Explosion in BeirutPräsident zur Ursache: „Fahrlässigkeit oder Eingreifen von außen“

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Beirut Mar Mikael

Durch die Explosion wurden weite Teile Beiruts, hier etwa im Stadtteil Mar Mikael, zerstört oder schwer beschädigt.

Beirut – Drei Tage nach der verheerenden Explosion im Hafen der libanesischen Hauptstadt Beirut haben Rettungshelfer weitere Opfer aus den Trümmern geborgen. Die Zahl der Toten stieg auf 154, wie das libanesische Gesundheitsministerium am Freitag erklärte. Rund 5000 Menschen wurden verletzt. Die Zahl der Toten könnte weiter steigen, weil noch viele Schwerverletzte auf der Intensivstation um ihr Leben kämpfen. Hilfsorganisationen warnen, die Kliniken seien überlastet.

Die Suche nach Überlebenden ging weiter, kam aber nur langsam voran. Kräne und Bulldozer versuchten, große Trümmerteile zu räumen. Das libanesische Rote Kreuz schätzt, dass noch rund 100 Menschen vermisst werden. Dabei soll es sich vor allem um Hafenarbeiter handeln. Internationale Teams waren an der Suche beteiligt, darunter auch das Technische Hilfswerk (THW). Ein Krisenunterstützungsteam (KUT) der Bundeswehr sollte am Freitagnachmittag in Libanons Hauptstadt eintreffen.

Die USA schicken dem Libanon nach den verheerenden Explosionen in der Hauptstadt Beirut Hilfsgüter im Wert von 15 Millionen Dollar (12,8 Millionen Euro). Die Lebensmittel und Medikamente würden von der US-Armee in das Land gebracht, erklärte die staatliche Hilfsorganisation US-Aid am Freitag. Die Hilfslieferungen enthalten demnach Lebensmittel für drei Monate für 50.000 Menschen sowie Medikamente für drei Monate für 60.000 Menschen. 

Unicef: 80.000 Kinder obdachlos

Infolge der Explosion wurden auch rund 80.000 Kinder obdachlos wie die Sprecherin des UN-Kinderhilfswerks Unicef, Marixie Mercado, sagte. Viele Haushalte hätten nur begrenzt Wasser und Strom. Zudem gebe es Berichte, dass mehr als 120 Schulen beschädigt worden seien. Beiruts Gouverneur hatte erklärt, durch die Explosion könnten in Libanons Hauptstadt bis zu 250.000 Menschen obdachlos geworden sein.

An der Absperrung zum Hafen versammelten sich auch wütende Einwohner, darunter Angehörige von Vermissten. Sie riefen: „Diese Regierung hat versagt“. „Die Explosion war am Dienstag, und sie arbeiten noch immer langsam“, sagte einer der Demonstranten. „Wenn noch Lebende unter den Trümmern festgesessen haben, dann sind sie jetzt tot.“

Die Wut vieler Libanesen auf die Regierung und die politische Elite ist groß. Sie machen die Führung für die Explosion verantwortlich und werfen ihr grobe Fahrlässigkeit vor. Die heftige Explosion soll durch große Mengen Ammoniumnitrat ausgelöst worden sein, die seit Jahren ohne Sicherheitsmaßnahmen im Hafen gelagert wurden. Außenminister Heiko Maas (SPD) forderte in einem Interview mit der „Saarbrücker Zeitung“ von der libanesischen Regierung „echten Reformwillen“.

Präsident: „Nachlässigkeit oder Eingreifen von außen“

Der libanesische Präsident Michel Aoun äußerte sich am Freitag zum Unglückshergang und sprach von „Nachlässigkeit oder einem Eingreifen von außen“ als Ursache. Es sei möglich, dass die Explosionen durch „Fahrlässigkeit oder durch äußere Einwirkung, mit einer Rakete oder einer Bombe“, ausgelöst wurden, sagte Aoun in einem Fernsehinterview.

Forderungen nach einer internationalen Untersuchung wies er zurück. Auf die Frage, ob er gegen eine internationale Untersuchung sei, antwortete Aoun mit „natürlich“. Eine solche Untersuchung würde „die Wahrheit verwässern“.

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In der Nacht auf Freitag kam es in Beirut vereinzelt zu Protesten. Aktivisten haben für Samstag zu weiteren Demonstrationen aufgerufen, die nach der Beerdigung von Opfern beginnen sollen.

Vereinzelt wird im Libanon auch öffentlich nach der Verantwortung der einflussreichen schiitischen Hisbollah für die Explosion gefragt. Die Iran-treue Organisation ist an der Regierung beteiligt und bildet im Libanon einen Staat im Staate. Ihre Macht sehen viele als unantastbar. Der Bruder von Ex-Regierungschef Saad Hariri, Baha Hariri, sagte nach Angaben lokaler Medien, die Hisbollah kontrolliere den Beiruter Hafen. Nichts komme dort ohne sie hinein und hinaus.

Hisbollah weist jede Verantwortung zurück

Die schiitische Hisbollah wies am Freitagnachmittag jede Verantwortung für die verheerende Explosion zurück. Er erkläre entschieden, dass seine Organisation nichts im Hafen habe, sagte Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah am Freitag in einer Fernsehansprache: „Kein Waffenlager, keine Raketen, keine Gewehre, keine Bombe, keine Kugeln, kein Nitrat. Absolut nichts, weder jetzt, noch früher, noch in Zukunft.“ Er wies auch den Vorwurf zurück, die Hisbollah kontrolliere den Hafen.

Die Sicherheitsbehörden waren bei ihren Ermittlungen zur Hisbollah auf eine Lagerung von Ammoniumnitrat in Deutschland aufmerksam geworden. Das Bundesamt für Verfassungsschutz teilte mit, es sei im Rahmen der Bearbeitung der Hisbollah in der Vergangenheit eine Lagerung von sogenannten „Cold-Packs“, die unter anderem Ammoniumnitrat enthielten, bekannt geworden. Es lägen keinerlei Erkenntnisse oder Anhaltspunkte vor, dass die hiesige Lagerung in einem Zusammenhang mit den Lagerungen im Hafen von Beirut stehe. 

Zyprischen Behörden befragten unterdessen den früheren Besitzer des Frachtschiffs „Rhosus“, Igor Gretschuschkin. Das Schiff soll 2013 große Mengen Ammoniumnitrat nach Beirut gebracht haben. Die Befragung von Gretschuschkin sei auf Antrag der libanesischen Polizei geschehen, wie der Sprecher der zyprischen Polizei Christos Andreou sagte. Die libanesischen Behörden hätten den Zyprern „einige Fragen geschickt“, die der 43-jährige Russe „gerne beantwortet“ habe.  (dpa, afp)

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