Syrer in NRWFälschlich inhaftiert und in der Zelle verbrannt

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Der Wagen eines Notarztes steht an der JVA Kleve, als ein Feuer in einer Zelle ausbrach.

Der Wagen eines Notarztes steht an der JVA Kleve, als ein Feuer in einer Zelle ausbrach.

Düsseldorf – Der Tod eines 26-Jährigen Syrers in der Justizvollzugsanstalt Kleve setzt die Strafverfolgungsbehörden in NRW unter Druck. Der Mann, der nach einem Brand in seiner Zelle starb, hätte sich dort gar nicht befinden dürfen. Nach Informationen unserer Zeitung spielte bei der Verhaftung eine fatale Namensverwechslung eine zentrale Rolle. Der Syrer hieß „Ahmed Ahmed“. Einen sehr ähnlichen Vor- und Namen verwendete ein per Haftbefehl gesuchter Mann aus Mali als Alias.

Der Syrer war bereits am 6. Juli von der Polizei in Geldern nach einem Streit festgenommen worden. Der Zuwanderer wurde mit auf die Wache genommen. Bei der Überprüfung durch das polizeiliche Informationssystem Viva ergab sich ein Treffer. Die Hamburger Staatsanwaltschaft suchte einen Mann mit einem fast gleichen Aliasnamen. Beide Männer waren im Januar 1992 geboren. Der Syrer allerdings in Aleppo, der Schwarzafrikaner in Timbuktu. Dies machte aber offenbar niemanden misstrauisch.

Der gesuchte 26-Jährige aus Mali musste im Jahr 2015 wegen mehrerer schwerer Diebstähle in der Hansestadt vor Gericht. Die Polizei fand heraus, dass der Delinquent unter etlichen Aliasnamen arabisch-syrischer Herkunft agierte, ähnlich dem Berliner Attentäter Anis Amri aus Tunesien. „Im Dezember 2015 wurde der Asylbewerber wegen diverser Taten zu neun Monaten Haft verurteilt. Das Urteil wurde im April 2016 rechtskräftig“, berichtet die Hamburger Oberstaatsanwältin Nana Frombach. Doch der Kleinkriminelle machte ungerührt weiter, im Juli 2016 kassierte er wegen zweier einfacher Diebstähle eine Geldstrafe, die zu 57 Hafttagen umgewandelt wurde. Als der Afrikaner seine Strafe nicht antrat, wurde er im Fahndungssystem zur Vollstreckungshaft ausgeschrieben.

Überprüfung ergab Treffer

Anfang Juli wurde schließlich die Polizei im niederrheinischen Geldern vor zwei Monaten zu einem Streit gerufen. Dort fiel ein syrischer Staatsbürger wegen Beleidigungen auf, der ebenfalls mit falschen Legenden erfasst war. Bei der Überprüfung seiner Personalien im Fahndungssystem glaubten die Ordnungshüter an einen Treffer. Da ein Haftbefehl bestand, waren weitere Ermittlungen aus Sicht der Polizisten nicht nötig. Nach einer offensichtlich unzureichenden Feststellung der Identität wanderte der vermeintliche Delinquent ins Gefängnis.

Zugleich kabelten die Ermittler an die Hamburger Staatsanwaltschaft, man habe den gesuchten Mann aus Mali gefunden. „Da kein Foto in den Akten vorlag, dachten wir, der Gesuchte habe einen neuen Falschnamen benutzt“, referiert Behördensprecherin Frombach. Erst später sei ein entsprechenden Abgleich mit der verhafteten Person durchgeführt worden. Üblicherweise unterzieht man einen Verhafteten einer erkennungsdienstlichen Behandlung, lichtet ihn ab, nimmt seine Fingerabdrücke und übersendet diese an die fahndende Dienststelle zur Bestätigung.

Wohl keine System-Panne

Aus Polizeikreisen hieß es, es habe keine Panne „im System“ vorgelegen. Man geht offenbar von einem gravierenden Fehler bei den verantwortlichen Beamten vor. Diese wurden allerdings trotz der schweren Vorwürfe bislang nicht suspendiert. „Wir gehen davon aus, dass es in dem Fall Versäumnisse bei der Polizei in Kleve gab“, sagte ein Sprecher des NRW-Innenministeriums dem Kölner Stadt-Anzeiger. Nähere Details vermochte er nicht zu nennen. Der Irrtum kam nur heraus, weil in Ahmeds Zelle die Matratze Feuer fing und er schwer verletzt geborgen wurde. Vergangenen Samstag dann starb der 26-jährige Syrer. Wäre dieses Unglück nicht passiert, wäre womöglich niemand aufgefallen, dass der Falsche hinter Gittern saß.

Die Opposition im Düsseldorfer Landtag hat eine Sondersitzung des Rechtsausschusses wegen des Vorgangs beantragt. Der rechtspolitische Sprecher der SPD, Sven Wolf, erklärte, es sei ein „Mensch in staatlicher Obhut“ ums Leben gekommen, der dort nicht hätte sein dürfen. Der Rechtsexperte der Landtags-Grünen, Stefan Engstfeld, sprach von einem „unfassbaren Polizei- und Justizskandal“.

NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) sagte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Der tragische Todesfall des jungen Syrers macht mich sehr betroffen. Es darf nicht sein, dass eine Person wegen Straftaten in Haft sitzt, die sie nicht begangen hat.“ Deswegen sei der Sachverhalt jetzt lückenlos aufzuklären. „Das ist jetzt Aufgabe der Staatsanwaltschaft Kleve, die ein Ermittlungsverfahren wegen der Festnahme und der Inhaftierung gegen Polizeibeamte eingeleitet hat“, fügte Biesenbach hinzu.

Die Staatsanwaltschaft Hamburg hatte die Entlassung des Syrers erst verfügt, als dieser nach dem Brand schon im Koma lag. Damit bleiben der Justiz die Kosten für die Beisetzung erspart.

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