Jungfernfahrt mit dem WohnmobilWarum wir jetzt auch unter die Camper gegangen sind

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Familie mit Mobil

Familie Voogt auf dem Stellplatz „Hexenland“ am Niederrhein

Issum – Was wären wir nur ohne Theo? Der Inhaber des Stellplatzes Hexenland-Sevelen ist gerade in einer Hütte verschwunden, um nach einem Verlängerungskabel zu suchen. Dann erscheint er lächelnd mit dem fehlenden Verbindungsstück. „Am besten ihr besorgt Euch eine Kabeltrommel“, rät Theo väterlich. „Die gehört eigentlich zur Grundausrüstung eines Wohnmobils.“

Tja, eigentlich. Wir hatten eigentlich geglaubt, an alles gedacht zu haben, was man für die erste Ausfahrt mit dem neuen Wohnmobil benötigen würde. Aber das war wohl nix. Das Stromkabel ist einfach viel zu kurz. Und einen Schlauch für den Wasseranschluss haben wir auch nicht dabei. Peinliche Anfängerfehler. Theo geht noch mal zurück in den Schuppen, kehrt mit zwei Gießkannen zurück. „Damit könnt ihr den Frischwassertank wenigstens provisorisch befüllen“, rät der Platz-Chef.

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Bestimmt zehn Minuten pendeln Vater und Sohn mit den Gießkannen zwischen Zapfstelle und Wohnmobil hin und her, bis die Wasserstandsanzeige im Wohnmobil nicht mehr „Reserve“ anzeigt. Die Szene sorgt für Heiterkeit unter den Mitcampern. Solche Greenhorns haben die alten Hasen, die mit einem Bierchen in der Hand auf einem Klappstuhl in der Sonne sitzen, offenbar schon lange nicht mehr gesehen.

In 75 Minuten am Ziel

Unser letzter richtiger Urlaub liegt mehr als ein Jahr zurück. Im März 2020 wurden wir von der Eskalation der Pandemie bei einem Asien-Trip kalt erwischt. Zwischen dem Urlaubsdomizil und Köln lagen 9300 Kilometer und zwölf Flugstunden. Eine lange Zeit, in der jedes Husten und Niesen in der Kabine für Stirnrunzeln sorgte. Diesmal haben wir das Ziel in 75 Minuten erreicht. Google-Maps hat für die Strecke von Köln bis Issum-Sevelen am Niederrhein eine Entfernung von 84,7 Kilometer ermittelt.

Theo Dammertz und seine Frau Waltraud haben die Anlage „Hexenland“ im Jahr 2005 eröffnet. Die meisten Besucher dort sind Stammgäste. Viele kennen jede Schraube an ihrem Wagen. Umbauten sollen für ein maximales Wohlbefinden sorgen. Mal wird der Stauraum in einen Weinkeller umwandelt, mal in ein Wohnzimmer für mitreisende Haustiere. Die Tüftler sind gesellig und grillen gerne. Familien, die keine Ahnung vom Camping-Fach haben, trifft man eher selten.

44,8 Prozent mehr Zulassungen

Das wird sich jetzt ändern. Die Pandemie hat einen Boom bei der Nachfrage nach Wohnmobilen ausgelöst. Der Caravaning Industrie Verband meldete im vergangenen Jahr 78.055 Neuzulassungen und damit plus 44,8 Prozent im Vergleich zu 2019. Der Frust über gekappte Flugverbindungen, geschlossene Hotelanlagen und umfangreiche Hygieneauflagen hat ein heißes Verlangen nach Unabhängigkeit im Urlaub ausgelöst. Neue Wohnmobile haben deshalb derzeit lange Lieferfristen. Und auf dem Gebrauchtmarkt finden auch betagte Gefährte mit verschlissenen Polstern und ohne grüne Plakette dankbare Abnehmer. Es rollt eine nie da gewesene Welle von großen weißen Kisten durch das Land: An den Wochenenden fahren die Camper auf den Autobahnen oft Stoßstange an Stoßstange.

Im „Hexenland“ werden die Neuen ohne Umschweife in den Kreis der Profis aufgenommen. Am wichtigsten ist die Einweisung in den Getränke-Kodex. „Aus dem Kühlschrank in der Campingbar kann sich jeder nach einem Eintrag in die Strichliste bedienen. Kassiert wird bei Abreise“, erklärt Detlef, der mit seiner Frau aus dem Sauerland angereist ist. Der harte Kern der Camper trifft sich jeden Abend auf der Terrasse. Alle freuen sich, den Anfängern Tipps geben zu können. Eindringliche Warnungen mit einer Prise Grusel gehören natürlich auch dazu.

Warnungen mit Grusel-Effekt

Nie auf Raststätten übernachten! „Verbringt nie eine Nacht an der Autobahnraststätte“, rät Marion aus Olpe. Banden hätten sich darauf spezialisiert, Narkosegas ins Fahrzeuginnere zu leiten und die Urlauber so außer Gefecht zu setzen. „Wenn ihr wieder aufwachen solltet, ist alles weg und der Urlaub beendet.“

Auch bei kurzen Pausen wachsam bleiben! Die Zentralverriegelung können oft leicht dekodiert und die Wohnmobile sekundenschnell geöffnet werden. „Ich kenne einen Fall, in dem der Hund noch im Wagen war, als er geklaut wurde. Die Besitzer haben alles unternommen, um wenigstens das Tier zurückzubekommen. Aber der Hund war für immer futsch“, berichtet Steffi.

„Hund an Bord“ vortäuschen. Simpel, aber wirksam: Ein mit Wasser gefüllter Hundenapf vor der Tür wirkt oft abschreckend. „Unbedingt besorgen, auch wenn ihr Hunde hasst“, rät Michael. Ein Aufkleber, der die Mitgliedschaft in einem Pitbull-Club fingiert, könne ebenfalls nicht schaden.

Niemals überladen! „In Österreich und der Schweiz warten sie nur darauf, euch aus dem Verkehr zu ziehen“, warnt Detlef. Viele Wohnmobile der neueren Generation sind nur bis 3,5 Tonnen zugelassen. Das liegt daran, dass der PKW-Führerschein in vielen Ländern nur bis 3,5 Tonnen gültig ist. Diese Fahrzeuge sind aber sehr schnell überladen. „Wenn zu viel auf der Waage ist, hast du ein Problem“, sagt Detlef. „Lässt du dann die Räder oder deine Frau zurück?“ Überladung ist bei uns zum Glück kein Thema. Unser Wohnmobil ist bis 3,8 Tonnen zugelassen.

Große Camper müssen jedes Jahr zum TÜV

Wir haben uns für einen „Alkoven“ entschieden, so nennt man ein Wohnmobil, bei dem ein Bett über der Fahrerkabine liegt. So hat man mehr Platz und muss nicht ständig umbauen, wenn man am Tisch frühstücken will. Nachteil: „Alkoven“ sind ziemlich windempfindlich und brauchen mehr Sprit. Fahrzeuge mit mehr als 3,5 Tonnen dürfen auf der Autobahn nur Tempo 100 fahren - und sie müssen jedes Jahr zum TÜV.

Hexenland

Für Kinder ist das „Hexenland“ in Issum Sevelen vor allem wegen des benachbarten Freibads attraktiv. Die Freizeitparks „Irrland“ (Kevelaer) und „Wunderland Kalkar“ sind mit dem Auto in einer halben Stunde zu erreichen.  Der Park von Theo Dammertz ist ein reiner Wohlmobil-Park. Die Übernachtung wird pro Fahrzeug berechnet und ist daher deutlich preiswerter als auf einem Camping-Platz, bei dem sich der Übernachtungspreis nach der Personenzahl richtet. Der Tagespreis für den Stellplatz im „Hexenland“ beträgt 12 Euro. Wohnwagen sind nur nach Rücksprache zugelassen. Der Platz wurde vom Reisemobilmagazin „Pro Mobil" mit fünf Sternen ausgezeichnet.  www.wohnmobilpark-hexenland-sevelen.de 

Camping-Guide Einen guten Überblick über Wohnwagenparks und Campingplätze in Deutschland und Europa bietet die App „Camping 21“ des ADAC. Dort sind 19 000 Reiseziele ausführlich beschrieben. Hilfreich sind Fotos und Platzbewertungen von Campern. www.adac.de 

Wo kann man zu Hause parken? Für Stadt-Bewohner ohne eigenes Grundstück ist es schwer, einen geeigneten Stellplatz zu finden. Kommerzielle Anbieter locken mit bewachten Plätzen im Umland. Preis: Ab 50 Euro aufwärts.

Wir haben unser Wohnmobil im Lockdown gekauft. Wegen der Corona-Auflagen ist die persönliche Einweisung durch den Verkäufer leider etwas kurz geraten. Vor allem für einen Journalisten, bei dem eine unterentwickelte praktische Begabung unseligerweise mit einer Abneigung gegenüber Bedienungsanleitungen einhergeht. Wie die Gasheizung funktioniert, haben wir erst nach Wochen verstanden. Und die vermeintlich defekte Rückfahrkamera ließ sich erst bei einem Werkstatttermin durch einen unentdeckten Schalter zum Leben erwecken. Als wir am Sonntag vom Niederrhein wieder Richtung Heimat fahren, haben wir viel gelernt und sind bereit für das nächste Level. Jetzt wollen wir den Kampf gegen das allgegenwärtige Geklapper während der Fahrt aufnehmen. Das soll unsere Nerven schonen, wenn wir im August die Alpenquerung in Richtung Venetien wagen. Eine CD mit Italo-Hits sorgt schon jetzt für Urlaubsstimmung. Fehlt nur noch der Hundenapf. Dann kann nichts mehr schiefgehen. Eigentlich.

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