kanal zwischen Los Angeles und Catalina Island. Wieder startete Wiersig nachts, schwamm 40 Kilometer, diesmal kreuzten Seelöwen seinen Weg. Die nächste Station war die Tsugaru-Straße, gefolgt von der Meerenge zwischen der neuseeländischen Nord- und Südinsel – wieder bei 13 Grad kaltem Wasser in der Cook Straße. Wiersig krault knapp 33 Kilometer und acht Stunden im eisigen Wasser.

Blieb noch eine Etappe – die Straße von Gibraltar. Die Distanz zwischen Spanien und Marokko ist vergleichsweise gering, Wiersig schwimmt 18,2 Kilometer, doch er tut sich schwer. Er hat kaum trainieren können vorher, fühlt sich nicht gut, sehnt das Ende herbei. Er ringt sich noch einmal eine große Willensleistung ab, und schafft es mit letzter Kraft nach Marokko. Er jubelt, als er neben zwei Anglern einen Felsen erreicht. Tränen fließen, die Anspannung löst sich: „Ich war der glücklichste Mensch der Welt.“ Und: „Für mich stand die Zeit still.“  

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