Aus HabgierDreifachmörderin am Gießener Gericht zu lebenslanger Haft verurteilt

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dpa Urteil Gießen Dreifachmord

Die 36-Jährige wurde innerhalb weniger Wochen zur Dreifachmörderin.

Gießen/Düsseldorf – Wie soll man etwas erklären, für das es keine Erklärung gibt? Regine Enders-Kunze, Vorsitzende Richterin am Gießener Landgericht, nimmt sich 90 Minuten Zeit, um sich in der Urteilsbegründung der Frage anzunähern, warum die heute 36 Jahre alte Tuba S. im Frühjahr 2016 innerhalb von fünf Wochen zu einer Serienmörderin wird – drei Menschen auf brutale Art und Weise umbringt und anschließend die Wohnungen in Brand setzt, um Spuren zu verwischen.

Das Urteil ist eindeutig: Die Täterin, die während des ein Jahr andauernden Prozesses kein Wort gesagt und keinerlei emotionale Regung gezeigt hat, wird zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Landgericht stellt zudem die besondere Schwere der Schuld fest und ordnet Sicherungsverwahrung an. Das schließt eine vorzeitige Haftentlassung aus.

„Gefühlskalt, egozentrisch, verantwortungslos, therapeutisch nur eingeschränkt erreichbar, eine Gefahr für die Allgemeinheit.“ Mit dieser Beschreibung der Angeklagten endet die Urteilsbegründung. „Diese Frau ist eine Psychopathin.“ Weil Tuba S. im gesamten Prozessverlauf geschwiegen hatte, war die Strafkammer auf Indizien angewiesen.

Leben „spitzte sich krisenhaft zu“

Das Leben der Angeklagten habe „zwar einige Baustellen aufgewiesen“ und sich zu Beginn des Jahres 2016 „krisenhaft zugespitzt“, das allein sei aber keine Erklärung dafür, „was sie zur dreifachen Mörderin gemacht hat“, sagt die Richterin. Keine Ausbildung, den Job im Einzelhandel verloren, keine feste Lebensbeziehung mehr, weil die Freundin sich getrennt hat, kein familiärer Rückhalt, dazu eine prekäre finanzielle Situation mit Schulden von rund 10 000 Euro und der regelmäßige Missbrauch von Schlafmitteln.

Tuba S. versucht mit allen Mitteln, an Geld zu kommen, stellt 72 Kreditanfragen in acht Monaten, fälscht Kontoauszüge, um an neue Kredite zu kommen. Ihre Freundinnen kann sie nicht mehr anpumpen. In dieser für sie offenbar ausweglosen Lage erinnert sie sich an ihren ehemaligen Nachbarn, einen 79 Jahre alten Zauberer aus Gießen, von dem sie weiß, dass er vermögend ist. Zwei Jahre zuvor hat sie ihn bei einem Besuch im Krankenhaus schon einmal bestohlen. Er zeigt sie an, sie wird verurteilt, ist ihren Job los.

Es kommt zu einem Mord aus Habgier – eiskalt geplant. Mit ihren Freundinnen organisiert sie vom 1. bis 3. April 2016 ein „Mädels-Wochenende“ in Gießen, versucht kurz zuvor telefonischen Kontakt mit dem 79-Jährigen aufzunehmen. Das wird später die Auswertung ihres Handys ergeben Die vier Anrufe sind die einzigen von weit mehr als 1000, die gelöscht werden. Am Samstagnachmittag sucht Tuba S. die Wohnung ihres Opfers auf, kauft zuvor Einweghandschuhe und als „Gastgeschenk“ ein paar Flaschen Bier. Ob das Opfer ihr öffnet oder sie sich gewaltsam Zugang verschafft, bleibt unklar. Fest steht: Sie überwältigt den 79-Jährigen, schlägt ihn nieder. Der Mann erleidet erhebliche Kopfverletzungen, die aber nicht tödlich sind.

Mit Händen erwürgt

Tuba S. erwürgt ihn mit den Händen, vier bis sechs Minuten dauert der Todeskampf. Anschließend durchwühlt sie die Wohnung, verlässt den Tatort für ein paar Stunden, „um bei ihren Freundinnen das lange Fortbleiben zu überspielen“, so die Richterin. Als die abends nach Frankfurt zu einem Konzert aufbrechen, kehrt sie in die Wohnung zurück, legt drei Brände im Büro und in der Küche, entfernt die Rauchmelder an der Decke und verschwindet. Sie bittet eine ihrer Freundinnen gar um ein Alibi für die Tatzeit. „Was sie an Bargeldbeständen gefunden hat, bleibt offen“, so die Richterin.

Viel kann es nicht gewesen sein, denn wenige Tage vor der zweiten Tat versucht sie erneut, sich von einer Freundin 500 bis 600 Euro zu leihen. Die lehnt ab. Tuba S. gerät in Rage. In dieser Situation „zieht sie den gewaltsamen Gelderwerb wieder in Erwägung, schaltet ihr Handy ab“, sagt die Richterin. Jole G. (86), eine wohlhabende Dame aus Düsseldorf-Bilk und ihre Tochter Silvia F. (58) werden zu Zufallsopfern. Die Täterin hält sich am Samstag, 7. Mai 2016, bei einer Freundin in Düsseldorf auf.

Das Opfer fällt ihr auf der Straße wegen des auffälligen Goldschmucks auf. Sie folgt ihr in die Wohnung ihrer Tochter, überwältigt und erdrosselt sie mit deren eigenem Halstuch. Als wenig später die Tochter Silvia F. (58) eintrifft, wird auch sie niedergeschlagen. Tuba S. flößt ihr ein Schlafmittel ein, inszeniert den Tatort als Familiendrama. Auf ein Sudoku-Heft schreibt sie „Tut mir leid, Mama“, verteilt Tablettenschachteln in der Wohnung. Die Kripo Düsseldorf fällt auf diese falsche Spur herein, geht zunächst von einem erweiterten Selbstmord aus (siehe Kasten). Mit Goldschmuck in einer Kassette, zwei EC-Karten, deren PIN-Nummern sie den Opfern irgendwie abgepresst haben muss, verlässt sie den Tatort. Das Halstuch, mit dem sie ihr Opfer getötet hat, nutzt sie, um ihr Gesicht zu verbergen, als sie am nächsten Automaten mit den gestohlenen Karten Bargeld abhebt.

Nein. Für eine derartige Gefühlskälte gibt es keine Erklärung. Die Richterin spricht von einer „Anhäufung von krimineller Energie und Schuld. Sie begeht die Tat in Düsseldorf obwohl in Gießen schon gegen sie ermittelt wird“. Selbst das habe keinen „aggressionshemmenden Einfluss“ auf sie gehabt. Nach dem Ende des Prozesses sagt der Sohn und Bruder der Düsseldorferinnen im Namen der Familie leise, „dass das Urteil den Schmerz und die Trauer in keiner Weise lindert“. Aber es verringere die „Fassungslosigkeit“.

Düsseldorfer Kripo ging von erweitertem Suizid aus

Die schweren Ermittlungsfehler der Düsseldorfer Kriminalpolizei beim Doppelmord an Jole G. (86) und  ihrer Tochter  Silvia F. (58) am Samstag, 7. Mai 2016, haben bei der Urteilsbegründung im Strafprozess vor dem Gießener Landgericht keine Rolle mehr gespielt.  Zwei Ermittler der Kripo hatten beim Auffinden der beiden Leichen drei Tage nach der Tat  aufgrund der Spurenlage einen erweiterten Suizid attestiert.

Sie waren in ihrer Theorie lange Zeit davon ausgegangen, dass  Silvia F. erst ihre Mutter getötet und sich dann selbst umgebracht habe. Die Beamten hatten die Situation am Tatort völlig falsch bewertet und ihn deshalb  15 Minuten nach der Obduktion  freigegeben. Dass die Familie der Opfer  erhebliche Zweifel an  einem erweiterten Selbstmord  geäußert hatte, war  von der Kripo ignoriert worden. Selbst als das Obduktionsergebnis mit dem Hinweis des Rechtsmediziners vorlag, dass Silvia F. (51) ebenfalls Gewalt erlitten habe, hielten die Beamten die Theorie vom erweiterten Suizid aufrecht, obwohl der Rechtsmediziner die Todesursache als unklar bezeichnet hatte.

Und zwar so lange, bis  die Mordermittler in Gießen, wo  die  Täterin Tuba S. (36) fünf  Wochen zuvor einen 79-Jährigen umgebracht hatte, bei ihren Ermittlungen in der Wohnung der Täterin auf die EC-Karten und Schmuck der Düsseldorfer Opfer gestoßen waren. Im Laufe des Prozesses hatte Düsseldorfs Kommissariatsleiter Guido Adler sich für die Fehler bei den Ermittlungen entschuldigt. (pb)

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