Corona-KriseDie chinesische Mauer des Schweigens

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Die Welt verlangt von Peking Transparenz.

Die Welt verlangt von Peking Transparenz.

  • Anfangs dachten viele, China werde der Gewinner der Viruskrise sein.
  • Doch danach sieht es nicht mehr aus.
  • Die Welt verlangt von Peking Transparenz.

Peking – Die 34 Jahre alte Sanna Marin regiert seit vier Monaten Finnland, als jüngste Regierungschefin der Welt. Die pragmatische Sozialdemokratin ist als eine eher leise Problemlöserin unterwegs, sie legt es nicht auf Schlagzeilen an. Mit einer unerwartet harten Linie aber hat sie es jüngst sogar in die „New York Times“ geschafft. Marin trennte sich vom Chef der staatlichen finnischen Agentur, die für ihre Regierung Notfallausrüstungen aller Art beschafft: „Ich habe das Vertrauen in ihn verloren.“ Das Problem: Der finnische Beamte hatte 10 Millionen Euro in Gesichtsmasken aus China investiert, die angeblich krankenhaustauglich sein sollten, es aber nicht waren. „Substandard“ sei das Material, sagen Fachleute.

Fälle dieser Art häufen sich, seit Ende März. In Spanien entdeckten Gesundheitsbehörden, dass aus China gelieferte Coronavirus-Testkits nicht zuverlässig funktionierten. In Prag warnten Ärzte, das chinesische Equipment zeige sogar „in bis zu 80 Prozent der Fälle“ falsche Ergebnisse an. Die Niederlande und die Türkei ließen Masken nach China zurückgehen, Georgien stoppte China-Verträge in letzter Minute.

Alarmstufe Rot

Beim Mann auf der Straße entstand allerorten eine doppelt negative Assoziation: Diese Chinesen – erst bescheren sie der Welt ein neuartiges Virus, und dann verkaufen sie uns auch noch Ramschprodukte.

In Chinas diplomatischem Dienst herrscht mittlerweile Alarmstufe Rot. Rund um die Welt spüren Pekings Diplomaten, dass sich stimmungsmäßig etwas für ihr Land Ungünstiges zusammenbraut. Nicht nur in den USA, wo der chaotisierende Präsident Donald Trump aus innenpolitischen Gründen einen Sündenbock für die Viruswelle sucht, sondern auch in Europa, rings um den Pazifik – eigentlich überall.

Kontrolliert werden die Menschen in China von der Polizei.

Kontrolliert werden die Menschen in China von der Polizei.

Australiens Außenministerin Marisa Payne zum Beispiel verlangt inzwischen, den genauen Ursprung der Epidemie in China durch ein unabhängiges internationales Expertengremium untersuchen zu lassen. Notwendig sei jetzt die „Bereitschaft zu umfassender Transparenz“ – anderenfalls könne die Weltgemeinschaft kein neues Vertrauen fassen.

Transparenz? In Peking gab es das noch nie – nicht in der heutigen Hightechdiktatur von Präsident Xi Jingping, nicht unter Mao und auch nicht unter den diversen chinesischen Dynastien in den 3500 Jahren zuvor.

Zwar hat China seit einigen Jahrzehnten Erfahrung darin, der Welt mit einem Lächeln so ziemlich alles zu liefern, was sie will. Transparenz jedoch hat das Reich der Mitte leider nicht im Angebot.

China wird nun eine Lektion erteilt

Erst am Montag stufte Reporter ohne Grenzen das Land im weltweiten Ranking auf dem viertletzten von 180 Plätzen ein und kritisierte, in der Coronakrise habe sich die Zensur noch verschärft.

Dabei war es Xi Jinping höchstpersönlich, der zu Beginn der Krise hohe weltpolitische Sensibilität zeigte – und sogar von sich aus die Systemfrage aufwarf: Mit der Viruskrise, dozierte er vor führenden Leuten seiner Partei, beginne eine Bewährungsprobe, bei der China seine ganze Macht und Effizienz beweisen werde.

Anfangs sah China im weltweiten Vergleich gut aus. Mit seinen mehr als robusten Methoden schien das Regime die Krise rasch zu bezwingen; fast mussten die Demokratien fürchten, ihnen werde nun eine Lektion erteilt.

Kann der Rest der Welt es bei dieser Unkenntnis belassen?

Inzwischen aber läuft die Debatte andersrum – weil die Chinesen mauern. Man solle doch bitte „nicht naiv sein“ und nun an eine Überlegenheit Chinas glauben, warnte in der französische Staatschef Emmanuel Macron. In China seien nun mal „Sachen passiert, über die wir einfach nichts wissen“.

Nun allerdings lautet die Frage; Kann der Westen, kann der Rest der Welt es bei dieser Unkenntnis belassen? Die Australierin Payne spricht mit ihrem klar formulierten Ruf nach einer unabhängigen Untersuchung vielen Menschen aus dem Herzen.

Die Menschen in Peking bewegen sich wieder in der Öffentlichkeit.

Die Menschen in Peking bewegen sich wieder in der Öffentlichkeit.

Unfreiwillig verfolgt das globale Publikum schon seit Wochen Neuigkeiten aus der Welt der Wissenschaft. Und inzwischen fragen die Leute nicht mehr nur nach Tipps zum Umgang mit der Pandemie, sondern auch nach deren Ursprung: War es nun der viel zitierte Tiermarkt in Wuhan? Oder doch das nicht weit entfernte Biotechnologielabor – allen Dementis zum Trotz?

Der erste chinesische Mediziner, der vor dem Virus in sozialen Netzwerken warnte, der Augenarzt Li Wenliang, wurde nachts auf einer Polizeistation zum Schweigen gebracht. Er musste unterschreiben, dass er aufhören werde, „Gerüchte zu verbreiten und die öffentliche Sicherheit schwer zu stören“.

Herkunft des Virus weiter unklar

Dies geschah am 30. Dezember 2019 – die Epidemie hätte zu diesem Zeitpunkt wohl noch regional eingedämmt werden können. Chinesische Behördenvertreter haben inzwischen bei der Familie von Li Wenliang, der an einer Corona-Infektion starb, um Entschuldigung gebeten. Dass das Regime anfangs falsch reagiert hat, ist also schon kein Staatsgeheimnis mehr.

Unklar bleibt aber noch, woher genau das neue Virus stammt. Für die Theorie, dass die bislang nicht verbreitete Virenart Sars-CoV-2 erstmals aus dem Wuhan-Labor für Virologie in die Öffentlichkeit gelangt ist, gibt es keinen Beweis. Unumstritten sind aber fünf Punkte, die den Gedanken an einen Laborunfall zumindest nicht allzu weit hergeholt erscheinen lassen.

In dem Wuhan-Labor, der modernsten Einrichtung ihrer Art in China, wird seit vielen Jahren mit diversen neuen Varianten des Coronavirus hantiert. Zu den Forschungsschwerpunkten gehörte die Übertragung von Erregern aus Fledermäusen auf andere Arten. Eine an dieser Stelle führende Wissenschaftlerin, die Virologin Zheng-Li Shi, war im Westen als „Bat Woman“ bekannt.

2018: Warnungen vor Sicherheitsproblemne in Wuhan

Im Wissenschaftsmagazin „Nature“ publizierte Zhen-Li Shi mit Kollegen am 4. April 2018 einen Bericht zur Übertragung von Coronaviren von Fledermäusen auf Schweine. Ebenfalls im Jahr 2018 warnten US-Experten vor Sicherheitsproblemen im Wuhan-Labor. Der Zeitung „Washington Post“ liegt ein sogenannter Kabelbericht ans US-Außenministerium vor. Danach wird die Forschung an Fledermausviren, zu deren Finanzierung auch die USA beitrugen, als „bedeutsam, aber auch gefährlich“ eingestuft.

Am 2. März 2019 warnte Zhen-Li Shi vor dem Übergang neuer Coronaviren auf den Menschen – es gebe inzwischen „eine gewachsene Wahrscheinlichkeit, dass dies in China geschehen wird“.

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Vor diesem Hintergrund kann man einen Laborunfall für möglich halten – ohne gleich ein antichinesischer Verschwörungstheoretiker zu sein. Zugleich bleibt aber auch die Deutung zulässig, die Epidemie habe nur zufällig ausgerechnet in Wuhan begonnen.

Schon die bloße Unklarheit aber beeinflusst jetzt den „Krieg der Erzählungen“, den der Spanier Josep Borrell, Außenbeauftragter der EU, gekommen sieht. Schon als China mit stolzer Geste Hilfsgüter nach Italien flog, kratzte Borrell an einer „Politik der Großzügigkeit“, deren geopolitische Komponenten unübersehbar seien. Letztlich gehe es Peking darum, sich als starker, unverzichtbarer Partner aufzustellen. (dpa)

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