MiQua in KölnWo Juden und Christen schon vor Jahrhunderten Nachbarn waren

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Jüdisches Museum Modell

Modell am Rathaus: So soll das „MiQua“ einmal aussehen.

Köln – Wer über ein eisernes Baugerüsts die rund 20 Stufen in die Tiefe hinabsteigt, spult dabei auch die Jahrhunderte zurück. 800, 900, 1000 Jahre und mehr. Auf diesem Boden haben römische Heiden, Christen und Juden ihre Fußspuren hinterlassen, er ist rau und voller Schrunden, und er ist der tiefste Punkt einer der bedeutendsten Baustellen, die es in Deutschland derzeit gibt: Es ist die Archäologische Zone auf dem ehemaligen Vorplatz des Kölner Rathauses, deren Besucherinnen und Besucher in ein paar Jahren vom bereits bekannten Praetorium ins nun ebenfalls zugängliche Judenviertel des Mittelalters spazieren können. Noch wird hier gegraben, gesichert und gebaut, in der Tiefe wie in der Höhe. Hier entsteht das „MiQua“, das „LVR-Jüdische Museum im Archäologischen Quartier Köln“.

Vor dem Rathaus entsteht der Neubau des Jüdischen Museums

Vor dem Rathaus entsteht der Neubau des Jüdischen Museums

Tief drunten im Bauch von Köln verdichten sich die Epochen. Ein mächtiger Bogen aus römischer Zeit begrenzt das jüdische Hospital, das hier im Mittelalter Kranke versorgte, in unmittelbarer Nachbarschaft zum antiken Portikus, der sich am einstigen Statthalterpalast entlang zog. Steinquader aus alter Zeit wurden benutzt, um neue Häuser zu errichten – ein Material-Recycling, das typisch ist für Köln und seine in die Jahrtausende zurückreichende Geschichte. Doch hier unten sieht man auch, wie dicht die Religionen miteinander verwoben waren: Jüdische und christliche Haushalte trennte oft nur eine Mauer. „Plötzlich begreift man den räumlichen Zusammenhang“, sagt Sebastian Ristow, Professor am Archäologischen Institut der Universität Köln und Mitglied des „MiQua“-Teams.

Konstantins Dekret

Im Jahr 2021 feiert Deutschland, feiert aber ganz besonders auch Köln die mindestens 1700 Jahre zurückreichende Präsenz von Juden nördlich der Alpen – vermutlich reicht diese noch weiter zurück. 321 aber richtet Kaiser Konstantin ein Dekret an die Stadtoberen der Colonia Claudia Ara Agrippinensium, welches mit Datum vom 11. Dezember die Teilnahme von Juden an der Kurie regelt.

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Auch dieses Ereignis stellt ein Moment größtmöglicher historischer Verdichtung dar: Ein römischer Imperator, der das Christentum offiziell als Religion anerkannte, beruft die Angehörigen der älteren Konkurrenzreligion in zuvor tabuisierte Ämter und stellt sie unter seinen Schutz. Doch erst rund 700 Jahre später, erst im Hochmittelalter manifestiert sich dieser Augenblick auch in archäologischen Befunden – unter anderem dort, wo gerade das Kölner Jüdische Museum entsteht. Es stellt eine historische Druckluftkammer dar.

Sebastian Ristow, der am neuen Museum als Kurator für die Zeitspanne des ersten Jahrtausends arbeitet, ist skeptisch, dass Konstantins Dekret tatsächlich die Existenz einer organisierten jüdischen Gemeinde beweist. „Dazu wissen wir einfach zu wenig“, lautet sein Credo, das sich auf die Zahl der in Köln lebenden Juden, vor allem aber auch auf die Überlieferungslage bezieht: erst rund um die Wende zum zweiten Jahrtausend entsteht das gesicherte archäologische Fundament, das sich heute in den Überresten wie denen von Synagoge und Mikwe im Kölner Judenviertel, das sich aber auch in Erfurt sowie den alten mittelalterlichen Gemeinden am Rhein, in Mainz, Worms und Speyer, widerspiegelt. Es ist das Erbe von Ashkenas, wie in der rabbinischen Literatur Deutschland bezeichnet wurde.

Exzellentes Team

„Man lernt die Baustelle auswendig“, sagt Thomas Otten. Er ist seit 2016 der Gründungsdirektor des „MiQua“, und er meint mit seiner Feststellung nicht allein das Team des neuen jüdischen Museums des LVR, die Archäologen und Historiker. „Jede Entscheidung betrifft die Archäologie und Ausstellungsplanung einerseits und andererseits die Bauleitung“, so Otten. „Die Stadt Köln hat ein exzellentes Team aus Archäologen zusammengestellt, das jahrelange Erfahrung mit den Befunden hat und bei jeder musealen Entscheidung mitarbeitet.“

Auch das Jüdische Museum selbst ist schließlich das Ergebnis einer extremen Verdichtung, denn hier greifen alte Substanz und neue Architektur ineinander: Der unterirdische historische Befund wird überwölbt vom Neubau des Architekturbüros Wandel Lorch, das gerade erst eine aufwendige Stahlkonstruktion über der archäologischen Zone installiert hat; sie reicht nun weit über den Bauzaun hinaus: Hoch über der Mikwe greifen die schweren, schwarzen Streben strahlenförmig ineinander. Unter dieser Kuppel sollen später Dauer- und Wechselausstellungen ein Pendant zum subterranen Rundgang durch die Geschichte bilden.

Die Wabenkonstruktion ist ein markantes optisches Merkmal des neuen Museums

Die Wabenkonstruktion ist ein markantes optisches Merkmal des neuen Museums

„Um die Befunde unter Tage vor den Arbeiten am Neubau und den Baumaschinen zu schützen, wurde das Grabungsfeld mit 14 000 Tonnen Sand und Kies gefüllt“, erklärt Janine Müller-Wüstenberg, Projektleiterin bei der Gebäudewirtschaft der Stadt Köln. Zuvor hat man die archäologischen Befunde mit einer Textilfolie abgedeckt.

Die gesamte unterirdische Zone – die Befundebene misst rund 6000 Quadratmeter – wurde mit einer massiven Bohrpfahlwand umgeben: „Diese fängt den Druck von Straße und Nachbargebäuden auf“, so Müller-Wüstenberg. Zirka 400 Pfähle wurden dafür in den Untergrund getrieben, in eine Tiefe zwischen zwölf und 39 Metern. An diesen Stahlrohren geht man entlang, wenn man die äußere Begrenzung der unterirdischen Zone passiert – mit dem daran haftenden Beton wirken sie wie gigantische Kuchenformen, in denen der Teig übergequollen ist.

Von den Häusern der Kölner Judengasse stehen nur noch die Keller

Der darauf ruhende Neubau verändert den Platz grundsätzlich. Nun öffnen sich zwei kleinere Plätze vor der Rathauslaube sowie südlich zum Wallraf-Richartz-Museum, zu dem einige Stufen hinabführen. Wer vor dem Rathaus steht, blickt an der Fassade des neuen Jüdischen Museums vorbei hin zu jener Stelle, an der die Erweiterung des WRM entstehen soll. Dass der Platz in dieser Weise neu strukturiert und seiner kleinteiligen mittelalterlichen Wirkung angenähert wird, hat, neben den Kosten des Baus, zu erbitterten Diskussionen in der Stadt geführt – auch auf den Seiten dieser Zeitung.

Von den Häusern, die im Mittelalter an der Judengasse standen, sind nur noch die Keller erhalten. Von besonderem Wert sind ausgerechnet die Latrinen, nicht nur, weil zur Erheiterung israelischer Besucher über einer die hebräische Inschrift prangt: „Dies ist das Fenster, aus dem die Scheiße hinausgeworfen wird.“ In den Kellern und Kanälen landete auch viel vom Inventar der Häuser, die bei Pogromen zerstört wurden – besonders verheerend wütete die brandschatzende christliche Meute 1348 bis 1350, als man die Juden zu Sündenböcken für die Pest machte. 1424 warf man sie endgültig aus Köln hinaus.

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Das „MiQua“ aber will damit nicht den Schlusspunkt seiner Dokumentation jüdischen Lebens in Ashkenas setzen, und es will auch nicht allein von Hass, Pogromen und Verfolgung bis hin zur Shoah erzählen (siehe Interview). Das Museum strebt ein vielfältiges Bild an, über- und unterirdisch, und dazu gehört auch die Geschichte von den Schiefertafeln. Fast hätte man sie als Schutt entsorgt, doch dann stellte man fest, dass sie in altertümlichem Hebräisch beschriftet waren.

Jüdische Kölner Schulmädchen- und jungen des Mittelalters hatten auf ihnen Schreiben geübt, andere sind gekrakelte Einkaufslisten. Und auf einer ganz besonderen Tafel findet sich das Fragment eines nicht ganz jugendfreien Ritterepos, dessen Held die Angebetete fragt: „Wólt ir mich bi uch slafé lan?“ („Wollte Ihr mich bei Euch schlafen lassen?“) Ob ihm der Wunsch erfüllt wurde, man weiß es nicht – die Schiefertafel bricht hier ab. Open End. Aber ein Museum soll ja auch ein Ort für Träume sein.

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