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Libanesische BandenWie Familienclans im Ruhrgebiet zur kriminellen Macht wurden

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Razzia Essen Libanesen-Clan Location

Polizisten durchsuchten bei einer Razzia am Donnsterstag eine Location in Essen.

Essen – Donnerstagabend 21 Uhr. Polizeikolonnen rasen mit Blaulicht in die nördliche Innenstadt. Gut 300 Einsatzkräfte schwärmen aus. Mit dabei: Städtische Mitarbeiter aus dem Ordnungsamt, Steuer- und Zollfahnder. Sie kontrollieren 100 Gewerbebetriebe, Shisha-Bars, Spielhallen und Wettbüros. Die Razzia richtet sich gegen libanesische Familienclans – im Ruhrgebiet im kriminellen Milieu eine Macht. Raub, Diebstahl, Körperverletzung, Schutzgelderpressung, Drogenhandel, Mord – die Liste der Straftaten ist lang. In manchen Vierteln wie Duisburg-Marxloh, Gelsenkirchen, im Dortmunder Norden oder Altenessen kontrollieren die Sippen ganze Straßenzüge.

Kritiker sprachen schon von No-go-Areas, in die Polizisten sich nicht hineintrauten. Zuletzt hatte CDU-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn rechtsfreie Räume im Pott angeprangert. Sein Parteifreund Herbert Reul konterte: „Die innere Sicherheit verbessert man nicht mit flotten Sprüchen.“

800 Personen kontrolliert, mehrere Festnahmen

Am Abend steht der NRW-Innenminister vor der Shisha-Bar Hookah INN. Das Lokal gilt als Treffpunkt von Clan-Mitgliedern. Während Polizei und Ordnungsamt Personalien kontrollieren, referiert der Politiker über die Kernpunkte seiner Sicherheitsoffensive: „Null Toleranz, konsequentes Handeln.“ Die Bilanz der Nacht: 800 Personen wurden überprüft, ein Haftbefehl vollstreckt, mehrere abschiebungspflichtige Männer festgenommen.

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Wiederholt machten im Essener Nordviertel und in anderen Ruhrmetropolen Bandenkriege Schlagzeilen. 2016 streckte Mahmoud M., Mitglied des El-Kadi-Clans einen 21 Jahre alten Widersacher in Essen nieder. Auf offener Straße. Die Antwort auf eine Messerstecherei, befand das Schwurgericht, und verurteilte M. zu lebenslanger Freiheitsstrafe. Die Tat sei der Gipfel eines seit Jahrzehnten schwelenden Streits innerhalb der weit verzweigten Familie.

„Geschäftemacher beuten skrupellos die Ärmsten der Armen aus“

Das schmutzige Geld der Clans wird nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden im Gebrauchtwagenhandel gewaschen. Aber auch in Shisha-Bars, Restaurants, Wettbüros und Spielcasinos.

Manche Drahtzieher kaufen Schrottimmobilien. Darin bringen sie dann Matratzenlager unter, die sie zu horrenden Tarifen an Armutsflüchtlinge vom Balkan oder Zuwanderer aus ihren Herkunftsländern vermieten. So ist das etwa im sozialen Brennpunkt-Viertel Altenessen.

Geht es nach CDU-Oberbürgermeister Thomas Kufen, der die Razzia ebenfalls verfolgte, wird die Stadt alle Register ziehen: „Es geht doch nicht, dass diese Geschäftemacher skrupellos die Ärmsten der Armen ausbeuten.“ Bleibt nur die Frage nach dem Wie. In Duisburg sollen bald mobile Staatsanwälte vor Ort ermitteln.

Al-Zeins im Ruhrgebiet eine Macht

Ende 2017 warnte die Immobilien- und Standortgemeinschaft City Nord (ISG) in einem Schreiben vor den dramatischen Auswüchsen im Essener Norden: Die Autoren monierten, man habe in der Vergangenheit „Rechtsverletzungen bis hin zu Schwerstkriminalität erleben müssen“. Auslöser des Brandbriefes war der Sturm von Clan-Schlägern auf die Teestube „Café Olympia“. Sein Besitzer glaubt: „Es war ein Angriff der Al-Zein-Großfamilie.“ Als er ein Schutzgeld von 5000 Euro nicht zahlen wollte, kamen die Schläger.

Die meisten Clans teilen das Geschäft in ihren Städten straßenweise untereinander auf. Die Al-Zeins gelten als eine der mächtigsten Familien an der Ruhr, in Berlin und in der Bremer Region. In Essen etwa ist die Sippe eine Macht. Wenn es mit der Polizei Ärger gibt, werden per Telefonkette einige Dutzend Clanbrüder herbeigerufen.

„Respekt vor der Polizei tendiert gegen Null“

Schnell entsteht ein Mob, der die Ordnungshüter einzuschüchtern versucht. In Gelsenkirchen wurde eine Polizistin mit einer Zaunlatte niedergeschlagen. Essener Polizisten, die ein vielfach vorbestraftes Clanmitglied zwangsweise zum Strafprozess führen wollten, wurden als Nazis beschimpft, Schläge wurden angedroht. „Der Respekt vor der Polizei tendiert bei diesen Clans gegen Null“, sagt Arnold Plickert, NRW-Chef der Gewerkschaft der Polizei. „Diese Leute leben in ihrer Parallelgesellschaft und missachten den deutschen Rechtsstaat.“ Was zu regeln ist, regelt man über eigene Strukturen. Gerät man aneinander, vermittelt ein sogenannter Friedensrichter – ein älterer Mann, der im Namen der Clans Urteile fällen darf.

Die Al-Zeins stehen für spektakuläre Kriminalfälle, etwa den Überfall 2014 auf das KaDeWe in Berlin, bei dem sie Schmuck im Wert von 817 260 Euro erbeuteten. Mahmoud Al-Zein, 2005 verurteilt wegen Drogenhandels zu vier Jahren und drei Monaten Haft, soll heute im Ruhrgebiet leben. Einst war er der Pate von Berlin.

Sportwettengeschäft im Visier

In Essen und anderen Nachbarstädten versuchen Clanmitglieder mit brachialen Methoden, das Sportwettengeschäft an sich zu reißen. Vor fünf Jahren bedrängten drei Mitglieder den Betreiber etlicher Tipico-Wettlokale. Ihm zufolge forderten sie 150 000 Euro. In Essen dürfe er keine Geschäfte machen, ohne die Familie daran zu beteiligen, hieß es. Sollte er nicht zahlen, würde man ihn töten.

Der Unternehmer schaltete die Polizei ein, die Ermittlungen schleppten sich dahin. Bald stellte die Polizei die Telefonüberwachung ein. Die Justiz brauchte drei Jahre, ehe es zum Prozess kam. Schließlich sprach man die vorbestraften Beschuldigten mangels Beweisen frei.

Opferanwalt Abdou Gabbar hat Revision eingelegt. „Die Erfahrungen mit der Essener Polizei und der Justiz in Sachen Al-Zein waren frustrierend“, sagt der Kölner Verteidiger. „Das Landgericht wollte nicht einmal die wenigen belastenden Telefonüberwachungserkenntnisse sachgerecht übersetzen lassen.“ Weitere Anklagen gegen die Protagonisten ließ der Amtsrichter fallen. So entging er dem Sicherheits-Risiko durch Tumulte von Clanmitgliedern im Gerichtssaal.

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