Abo

Eckart von Hirschhausen über die Coronakrise„Im Netz kursiert gefährlicher Unsinn“

Lesezeit 9 Minuten
Eckart von Hirschhausen dpa

Eckart von Hirschhausen

  • Eckart von Hirschhausen ist Arzt, Comedian und Moderator. Auf die Coronavirus-Pandemie hat er daher unterschiedliche Perspektiven.
  • Im Interview spricht von Hirschhausen über Denkfehler in der Krise und viele gute Gründe, gerade jetzt Humor zu bewahren.
  • Außerdem erklärt er, warum er Fan des Virologen Christian Drosten ist und warnt vor kruden Fake News in den sozialen Netzwerken.

Herr von Hirschhausen, Sie sind Arzt und Entertainer. Als was fühlen Sie sich im Moment mehr gefordert?

Einmal Doktor – immer Doktor. Klar wäre ich jetzt lieber mit meinem Kabarettprogramm weiter auf Tour. Ausverkaufte Termine abzusagen ist nicht lustig, weder für die Zuschauer, die Techniker, die Veranstalter und alle, die da noch mit dranhängen. Aber ich bleibe ja auf der Bühne und im Fernsehen im Herzen Arzt. Und wenn die Gesundheit von vielen Menschen in Deutschland und weltweit gerade so massiv gefährdet ist wie jetzt, muss jeder helfen, wo er kann. Und das kann ich am besten in der Vermittlung, denn es haben noch längst nicht alle kapiert, dass es wirklich ernst ist.

Mal ehrlich, hätten Sie sich vor – sagen wir – vier Wochen vorstellen können, was gerade in Deutschland passiert?

Alles zum Thema Christian Drosten

Nein, ganz zu Anfang hielt ich auch die Schließung der Theater und die Absage für die lit.Cologne für übertrieben. Gerade weil so viele verschiedene Meldungen und Meinungen kursierten, neigt ja jeder dazu, sich die Berichte herauszusuchen, die einem in den Kram passen. Das ist menschlich, aber einer unserer größten Denkfehler. Die Psychologen nennen das den „Bestätigungsirrtum“.

Aber in dieser Sache braucht es mehr aufrechte Haltung, seine Haltung zu ändern, wenn sich die Datenlage ändert. Da ich auch ausgebildeter Wissenschaftsjournalist bin, bewundere ich alle, die ihre eigene Unsicherheit im Erkenntnisprozess mit kommunizieren und erklären, warum sie ihre Meinung geändert haben. Christian Drosten, der Virologe von der Berliner Charité, macht das zum Beispiel. Und das macht ihn für mich auch zu einer besseren Quelle als die Kollegen, die schon immer alles richtig wussten. Einen tollen Job macht auch das Science Media Center in Köln mit aktuellen Studien und Bewertungen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Sie haben jetzt einen eigenen Podcast gestartet und auf Anhieb mit ihren Kanälen diese Woche mehrere Millionen Menschen erreicht. Gibt es noch nicht genug Informationen zu Corona?

Das hätte ich auch gedacht, aber offenbar ist das Bedürfnis enorm: nach Einordnung, nach Vernetzung und auch nach psychologischen Tipps, wie man in Quarantäne selber nicht bekloppt wird. Sie machen im „Stadt-Anzeiger“ dazu ja auch einiges.

Im Netz kursieren gerade auch Videos mit kruden Verschwörungstheorien, auch mit Ärzten, die meinen, dass es Corona schon immer gegeben habe, und wir das eigentlich gar nicht gemerkt hätten ohne die Medien. Was sagen sie dazu?

Das ist gefährlicher Unsinn. Dummerweise sind Falschmeldungen psychologisch oft interessanter als ihre Widerlegung. Und wenn man sich viel mit ihnen beschäftigt, werden sie oft noch populärer. Ein historischer Fake ist die Behauptung, Impfungen hätten etwas mit Autismus zu tun. Als ehemaliger Arzt in der Kinderneurologie weiß ich: Autismus ist bei der Geburt schon angelegt, das hat mit später erfolgten Impfungen logischerweise überhaupt nichts zu tun. Diese Falschmeldung geistert bis heute herum, obwohl sie zigfach widerlegt wurde.

Impfungen sind sicher, sinnvoll und solidarisch. Wir brauchen gerade nichts dringender als einen Impfstoff gegen Covid-19, denn dieses Virus hat ein paar sehr neue und gefährliche Eigenschaften, zum Beispiel die hohe Verbreitung durch Menschen, die sich selber gar nicht besonders krank fühlen. Deshalb laufen ja gerade so viele Infizierte herum, die nicht getestet sind und die - wie die Skifahrer aus Ischgl - erstmal munter weiter gefeiert und gestreut haben. Dagegen hilft jetzt nur eines – zu Hause bleiben und die Infektionsketten unterbrechen.

„Was gerade in Italien passiert, ist verheerend“

Ich habe unlängst mit einem Politiker gesprochen, der den Begriff „Verheerung“ gebraucht hat für das, was uns bevorsteht. Ist das angemessen?

Was gerade in Italien passiert, ist verheerend. Wenn man die Militärlastwagen sieht, die eingesetzt werden müssen, weil so viele Menschen gleichzeitig gestorben sind, ist das kaum erträglich und verstößt gegen alle unsere Vorstellungen von einem würdigen Tod und einem Abschied im Kreise der Liebsten. Genau solche Situationen gilt es in Deutschland zu verhindern. Ob das gelingt, werden wir in drei Wochen besser wissen als jetzt.

Ob uns für die Motivation jetzt eine martialische Rhetorik hilft, bezweifle ich. Wir sind nicht im Krieg. Viele der älteren und auch der geflüchteten Menschen bei uns haben echten Krieg erlebt. Meine Eltern und Großeltern mussten als Kinder fliehen und alles zurücklassen. Was von unserer Generation gerade erwartet wird: dass wir auf dem Sofa bleiben. Ich finde das zumutbar.

Das Abstandhalten und die weitgehende soziale Isolation sind sicher epidemiologisch sinnvoll. Aber was macht das mit unserer Psyche?

Das ist extremer Stress! Keine Frage. So zu tun, als wäre es toll, wenn jetzt alle zu Hause zu bleiben, ist Quatsch. Ich habe dazu mit Professor Klaus Lieb gesprochen, der das Leibniz-Institut für Resilienzforschung in Mainz leitet. Er ist als Psychiater sehr besorgt um die seelische Gesundheit in Quarantäne. Wir haben viele Menschen, die sowieso schon an Vereinsamung, an Depressionen und an Sucht leiden. Nach der Finanzkrise gab es eine Zunahme an Suiziden.

Viele fürchten auch eine neue Welle von häuslicher Gewalt, wenn Existenzängste einen verzweifeln lassen. Gerade weil momentan unklar ist, wie lange der Zustand andauert und was aus vielen Freiberuflern wird, ist das schwer auszuhalten. Wichtig: sich in akuten Krisen professionelle Hilfe holen – bei der Telefonseelsorge, beim Patiententelefon der Kassenärztlichen Vereinigung oder bei den Fachleuten in der Psychiatrie.

Was kann helfen, die Quarantäne-Situation erträglicher zu machen?

Es klingt fast buddhistisch, aber ein Tipp heißt: radikale Akzeptanz. Je mehr psychische Energie wir damit verdödeln, der Realität vorzuwerfen, dass wir uns das Ganze anders vorgestellt haben, desto anstrengender wird es. Und umso weniger Energie bleibt für die konstruktive Gestaltung dieser Ausnahme-Situation. Ich war ja letztes Jahr für eine ARD-Doku drei Tage im Knast. Und ich war privat schon mal über zehn Tage in einem Schweigekloster. Die Einrichtung der Zellen ist sehr ähnlich. Bett, Stuhl, Tisch, fertig. Einmal ist es Zwang, einmal selbst gewählt.

Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich, aber vielleicht hilft dieses Bild, sich in seiner Haltung zu entscheiden: Ich bleibe jetzt zu Hause – nicht weil ich dazu verdonnert werde, sondern weil ich es will. Ich bin freiwillig zu Hause, weil ich das für sinnvoll halte und ich damit andere Menschen schütze. Wenn wir uns alle daran halten, geht die Krise schneller vorbei.

Wir können damit Ärzten, Pflegekräften und vielen anderen Mitmenschen helfen, die gerade unter maximalem Einsatz den Laden am Laufen halten, dass sie nicht in die totale Überlastung kommen. Und wir geben den Wissenschaftlern Zeit, Medikamente und Impfstoffe zu entwickeln. Soziale Distanz ist nicht toll, aber das Beste, was wir gerade tun können.

„Flatten the curve“ ist sehr abstrakt

Und wie erklären Sie sich dann „Corona-Partys“?

Es ist normal, sich als Jugendlicher nicht an Normen zu halten. Ich hatte in der Kinderpsychiatrie zu tun mit 15-jährigen S-Bahn-Surfern. Das ist keine gute Idee, bei voller Fahrt den Kopf rauszuhalten. Das wächst sich aber aus. S-Bahn-Surfen ist unter 50-Jährigen kein therapeutisches Thema mehr. Da ist man dann froh um einen Sitzplatz. Was Jugendlichen jetzt helfen kann, wenn sie gerade rebellieren wollen gegen ihre Eltern: die Großeltern. Wer das Glück hat, vier Großeltern zu haben, kann sich klar machen:

Ohne Gegenmaßnahmen wird Covid-19 aller Wahrscheinlichkeit nach einen von denen töten. Wer will das? „Flatten the curve“ ist ja richtig, aber sehr abstrakt. Ich wünsche mir mehr konkrete Bilder, wie sehr das uns alle angeht. Und weniger Bilder von den Ausnahmen. Die meisten Jugendlichen bleiben gerade zu Hause. Und sind schrott genervt, wenn sie medial vermittelt bekommen: „Überall ist Party, ich bin der einzige Depp, der sich an die Abmachung hält.“ Auf jeden Durchgeknallten kommen Tausend andere, die den Schuss gehört haben. Die sind die Helden, die gehören ins Fernsehen, in die Zeitung und die sozialen Medien!

Frage an den Kabarettisten: Gibt’s noch Grund zum Lachen?

Jede Menge. Ich staune über die Kreativität von Künstlern, Komikern, Autoren und über die Vielfalt der Solidarität. Ob das die Seiten „quarantaenehelden.de“ oder „nebenan.de“ sind oder Medizinstudierende, die sich gerade einarbeiten lassen, um zu helfen. Am Wochenende gab es eine kollektive Ode an die Freude, Johannes Oerding hat in meinem Podcast seinen Hit „An diesen Tagen, bleiben wir alle zuhaus“ umgetextet, und im Netz bringt ein Brasilianer einem bei, wie man den Küchenfußboden mit einem Spritzer Pril zum Laufband verwandelt.

Viele Kollegen lassen sich viel einfallen, um Konzerte online zu vernetzen, Kabarettsendungen zu retten– ohne Publikum vor Ort. Selbst die Kirchen öffnen sich dem Digitalen. Und weil gestern Sonntag war, mein Wort zum Montag: Nächstenliebe heißt jetzt „Abstand halten“.

Lieber Bäume statt Menschen umarmen

Sich mit „Social Distancing“ dennoch Nähe zu schenken, ist schwierig, weil man sich digital so schlecht umarmen kann ...

Das stimmt. Und da würde eine Klarstellung der Spielregeln sicher helfen. Mit den Menschen, die um einen herum sind, darf man natürlich weiter Körperkontakt haben, sofern die keine Symptome haben. Es geht ja darum, die Durchmischung und die Weitergabe zu stoppen. Im Wald zu spazieren, ob mit Hund oder ohne, ist weiter gesund und bringt niemanden in Gefahr. Und wem danach ist, darf auch einen Baum umarmen. Aber bitte nicht alle denselben. Man kann gerade nicht alles richtig machen – aber viel.

Politik hört gerade auf die Wissenschaft und ringt sich zu unbequemen Entscheidungen durch. Warum ist das eigentlich vorher nie passiert?

Die Covid-19-Pandemie ist tatsächlich eine komplett neue Situation, auf die wir alle nicht besonders gut vorbereitet waren. Die Politik muss gerade eine sehr schwierige Abwägung treffen zwischen den Interessen der Bürger, der Wirtschaft und dem Gesundheitswesen. Die Einschränkungen persönlicher Freiheiten sind weder langfristig noch ohne triftige Gründe in unserer Demokratie möglich. Zum Glück.

Sehen Sie etwas Positives in der Krise, eine Chance?

Mit Corona ist etwas gelungen, was vorher als undenkbar galt: Die Emissionen sind gesunken! Der Grund, warum immer wieder Viren von Wildtieren auf Menschen übertragen werden, ist der brutale Rückgang ihrer natürlichen Lebensräume. Und dann werden die noch gegessen und gehandelt. Wildtiermärkte gehören weltweit verboten. Sofort. Vor 10 000 Jahren hatten Menschen global einen Gewichtsanteil von einem Prozent und Wildtiere von 99 Prozent.

Und heute ...?

Heute besteht die Biomasse der Wirbeltiere aus 32 Prozent Menschen, 67 Prozent Nutztieren und nur noch einem Prozent Wildtieren. Das ist und macht krank. Wir haben Gesundheit viel zu lange als etwas Individuelles betrachtet. Jeder ist für sich selber verantwortlich, und für jede Krankheit gibt es eine Behandlung. Corona erinnert uns an den Stellenwert von „Public Health“; an Gesundheitsgefahren, für die es übergeordnete Lösungen braucht. Die größte Gesundheitsgefahr ist und bleibt die Klimakrise, die Zerstörung unserer Mitwelt, die sich an vielen Stellen rächt, durch eine Zunahme von Infektionskrankheiten, von Allergien, von Hitze, Dürre und Waldbränden.

Nur hat dafür im Moment kaum einer den Kopf frei.

Dabei hängen die Krisen eng zusammen. Gesunde Menschen gibt es nur auf einem gesunden Planeten. Meine große Hoffnung ist, dass wir nach der Krise neu darüber nachdenken werden, welche Art von Wachstum wir denn wieder „ankurbeln“ wollen, wenn es mit sauberer Luft, mehr Fahrrad und weniger sinnlosen Flügen eigentlich viel schöner ist. Wenn uns das Überleben Einzelner heute befähigt, unseren Lebensstil zu ändern, sollte das nicht auch für das Überleben der Menschheit gelten?

Quelle Video: TAKEPART media and science

KStA abonnieren