Missbrauchsskandal„Ein pädophiles Himmelreich“

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Bonn – Der Jesuitenorden wird am 27. November mit einem ersten eigenen Buch über den Missbrauchsskandal in die Öffentlichkeit gehen. Herausgeber des Titels „Unheilige Macht. Der Jesuitenorden und die Missbrauchskrise“ sind die Patres Godehard Brüntrup, Christian Herwartz und Hermann Kügler. Das Buch listet auf, dass seit den 50er Jahren bis 2007 insgesamt 60 Jesuiten und 13 ihrer Angestellten mehr als 180 Kinder durch Gewalt fürs Leben gebrandmarkt hätten. Der Skandal betrifft fünf Schulen: das Berliner Canisius-Kolleg, das Kolleg St. Blasien, das Bonner Aloisiuskolleg, das Kolleg Büren und die Hamburger St. Ansgar-Schule.

Pater Ludger am Pranger

Im Buch nennen die Jesuiten nun erstmals auch den Haupttäter am Bonner Aloisiuskolleg der letzten 40 Jahre: Pater Ludger Stüper, der „nach Gutsherrenart“ von 1974 bis 1992 als Internats- und Schulleiter geherrscht habe. Der 2010 Verstorbene habe seine „erotischen Begierden auf Kosten minderjähriger Schutzbefohlener“ ausgelebt, schreibt Pater Georg Maria Roers. Es habe Schülerselbstmorde gegeben.

„Ein pädophiles Himmelreich“ habe der Mann aufbauen können, erläutert Matthias Katsch. Stüpers Nachfolger Pater Theo Schneider, der 2010 als Rektor zurücktrat, sei für einiges „Mitwisser“ gewesen, schreiben mehrere Autoren. Pater Schneider ist heute Superior der Göttinger Jesuiten. Vieles sei der Ordensleitung durch Eltern- und interne Beschwerden bekannt gewesen. Aber es sei bis zum Ausbruch des Skandals vertuscht worden.

Die Herausgeber bewerten das knapp 200-seitige Buch, das dem epd in einem Vorabdruck vorliegt, als keinen Abschlussbericht, sondern „als eine Station auf einem Weg, der noch nicht zu Ende gegangen ist“. Es gebe auch „nicht die offizielle Sichtweise des Jesuitenordens“, sondern die Einzelner wider. Es führt aber nach Worten des Münchener Philosophieprofessor Pater Godehard Brüntrup aber das weiter, was man die „kopernikanische Wende“ von der Täter- zur Opferperspektive bezeichnen könne.

Mitherausgeber Brüntrup sieht das Buch als „Baustelle“ mit inneren Widersprüchen an. Es enthält keinen einzigen Täterbericht. Und nur ein Opfer war bereit, sich zu beteiligen. Unter den 18 Autoren sind unter anderem die jesuitische Missbrauchsbeauftragte Ursula Raue, der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Stephan Ackermann, und der ehemalige Jesuitenprovinzial Pater Stefan Kiechle.

Die Last der Vergangenheit

In dem Bonner Aloisiuskolleg sei auch heute „keineswegs alles erledigt“, heißt es. Die Aufklärung sei hier wegen laufender Verfahren noch immer nicht abgeschlossen. „Die Last der Vergangenheit belastet die Schule, den Orden und an erster Stelle die betroffenen Opfer bis heute.“ Pater Johannes Siebner, der heutige Rektor des Aloisiuskollegs, sagte am Mittwochabend dem epd, der Band sei auf keinen Fall ein „Strich-drunter-Buch“. Es sei „ein erster öffentlicher Schritt der Reflexion aus Sicht des Ordens.“

„Aus der Perspektive des Alosiuskollegs kommt das Buch zu früh. Wir sind ja noch mittendrin in der Aufklärung“, räumte er ein. Man warte auf die Ergebnisse des zweiten Aufklärungsberichts, der Anfang 2012 bei Professor Arnfried Bintig in Auftrag gegeben wurde. Gegen einen ehemaligen Mitarbeiter des Aloisiuskollegs wird noch wegen möglichen Missbrauchs und schweren Betrugs ermittelt.

Die Opfergruppen reagierten verhalten. „Dieses Buch zeigt gute Ansätze. Die Ordensleitung schweigt aber zu den Konsequenzen und schickt Subalterne vor“, sagte der Eckige Tisch Bonn, die Gruppe der direkt am Aloisiuskolleg Betroffenen. „Auch das Machtgefälle Täter Opfer bleibt bis heute.“ Die Jesuiten beschäftigten sich wieder einmal mit ihrer eigenen Befindlichkeit, kommentiert die Bonner Gruppe der Betroffenen des Ako-pro-Seminars: „Die Vorgänge im Ako bleiben unbewältigt. Gutachten kosten mehr als Entschädigungen. Der Hochmut der Macht schaut auf die Opfer herab und noch mehr an ihnen vorbei.“

Alle Taten innerhalb der jesuitischen Kollegs seien „durch strukturelle Faktoren begünstigt“ gewesen, kommentiert Pater Patrick Zoll. Genau da liege „das Hardware-Problem“. Die Jesuiten müssten „die strukturellen Risikofaktoren“ für den Missbrauch identifizieren und Konsequenzen ziehen. Aber sie müssten auch endlich selbst aktiv auf die Opfer zugehen, schreibt Herausgeber Brüntrup. „Ernste Versuche“ von Ordensbrüdern seien da „selten“. (epd)

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