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Experiment gelungenWieso Süßkartoffeln mittlerweile auch im Rheinland wachsen

Lesezeit 7 Minuten
Ibo, Erntehelfer aus der Türkei, weiß genau, wann eine Knolle reif ist.

Ibo, Erntehelfer aus der Türkei, weiß genau, wann eine Knolle reif ist.

  • Süßkartoffeln im Rheinland anzubauen, wäre bis vor ein paar Jahren undenkbar gewesen.
  • Wieso ist das jetzt möglich?
  • Wir waren bei der Ernte im Rheinland dabei.

Bornheim – Landwirt Orhan Rüvel sitzt oben auf, im roten Traktor, mannshohe Reifen zerdrücken in Schrittgeschwindigkeit die Erde auf dem Feld. Staub wirbelt durch die Luft. Es riecht erdig, nach Kompost und Abgasen. Ein metallenes Gerüst, das hinten am Traktor befestigt ist, ruckelt ohrenbetäubend. Abwechselnd bewegen sich die beiden schweren Gitter auf und ab. Behutsam arbeiten sie sich ihren Weg unter die Erde, orangerote Knollen kommen durch das Rütteln zu Tage. Es ist Süßkartoffel-Ernte auf den Feldern des Biohof Busch in Bornheim.

Süßkartoffeln sind im Trend, die Nachfrage steigt. Laut Zahlen des Bundeszentrums für Ernährung allein zwischen 2012 und 2016 um das Doppelte. Von den Speisekarten der Burgerläden sind die zu Fritten verarbeiteten Knollen mittlerweile nicht mehr wegzudenken. Geschmacklich zwischen Karotte, Kürbis und Kartoffel sind die Windengewächse vor allem: süß.

Die meisten Süßkartoffeln, die in den Supermärkten liegen, kommen aus den USA, manche auch aus Ägypten oder Israel und immer häufiger aus Spanien. Die Ipomoea batatas, so der Fachbegriff, mögen es nämlich warm und feucht. Seit einiger Zeit versuchen sich auch die ersten Deutschen Bauern daran, das Trend-Gemüse anzubauen.

15.000 Setzlinge auf einer Fläche knapp unter einem halben Hektar

So auch Orhan Rüvel. Der 39-jährige ist Landwirtschaftschef auf dem Demeter-zertifizierten Biohof Bursch. Seit 1997 arbeitet er hier, damals war er gerade einmal 16 Jahre alt. Heute kennt kaum jemand den Hof besser, als er. Rüvel plant, pflanzt, erntet – er hat seine Hände überall im Spiel und in der Erde.

Jedes Jahr machen sich der Landwirt und sein Chef, Hof-Geschäftsführer Heinz Bursch auf den Weg und schauen sich bei der Konkurrenz nach neuen Ideen um. Im vergangenen Sommer sind sie dabei auf einen Hof gestoßen, der Süßkartoffeln anbaut. Doch im Vorgebirge hatte das bislang noch keiner versucht, schon gar nicht nach Demeter-Standards. Seitdem beschäftigt sich Orhan Rüvel mit den Knollen, die auch Bataten genannt werden. Zwei Sorten, eine eher lilafarbene und eine orangene, haben ihn überzeugt. Schließlich, am 17. Mai war es soweit: Rüvel und seine Mitarbeiter pflanzten 15.000 Setzlinge auf einer Fläche knapp unter einem halben Hektar. In langen Wällen, parallel über das Feld verteilt, sind die Süßkartoffeln versetzt angeordnet.

Süßkartoffeln dank Klimawandel

Wieso erst jetzt? Wieso nicht vor 15 oder 10 Jahren schon? „Da wäre das noch gar nicht möglich gewesen“, sagt Rüvel. Vielmehr als der Trend zur Burger-Beilage Nummer eins erlaubt nämlich ein wenig erfreulicher Trend den Anbau in Deutschland: Der Klimawandel. Den Süßkartoffeln wäre es hier bis vor wenigen Jahren schlicht zu kalt gewesen. Das ist jetzt anders.

Orhan Rüvel dreht sich eine Zigarette, filterlos. Er blickt auf das Feld hinter sich. „Da steckt eine Menge Arbeit drin.“ Erntehelfer wuseln umher, die Süßkartoffeln sind reif. „Wir sind schon alle zufrieden, dass das funktioniert hat“, erklärt der Chef und erinnert sich an die Monate zuvor. Harte Monate. So viel Arbeit wie die Süßkartoffeln mache keine andere der rund 60 Pflanzen, die auf dem Hof angebaut werden.

Zwar ist es den Bataten warm genug, um auch in Bornheim zu wachsen, ein wenig nachhelfen musste der Landwirt zu Beginn dennoch. Unter zehn Grad darf die Temperatur in der Nacht nicht sinken, im Mai kam das allerdings manchmal vor.

Eingepackt in Vlies und Folie

Die liebevolle Lösung: Jede Nacht decken die Mitarbeiter die Pflanzen mit einem Vliestuch zu, früh morgens wieder ab. Zwei Wochen lang, jeden Tag. Auch tagsüber überließen die Landwirte die Pflanzen nicht sich selbst. Eine schwarze Folie kleidete die Wälle vollständig ein. Schwarz, um die Wärme der Sonne anzuziehen.

Nun war es den Süßkartoffeln zwar warm genug, doch der dritte Dürresommer in Folge und die geringen Niederschläge vor allem im Frühjahr hätten sie nicht überstanden. Unter den Folien entlang verlaufen deshalb Beregnungsschläuche. Durch kleine Löcher darin gelangt das Wasser zielgenau zu den Pflanzen. Und durch die Folie kann es nicht verdunsten. Ein ausgeklügeltes System. Und die Bataten brauchen besonders viel Wasser. „Noch mehr als Kohl, und der braucht schon eine Menge“, sagt Rüvel. Einen Tag in der Woche lief das Wasser durch die Schläuche in die Wälle. Zum Vergleich: Dem Kohl reicht die gleiche Behandlung alle zwei Wochen.

Süßkartoffeln sind im Trend, auch weil sie als besonders nährstoffreich und gesund gelten. Tatsächlich stecken im orangefarbenen Gemüse sogar etwas mehr Calcium, Magnesium, Vitamin E, Folsäure und Vitamin C als in normalen Kartoffeln. Zwar haben sie deutlich mehr Kalorien, halten dafür aber auch länger satt. Kein Wunder also, dass die Batate weltweit auf Platz drei der meistgeernteten Knollennahrungspflanzen rangiert. Hinter Kartoffel und Maniok. Laut Daten der Vereinten Nationen wurden 2018 insgesamt mehr als 90 Millionen Tonnen geerntet.

Empfindliche Frucht aus dem Boden

In Bornheim steht dieses Jahr erstmalig die Ernte an. Der Boden ist mittlerweile aufgerüttelt, die Knollen leuchten in warmen Farbtönen aus den Erdwällen heraus. Normale Kartoffeln würde nun eine Maschine auflesen, doch sind die Bataten dafür zu empfindlich. Das demonstriert Lothar Tolksdorf, verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit des Hofes: Vorsichtig fährt er mit dem Fingernagel über die Schale – die sich sofort löst. „Man muss sie wie mit Samthandschuhen anfassen.“

Die Erntehelfer, viele von ihnen kommen aus Rumänien und der Türkei, legen die Feldfrüchte dann auch sehr vorsichtig in kleine Kisten. Einer von ihnen ist Ibo, 45 Jahre alt, seit zwölf Jahren auf dem Hof beschäftigt. Der inoffizielle Anführer der Gruppe. Ein Arbeiter reckt seine Hand mit einer schmalen Kartoffel in die Luft, Ibo schüttelt den Kopf. Ob eine Knolle schon gut genug ist, entscheidet er. Seit kurz nach fünf Uhr am Morgen ist er auf den Beinen, um neun Uhr gab es Frühstück, danach ging es wieder aufs Feld, 12:30 Mittagessen und danach bis zum Feierabend zurück zu den Süßkartoffeln. „Wenn es richtig heiß ist, fangen wir auch noch früher an“, sagt er.

Zwölf Männer, sichtlich gut trainiert, sammeln die Knollen ein. Schnell ist der Lastwagen voller aufeinander gestapelter Kisten. Die Süßkartoffeln könnte man schon jetzt essen. Auch roh. Doch würden sie sehr fad schmecken. Zunächst wird das Gemüse etwa zehn Tage im Lager verbringen müssen, dann erst werden die Bataten süß.

Zehn Kisten aufeinander türmen sich in vier Reihen bis tief in das Lager hinein. Einen Teil der Ernte haben die Bauern schon vor zwei Wochen eingefahren. „Das hier sind die, die wir im Laden verkaufen“, sagt Tolksdorf und zeigt auf gleichmäßig geformte Knollen, etwa zwanzig Zentimeter lang. 6,95 kostet ein Kilogramm. Nicht alle Süßkartoffeln haben allerdings diese gewünschten Idealmaße. „Wenn die Bataten eine Zeit lang mehr Wasser hatten, werden sie an der Stelle dicker“, erklärt Tolksdorf. Auf diese Art kann es passieren, dass eine Knollen allein über ein Kilogramm auf die Waage bringt. Solche Riesenfrüchte würden zum Beispiel an Restaurants verkauft.

Gelungenes Experiment

Auf dem Feld, auf dem Hof, im Lager macht sich Zufriedenheit breit. Der Stolz auf das gelungene Experiment ist spürbar. Und lässt sich auch mit Zahlen belegen. Mehr als vier Tonnen Süßkartoffeln erwarten die Landwirte auf dem Hof Bursch, wenn alle Felder abgeerntet sind. „Das ist mehr als wir verkaufen können“, sagt Tolksdorf. Auch wenn die Bataten aus „eigener Ernte“, so ist auf einer Werbetafel im Hofladen zu lesen, bisher gut über die Theke gehen. Die Werbetrommel soll weiter gedreht werden, mit 17 Ständen ist der Hof auf Märkten im Rheinland vertreten.

Orhan Rüvel ist sich sicher: Auch im kommenden Jahr sollen hier in Bornheim Süßkartoffeln angebaut werden. Vermutlich sogar noch mehr, als in diesem Jahr. Die Planungen haben längst begonnen. An Stelle der Plastikfolie, die die Knollen den Sommer über zusätzlich gewärmt haben, soll im kommenden Jahr eine ökologisch abbaubare Folie diese Aufgabe übernehmen. Und ein weiterer Brunnen für die Bewässerung ist schon im Gespräch.

So viel Fürsorge und Zeit die Süßkartoffeln, Bataten oder Ipomoea batatas auch brauchen, auf einen Faktor wird im kommenden Jahr wohl oder übel Verlass sein: Die steigenden Temperaturen, auch hier in Deutschland. Denn ohne den bedenklichen Trend Klimawandel könnten die orange-roten Knollen nicht aus „eigener Ernte“ aus der Region kommen.

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