Loveparade-KatastropheAngehörige der Opfer befürchten ein Scheitern des Prozesses

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Loveparade_Prozess

21 Menschen haben im Juli 2010 während der Loveparade in Duisburg in der Nähe dieser Treppe ihr Leben verloren. 

Duisburg – Der Prozess um die tödliche Loveparade-Katastrophe in Duisburg zieht sich. Am Mittwoch, dem 67. Verhandlungstag, musste der ehemalige Polizeileiter Kuno S. im Zeugenstand aussagen. Ursprünglich zählte er zu den Beschuldigten in dem Komplex, weil die Ermittlungen zu der Techno-Party im Juli 2010 auch eklatante Fehler der Einsatzführung zutage förderten.

So zum Beispiel geschehen an einer Polizeisperre im Zugangstunnel zum Raver-Festival, die eine Massenpanik mit 21 Toten und 652 Verletzten mitverursachte. Davon aber will der Zeuge erst später erfahren haben.

Zehn Angeklagte

Wie so viele andere Entscheidungsträger entging S. der Anklagebank aus formalrechtlichen Gründen. Die sechs angeschuldigten Mitarbeiter der Stadt Duisburg (Bauaufsicht) und die vier mitangeklagten Loveparade-Organisatoren der Firma Lopavent verfolgen die Schilderungen des einstigen Polizeiführers, der Verantwortung für die Tragödie von sich weist: Bedauern, gewiss, aber Versagen, nein.

So geht es seit Prozessbeginn im Dezember 2017 mit vielen Zeugen, die Beweisführung ist schwierig, die Suche nach den Schuldigen für die fahrlässige Tötung scheint zumindest strafrechtlich in weite Ferne gerückt. 

Sitzen die Falschen auf der Anklagebank?

Vieles hat ein Geschmäckle. Immer mehr kristallisiert sich durch hartnäckiges Nachfragen des Vorsitzenden Richters der 6. Großen Strafkammer, Mario Plein, heraus, dass womöglich die Falschen auf der Anklagebank sitzen.

Dass sich jeder im Duisburger Rathaus auf den anderen verlassen hat und man letztlich auf politischen Druck von oben nach dem Motto Augen-zu-und-durch die Techno-Besucher ins Unglück laufen ließ. Welcher der Angeklagten aber ist konkret für die Planungsfehler verantwortlich?

„Bisher sind wir von der Aufklärung der Schuldfrage so weit weg, wie zu Verhandlungsbeginn“, moniert der Opferanwalt Rainer Dietz gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Womöglich wird es dazu auch nie kommen.“ Schließlich habe der Kammervorsitzende gleich mehrfach für das kommende Frühjahr ein Rechtsgespräch mit allen Prozessbeteiligten angekündigt, „um das Verfahren im Konsens einer Erledigung zuzuführen“.

Brandbrief an den Minister

Für den Nebenkläger-Anwalt Franz Paul bedeutet dies im Klartext, die Verfahren gegen die zehn Angeklagten werden im Höchstfall gegen die Zahlung einer Geldauflage eingestellt. Höchst besorgt haben Paul und elf weitere Nebenkläger deshalb einen Brandbrief an NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) gesandt: „Leider haben Verlautbarungen der Ankläger ergeben, dass die Staatsanwaltschaft offenbar bereit ist, den vom Gericht aufgezeigten Weg hin zur Verfahrenseinstellung mitzugehen“, heißt es in dem fünfseitigen Schreiben, dass dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt.

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Dies wäre „grundfalsch und rational nicht nachvollziehbar“, lautet das Fazit. Und käme einem Schlag ins Gesicht der Opfer gleich, ergänzt Anwalt Paul: „Sollte es am Ende nicht möglich sein, in den zehn Jahren bis zur Verjährung der Taten Ende Juli 2020 zu einem Sachurteil zu gelangen, so wäre dies meiner Ansicht nach eine Blamage für die Justiz insgesamt.“

Die Nebenkläger fordern den Justizminister auf, seine Weisungsbefugnis gegenüber den Staatsanwälten im Land zu nutzen, um „den Weg für eine weitere Aufklärung zu ebnen“. Das Ministerium wollte sich am Mittwoch nicht zu dem Sachverhalt äußern.

Man wolle dem Antwortschreiben des Ministers nicht vorgreifen, hieß es. Matthias Breidenstein, Sprecher des Duisburger Landgerichts, bestätigt zwar, dass die 6. Große Strafkammer „Anfang des nächsten Jahres ein Rechtsgespräch führen möchte“. Er macht zugleich aber klar, dass bei diesem Treffen neben dem Gericht auch die Staatsanwaltschaft, die Verteidiger und die Nebenklagevertreter zugegen sein werden. „In einem solchen Gespräch können dann alle Beteiligten ihre Einschätzung der bisherigen Beweisaufnahme abgeben“, führt Breidenstein aus.

Zwei Millionen Euro Miete

Die 67. Sitzungstag am Mittwoch ist so zäh wie viele andere Prozesstage zuvor. Der inzwischen pensionierte Polizeiführer soll auch auf den nächsten Terminen vernommen werden. Jeder einzelne Tag kostet 29.000 Euro Saalmiete in der Düsseldorfer Messe. Die Kosten summieren sich derzeit bereits auf knapp zwei Millionen Euro, die Aufwendungen für alle Prozessbeteiligten nicht mitberechnet. Der Loveparade-Prozess gehört zu den teuersten Verfahren in der nordrhein-westfälischen Justizgeschichte – mit höchst ungewissem Ausgang. 

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