Heinsberger Landrat„Bund und Länder haben die Virus-Krise unterschätzt“

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Stephan Pusch, Landrat des Kreis Heinsberg

  • Der Heinsberger Landrat Stephan Pusch (51) kämpft seit einem Monat mit seinem Krisenstab in seinem Kreis gegen die Pandemie.
  • Nun sollen die Chinesen helfen, dringend benötigte Schutzkleidung zu liefern, unterdessen stagnieren im einstigen Corona-Epizentrum die Infektionszahlen.
  • Der CDU-Politiker glaubt im Gespräch mit dem Kölner Stadt-Anzeiger, dass bis Ende April ein Umkehrpunkt erreicht ist.

Herr Pusch, wie ist die Lage im Kreis Heinsberg?

Stephan Pusch: Aktuell nach der Krisenstabssitzung haben wir 1108 infizierte Personen, 28 Tote und 344 Menschen, die als geheilt entlassen wurden.

Flacht die Krankheitskurve ab?

Pusch: Zwar sind die Zahlen von Dienstag auf Mittwoch nochmals um 52 Personen gestiegen, aber die Steigerungsrate der als geheilt Entlassenen ist ähnlich hoch. Zudem melden uns die drei Krankenhäuser im Kreis, dass die Zahl der Neuaufnahmen und der Intensiv-Betreuten seit Tagen stagniert - zwar auf einem hohen Niveau, aber so langsam scheint sich die Situation zu beruhigen.

Inzwischen wird Kritik laut an der unterschiedlichen Datenlage zu den Virus-Infektionen, wie beurteilen Sie die Entwicklung?

Pusch: Im Kreis Heinsberg ist das kein Problem. Wir schauen natürlich auch über unseren Tellerrand, wie die anderen gegen die Virus-Krise vorgehen. Der Kreis bekommt aber jeden Abend von der Bezirksregierung die neuesten Zahlen, die im Kölner Regierungsbezirk gesammelt wurden. Ob es da mitunter auch mal Differenzen zu anderen Erhebungen gibt, fällt nicht so sehr ins Gewicht. Wichtig ist, dass man an den Daten ablesen kann, ob die richtigen Maßnahmen ergriffen wurden. Weitaus wichtiger ist aber auch zu wissen, was in den Kliniken vor Ort tatsächlich los ist.

In den vergangenen Wochen haben Sie Bund- und Landesregierung öffentlich wegen mangelnder Ausstattung mit Schutzkleidung kritisiert, wie sieht es denn derzeit aus?

Pusch: Inzwischen ist ein wenig Nachschub eingetroffen. Und nachdem ich den chinesischen Staatspräsidenten in einem öffentlichen Brief um Hilfe gebeten hatte, um die Lieferengpässe in unserer Region aufzulösen, hat uns die Volkrepublik China schnelle Unterstützung zugesagt. Ich bin guter Dinge, dass wir Ende der Woche schon mal etliche Tausende Atemschutzmasken bekommen werden. Was genau kommt, müssen wir noch abwarten, aber dann wären wir dann auch für ein paar Tage hinreichend versorgt sind.

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Wie groß war die Not, um diese ungewöhnliche Bitte zu formulieren?

Pusch: In den ersten Wochen haben Bund und Land aus meiner Sicht die Krise unterschätzt, deshalb habe ich auch immer wieder einmal öffentlich Kritik am Krisenmanagement in Berlin und Düsseldorf geübt. Inzwischen scheinen die Verantwortlichen verstanden zu haben. Allerorten bemüht man sich, entsprechendes Schutzmaterial zu beschaffen. Allein unsere relativ kleinen Krankenhäuser, die 30 Virus-Patienten pflegen, verbrauchen täglich 1400 FFP2-Masken, 3840 Schutzkittel und 5200 Mund-Nasen-Schutz-Aufsätze. Das sind enorme Mengen. Und dieser Bedarf ist schlichtweg unterschätzt worden.

Wie schwierig ist die Suche auf dem Weltmarkt?

Pusch: Die Beschaffung stellt eine große Herausforderung dar. Die Nachfrage ist verständlicherweise enorm hoch. Inzwischen merkt jeder, wie schwer es ist auf dem leer gefegten Weltmarkt Masken, Schutzkittel oder Mund-Nase-Schutz zu besorgen. Ich denke mal, wenn Kanzlerin Angela Merkel mit dem chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping spricht, wird man nicht nur ein paar Höflichkeitsfloskeln austauschen, sondern vermutlich geht es auch um das Problem, neues Schutzmaterial zu generieren. Immerhin ist China einer der größten Produzenten solcher Utensilien.

Das hört sich aber mehr nach Hoffnung als Zuversicht an.

Pusch: Was heißt Zuversicht ? Beinahe täglich bemüht sich ein kleiner Stab meiner Mitarbeiter, den Markt nach neuen Quellen zu durchforsten. Da muss man eng am Ball bleiben, andernfalls entsteht ein massives Problem. Inzwischen melden sich auch Geschäftemacher, die angeblich einen Onkel in China haben und uns Masken verkaufen wollen, ich bekomme täglich solcher dubiosen Mails.

Jetzt hat der Düsseldorfer Oberbürgermeister Geisel den harten Kurs im Krisenmanagement in Bund und Land kritisiert und gefordert, so schnell wie möglich das öffentliche Leben wieder hochzufahren, ihre Meinung dazu?

Pusch: Das klingt nach Trump light (lacht). Spaß beiseite, in dieser schwierigen Situation ist vor allen Dingen Geduld gefragt. Ich bin selber eher ein ungeduldiger Mensch und dringe gerne auf schnelle Resultate. Aber Corona lehrt uns eigentlich Geduld. Als einer der leidvollen Vorreiter der Virus-Epidemie haben wir seit dem Ausbruch im Heinsberger Kreis vor einem Monat Folgendes gelernt: Es dauert einige Zeit, bis sich herausstellt, ob sich eine Maßnahme als gut und schlecht herausstellt. Seit knapp einer Woche erst gilt die Kontaktsperre. Ein Schritt, der mindestens für einen Monat angelegt ist. Und bereits nach wenigen Tagen fangen die ersten Kritiker an, nach Lockerungen zu rufen. Das ist typisch Deutsch. Nach unseren Erkenntnissen ist erst nach zwei bis drei Wochen erkennbar, ob dieser Kurs greift. Erst dann sollte man überlegen, unter welchen Voraussetzungen das Kontaktverbot zu lockern wäre. Auch müsste das Tragen von Schutzmasken in der Öffentlichkeit die kommenden Monate hierzulande salonfähig werden, so wie es in Asien üblich ist.

Wann ist Heinsberg wieder auf dem Damm?

Pusch: Wenn ich das wüsste, würde ich wohl den Nobelpreis in Medizin bekommen. Vorsichtig prognostiziert rechnen wir damit, dass die Höchstrate der Infizierten bis Mitte/Ende April erreicht ist. Die stagnierenden Zahlen könnten bereits den Umkehrpunkt bedeuten, es kann aber auch das Gegenteil der Fall sein. Eine Entwarnung zu verkünden, wäre verfrüht, denn nichts ist Schlimmer als enttäuschte Hoffnungen zu schüren. Wir sind sicherlich auf einem guten Weg, der Trend nach vier Wochen deutet daraufhin, dass unsere Maßnahmen greifen.

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