Drive-In-Wunderland in KalkarNRW liebt den Weihnachtskitsch am „Schnellen Brüter“

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Kalkar Meiler

Weihnachts-Drive-In in Kalkar

  • Das Drive-In-Wunderland in Kalkar zieht die Besucher in Scharen an und wird bis Ende Januar verlängert

Kann es etwas Trostloseres geben als ein paar Kamele auf einer durchweichten Wiese am Niederrhein? Ein paar Kamele im Nieselregen, an denen mit kitschigen Weihnachtspullovern bekleidete Menschen in voll besetzten Autos vorbeikriechen, während aus grauen Megafonen Chris Reas „Driving home for Christmas“ in einer Endlosschleife plärrt? Wohl kaum. In normalen Weihnachtszeiten. Doch die Zeiten sind alles andere als normal. Und deshalb ist das Weihnachts-Drive-In, das die Crew des Freizeitparks „Wunderland“ in Kalkar innerhalb weniger Wochen relativ spontan herbeiorganisiert hat, ein äußerst ungewöhnlicher Ort. Ein wenig unwirtlich, ein wenig unwirklich, einer, an dem die Sehnsucht auf die Hoffnung trifft. Wenn man den kleinen Stau auf der Landstraße hinter sich gebracht hat.

Ein Ort, an dem der Weihnachtsmann, der sonst die Tage vor dem Fest hätte mit Kurzarbeit null verbringen müssen, die Besucher in ihren Autos inmitten einer künstlichen Winterlandschaft zum Stand mit den dampfenden Eintöpfen lotst. „Man bringt den Leuten viel Freude“, sagt der Weihnachtsmann, den blauen Mund-Nasenschutz vor dem weißen Rauschebart. „Wir sind alle viel emotionaler als sonst. Ich hatte gestern ein Mädchen hier, fünf Jahre und blind. Das ist mir schon nahegegangen.“

Kalkar Weihnachtsmann

Corona-konformer Weichnachtmann in Kalkar

Das klingt so kitschig wie es hier auf den ersten Blick auch aussieht, mit den 300 Weihnachtsbäumen, mit Kunstschnee, einer Krippe und einem fliegenden Engel, der unter der Hallendecke an Stahlseilen in einem Höllentempo hin und her saust. Ist aber doch eigentlich gar nicht so kitschig. Weil alle, die sich aufmachen zum wohl einzigen Weihnachtsmarkt in Deutschland, der den Lockdown überlebt hat, sich in dieser stillen Adventszeit genau danach sehnen dürften: nach einer Überdosis Weihnachten.

„Ich finde das total gut, mal überhaupt etwas Weihnachtliches und Winterliches zu haben“, sagt Linda Kubik, während der Weihnachtsmann ihrer Familie im Auto den Weg zur Linsensuppe zeigt. „Es ist einfach mal etwas anderes. Jetzt, wo wir alle so viel zu Hause sind und den Kindern die Decke auf den Kopf fällt, ist das einfach ein Stück Normalität.“

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Für Daphne Hülsken, Marketingchefin im „Wunderland“, ist es mehr als nur das. Noch vor ein paar Wochen seien alle völlig deprimiert gewesen. Die große Zirkus-Dinner-Show mit dem festlichen Menü zu Weihnachten und Silvester, über Monate geplant, abgesagt. Der Zirkus Maximum, ein Familienunternehmen in siebter Generation, als Showelement fest gebucht, ohne Perspektive.

Seit 10. Dezember fährt nun die Drive-In-Weihnachtskundschaft mit dem Auto mitten durch das Zirkuszelt. Am Eingang steht Roman Zinnecker, der Direktor, und sammelt Spenden. Man sei dankbar, Teil des Drive-In zu sein, auch wenn das größte Vergnügen für die Kinder, die Fütterung der Kamele, im harten Lockdown verboten ist. Die waren zunächst begeistert gewesen, die Tiere aus dem Autofenster heraus mit Möhren zu versorgen. Doch jetzt müssen die Fenster geschlossen bleiben. „Das ist eine ganz harte Zeit. Bis auf eine kleine Ausnahme im Sommer stehen wir still“, sagt der Zirkusdirektor. „Normalerweise hätten wir jetzt Weihnachtsgastspiele in Belgien und in Holland.“

Weihnachts-Drive-Ins treffen den Nerv der Zeit

Zwei Tage, bevor die Dinner-Show gecancelt werden musste, sei die Idee des Drive-In geboren worden. Geschäftsführer Han Groot Obbink sei sie spontan gekommen, nach einem Radiobericht über Weihnachtsmarkt-Alternativen. „24 Buden, eine Weihnachtslandschaft, überall Licht und Musik. Die Niederländer sind da immer sehr mutig. Er hat alles versucht, seinen Mitarbeitern die Chance zur Arbeit zu geben“, sagt seine Marketingchefin. Eigentümer des „Wunderlands“ ist der niederländische Unternehmer Hennie van der Most, der die 1991 aufgegebene Bauruine eines Kernreaktors für einen Preis zwischen drei und fünf Millionen D-Mark erwarb.

Der Ansturm seit dem Eröffnungstag habe alle überrascht, sagt Marketingchefin Hülsken. „Wir waren schon am zweiten Tag ausgebucht.“ 675 Autos pro Tag – mehr könne der zweieinhalb Kilometer lange Rundkurs, der neben dem Zirkuszelt noch durch eine Messehalle führt, nicht verkraften. Die Tickets werden zu bestimmten Time-Slots vergeben. Mehr als 75 Autos sollen nicht zeitgleich auf dem Gelände sein. Für den „kleinen Ausweg aus dem Corona-Lockdown“ nähmen die Besucher weite Anfahrten in Kauf.

Warum eigentlich? Freizeitforscher Walter Tokarski von der Kölner Sporthochschule Angebote wie dieses voll im Trend: Drive-In-Weihnachtsmärkte sind Ausdruck einer Neuausrichtung – modernistisch, verglichen mit traditionellen Angeboten manchmal künstlich und grell – aber sie treffen den Geist der Zeit und seien daher beliebt. „Weil es neu und anders ist, wollen die Leute das sehen“, sagt der Professor. Das gelte einmal mehr in Pandemiezeiten, in denen jedes noch mögliche Angebot begierig aufgegriffen werde.

Kalkar Scheibner BERGER

Kinderpunsch für die Familie: Sebastian Scheibner ist aus dem Ruhrgebiet nach Kalkar gekommen.

Das kann man wohl sagen. „Das hier ist eine nette Idee“, sagt Sebastian Scheibner, schaltet die in den Weihnachtspulli eingearbeitete Lichterkette ein und macht es sich mit der Familie und viermal Kinderpunsch so richtig gemütlich. 220 Kilometer – einmal vom Ruhrgebiet hin und wieder zurück. „Ich habe das von einer Kollegin erfahren und gesagt, dass wir da sofort hin müssen. Wir lassen uns die Laune nicht verderben.“

Und dann springt Jumping Eddy samt Saxophon auf sein Einrad. Vor und zurück, vor und zurück. „Full Entertainment“ jeden Abend. Ab halb fünf. Noch so einer, dessen Playback beständig aus dem Traum von weißer Weihnacht besteht. Applaus kann Eddy in einem Drive-In nicht erwarten. Nur ab und an mal ein anerkennendes Hupen. „So etwas habe ich noch nie gemacht. Vor Autos zu spielen, deren Fenster geschlossen sind. Aber es macht mir wirklich sehr viel Spaß.“ Vor allem, weil Freelancer wie Eddy, die zu normalen Zeiten für ganz normale Shows in Kalkar gebucht werden, sich nicht vorstellen konnten, im harten Lockdown irgendwo einen Auftrag zu bekommen.

Kalkar verlängert bis in den Januar hinein

Ein kleines Weihnachtswunder, das nach Heiligabend weitergehen wird. Im Januar werde man das Konzept ein wenig verändern, weg von Weihnachten, mehr hin zu „Snow and Ice“. Man werde die Route abwandeln und eine „schöne Winterlandschaft schaffen“, sagt Marketing-Chefin Hülsken. „Wenn es frieren sollte, kann unsere Schneekanone auch noch etwas zaubern.“

Nebenan, auf dem gleichen Gelände, wird wohl dann schon das Corona-Impfzentrum seinen Betrieb aufgenommen haben. Noch so ein Ort, an dem Hoffnung und Sehnsucht zusammenkommen. An dem die Mediziner alles dafür tun werden, dass die Drive-In-Winterlandschaft nur einen Winter strahlt – und mit Corona wieder verschwindet.

Die klassischen Weihnachtsmärkte könne man nicht ersetzen. „Wir sehnen uns doch alle nach normalen Zeiten“, sagt Hülsken. Bis dahin gebe es noch viel Arbeit, um das Winter-Wunderland am Laufen zu halten. „Es kann immer überall etwas passieren. Mal funktioniert ein Scanner nicht. Oder der Engel will einfach nicht mehr fliegen.“

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