„Sie wurden übergriffig“„Lindenstraße“-Darsteller wird nach Kuss mit Mann angefeindet

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Foto Armknecht

Schauspieler Martin Armknecht

  • Martin Armknecht spielte den „Robert Engel“ in der „Lindenstraße“. Erst war er schwul, dann ein fieser, bisexueller Drogendealer.
  • Öffentlich angegriffen wurde er für beide Rollen. Nun hat er seine Erfahrungen in dem Buch „Ich war das Schwein der Lindenstraße“ beschrieben.
  • Im Interview erzählt er über Panikattacken, Boykott in der Bäckerei, den ersten Schwulenkuss und was ein Hetero-Ausgleich ist.

Herr Armknecht, der Titel Ihres Buches spricht für sich: „Ich war das Schwein der Lindenstraße“. War die Zeit als „Robert Engel“ schlimm für Sie?

Am Anfang habe ich mich natürlich gefreut, eine Rolle in einer Serie zu bekommen, die damals zwölf Millionen Menschen guckten. Ich wollte immer Karriere machen. Ich war besessen davon, ein berühmter Schauspieler zu werden. Ich wusste aber nicht wie. Ein großer Schauspieler, das war für mich Cary Grant oder Günter Lamprecht. Dem habe ich auch mal einen Brief geschrieben, er hat aber nie geantwortet. Deshalb habe ich bei der Lindenstraße sofort zugegriffen.

Dann passierte gleich bei Ihrer ersten Folge eine Panne?

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Ausgerechnet im ersten Abspann war mein Name falsch geschrieben: Martin Arnknecht, das war wirklich schlimm. Da sitzt man vor dem Fernsehen und denkt: Das darf doch nicht wahr sein.

Viel schwerer wog aber, dass sie sofort mit Ihrer Rolle als Schwuler identifiziert wurden.

Am Anfang war alles ganz harmlos. Ich und Georg Uecker als Carsten Flöter sollten uns verlieben, irgendwann stand dann auch eine Kuss-Szene an. Da habe ich gar nicht so drüber nachgedacht. Ich fand das eher läppsch, es war ja ohnehin so eine androgyne Zeit damals.

Doch das Publikum fand es gar nicht läppsch?

Nein, es ging ein Riesensturm los. Es war 1990 und der Kuss galt als der erste Schwulenkuss in einer deutschen Serie. Die Leute sind auf der Straße übergriffig geworden, haben mich beschimpft: Du schwule Sau, ab ins KZ. Georg hat sogar Morddrohungen bekommen. Dem Druck habe ich kaum standgehalten.

Das Thema schlug Wellen bis in höchste Kreise.

Eines Tages rief mich Lindenstraßen-Chef Hans Geißendörfer zu sich und sagte, der Kardinal habe den Intendanten angerufen. Angeblich soll ich beim Kardinal gewesen sein und hätte mich bitterlich darüber beschwert, dass man mich zwingt, so schlimme Sachen spielen zu müssen. Ich war nie beim Kardinal!

Schließlich wollten Sie sogar kündigen?

Ja, da war Geißendörfer so traurig, dass er gesagt hat: Ich will einen Bösewicht installierten und den spielst du, damit du von der Schwulenrolle wegkommst. So wollte er mich halten. In meinem Vertrag stand dann dazu: Dem Darsteller wird der Hetero-Ausgleich zugesichert.

Das stimmt wirklich? Wer hat denn diesen Begriff erfunden? Den hat Geißendörfer für mich erfunden. So steht es im Vertrag, der auch im Buch abgedruckt ist.

Sie bekamen Ihren Heteroausgleich. Wurde es besser?

Nein, ich war ja dann der bisexuelle Drogendealer. Und da wurden die Reaktionen noch schlimmer. Ich war immer eher der zurückhaltende Typ, der Möchtegern-Vergeistigte. Und plötzlich habe ich den harten Typ da gespielt. In Lederjacke. Wenn ich in eine Kneipe gekommen bin, hat quasi die Musik aufgehört zu spielen und alle haben geguckt. Und die Frauen wollten gerne mal mit dem Robert Engel ins Bett. Ich habe dann auch immer Frauen mit besonderen Neigungen angezogen – aber nie was gemacht.

Ihr Privatleben war wieder stark beeinträchtigt?

Ich konnte nicht mehr auf die Straße gehen. Beim Bäcker bekam ich zu hören: Du kriegst hier nichts, du fiesen Möpp. Da habe ich Panikattacken bekommen. Ich habe meine Wohnung ein halbes Jahr außer zu den Dreharbeiten nicht mehr verlassen.

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Dann kam schließlich 1992 der Ausstieg.

Mitte der 80er waren die Privatsender aufgekommen, RTL ging auf Sendung und wollte Filme drehen. Dann haben sie mich geködert, weil sie Leute brauchten. Drei Produktionen gleichzeitig, das war Wahnsinn damals. Doch dann gingen sie irgendwann an die Börse und es ging nur noch um Gewinn. Der Beruf ist heute viel schwieriger geworden, weil weniger produziert wird.

War Ihre Serienrolle eher hilfreich oder förderlich für Ihre Karriere?

Man kriegt in Deutschland leider ziemlich schnell den Stempel: Der spielt ja nur in einer Serie mit. In Amerika ist das ganz anders, da werden die Leute aus den Serien herausgeholt und zu Stars gemacht. George Clooney und Brad Pitt haben in Serien angefangen. Mich kannten damals zwölf Millionen Zuschauer, das muss man erstmal schaffen.

Was machen Sie zur Zeit?

Ich spiele eine durchgehende Rolle in der Sat.1-Comedyserie „Läusemütter“ und stehe ab Mai im Theater am Dom auf der Bühne. Außerdem habe ich eine kleine Rolle in einem Netflix-Film, ab Herbst geht es auf Theatertournee. Dieses Jahr ist gut.

Sie hatten 2014 auch mal ein kurzes Revival als Fiesling in der Lindenstraße.

Das hätte ich mir im Prinzip auch sparen können, aber es war ein Angebot, zu dem man nicht nein sagen konnte. Man muss ja auch Geld verdienen. Alle haben mich in den Himmel gelobt für die innovativen Folgen, aber als die Quote schlecht war, hat sich keiner mehr gemeldet. Typisch Fernsehgeschäft.

Was sagen Sie zum Ende der Lindenstraße?

Die Idee der Serie war einfach genial – zu zeigen, wie es im echten Leben ist. Doch man hat den großen Fehler begangen, vertraute und beliebte Figuren im Stich zu lassen. Man wollte sich verjüngen. Bei den Privaten kann ich das verstehen, die brauchen ihre Werbeeinnahmen. Aber die Öffentlich-Rechtlichen sind gebührenfinanziert und der Durchschnittszuschauer ist 60. Da gäbe es viele Themen wie Sexualität im Alter oder Altersdemenz. Dass die Serie ausläuft, finde ich schade. Sie gehörte zur Visitenkarte der ARD.

Haben Sie noch viel Kontakt zu den Lindenstraßen-Kollegen?

Überhaupt nicht. Ich bin mit Marie-Luise Marjan sehr herzlich verbunden, wenn wir uns mal sehen. Aber unter Schauspielern entwickeln sich selten Freundschaften. Am Ende ist es ein sehr einsames Geschäft. Der Berufsalltag ist schwierig. Kann ich nur erst mal jedem von Abraten. Das Leben ist völlige Unsicherheit, du weißt nie, wie es weitergeht. Aber ich liebe das Schauspiel. Diese Liebe treibt mich immer weiter an.

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