NahverkehrDer Bus, der zur Seilbahn wird – auch eine Lösung für Köln?

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Die Konzeptzeichnung zeigt, wie der Bus in der Station ankommt und dann zur Seilbahn wird.

  • Die RWTH Aachen stellt ein Konzept zur Fusion von Bus und Seilbahn vor.
  • Die Ingenieure und Wissenschaftlicher sind überzeugt, dass es „ein Meilenstein“ für den Verkehr sein könnte.
  • Das Modell könnte auch für Köln eine Verkehrslösung sein – immer wieder wird eine Seilbahn diskutiert.

Aachen/Köln – Die Werkshalle des Institut für Luft- und Raumfahrttechnik an der RWTH liegt mitten im Aachener Studentenviertel. Raketen werden hier nicht gebaut. Stattdessen geht es um ein irdisches Projekt, das den öffentlichen Personentransport in den Großstädten der Welt ergänzen könnte. Hier sollen die Busse fliegen lernen.

Um zu zeigen, wie das geht, hat Tobias Meinert eingeladen. Er forscht am Institut für Strukturmechanik und Leichtbau. Zu sehen ist in der Werkshalle ein kleinbusgroßer Kasten – auf einer Seite ist die Kabine offen, ein paar Laptops befinden sich darin. Die Kabine ruht auf einer Art Schlitten mit vier Rädern, oben hängt das Gebilde an einem komplexen Gehänge.

„Also los“, sagt Meinert und seine Kollegen Eduard Heidebrecht und Linus Kuhlmann starten per Fernsteuerung ein technisches Ballett – alles beginnt zu leben: Das Gehänge über dem Dach klickt ein, hebt die Kabine hoch und löst sie vom Untersatz. Der Blick ist frei auf die ganze Technik, mit der die Kabine auf dem Schlitten verbunden war: Digital gesteuerte Schnittstellen und ein mechanischer Verschluss, der Vertrauen einflößt und das ganze Konstrukt festhält – oder freigibt, wie jetzt gerade.

„Ein Meilenstein“

„Und jetzt umgekehrt“, sagt Meinert. Die Kabine wird zurück auf den High-Tech-Schlitten platziert, der Mechanismus klinkt ein, die Halterung des Gehänges löst sich wie von Geisterhand und die Kabine rollt auf Rädern los – elektrisch angetrieben. Alles klappt. „Ein Meilenstein“, sagt Meinert, „bislang existierte das alles ja nur in unserem Kopf.“

Das Ding heißt Upbus – „up“ wie oben und „Bus“ wie Bus. Die Idee hatten die Aachener vor ein paar Jahren, als sie die Verkehrssituation in den Großstädten der Welt analysieren und hochrechneten. Viel Fantasie brauchten sie dabei nicht – der Großraum Rhein-Ruhr mit den Niederlanden und Belgien zählt zu den Top 20 der am dichtesten besiedelten und verkehrsreichsten Zentren der Erde. Der Verkehrskollaps ist hier zu spüren.

Vor allem die Zentren der Großstädte sind verkehrstechnisch am Limit. Nach Lösungen gesucht wird überall. Manche denken, autonom fahrende Busse könnten zur Entspannung beitragen. In Köln machte vor zwei Jahren die Neuauflage einer Idee Schlagzeilen – eine Seilbahnverbindung von Köln-Mülheim bis Köln-Porz im Zickzack über den Rhein.

„Gute Idee“, sagt Meinert, der diese Pläne genau verfolgt hat. Eigentlich. Ziel der Aachener aber war es, die Nachteile zweier Systeme auszuschalten: Busse, auch wenn sie elektrisch und autonom fahren, stehen im Zweifel mit all den Diesel- und Benzinfahrzeugen gemeinsam im Stau; Seilbahnen hingegen werden meist als Insellösung eingesetzt.

Eingebunden in ein Netz des öffentlichen Nahverkehrs sind sie nicht. Was also, wenn man die Systeme kombiniert: Busse, die wie Gondeln schweben; Gondeln, die wie Busse fahren und Fahrgäste, die beide Systeme nutzen, ohne umzusteigen.

Vieles von dem, was die Aachener brauchen, gibt es schon. „Die Firma Doppelmayr ist Weltmarktführer bei Seilbahn-Systemen“, sagt Kuhlmann und natürlich arbeiten die Aachener mit den Österreichern zusammen. „Es gibt Top-Hersteller für Fahrgastzellen und die Antriebs-Module“, sagt Kuhlmann – zwei davon, Ego und Unicar, sitzen in Aachen gleich um die Ecke. „Wir konzentrieren uns nur auf die Schnittstelle“, sagt Tobias Meinert.

Das ist komplex genug. Denn an diesen Schnittstellen müssen Informationen in Echtzeit, mechanische Lasten und Energien übertragen werden können. Das ist jetzt gelungen: Mit einer Geschwindigkeit von 1 km/h schwebt die Kabine ein, wird über Laser- und Sonar-Sensorik empfangen und erkannt und dann mit einer Genauigkeit von weniger als einem Millimeter auf das jeweilige Modul geleitet. Wenn die Sensorendaten „passen“, werden Ober- und Unterteil mittels eines klassischen Bajonettverschluss-Systems ineinander verzahnt.

Während dieser Transformation können Passagiere ein- und aussteigen, barrierefrei und somit können Rollstuhl- und Kinderwagennutzer unproblematisch an und von Bord. „Der Tüv“, sagt Heidebrecht, „hatte bislang keine Einwände gegen das System.“

Das Beste beider Welten

Es klingt wie das Beste beider Welten: Die Seilbahn schwebt über neuralgische Punkte der Innenstädte hinweg von Station zu Station, wo die Gondeln sich dann fahrend in den ÖPNV-Verkehr eingliedern. Das kann autonom sein, muss aber nicht: „Dieser Teil der Entwicklung hat für uns keine Priorität“, sagt Meinert. Das soll jede Stadt selbst entscheiden.

Die Stadt Trier im Moseltal wäre ein klassischer Kunde für den Upbus. Seit einer halben Ewigkeit sucht man nach Lösungen gegen den täglichen Verkehrsinfarkt. Hier haben die Aachener bereits Konzepte vorgestellt. Weitere Anfragen gibt es aus Gelsenkirchen und Mönchengladbach. Weitere Interessent wären willkommen.

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Auch Köln wäre natürlich interessant – die Planer hatten 2019 mit 12 Stationen im Zickzack-Kurs über den Rhein gleich mal die längste Seilbahntrasse der Welt vorgestellt. „Um zu zeigen, dass es funktioniert, müsste man mal mit einer Station anfangen“, sagt Meinert. Das größte System der Welt kann man ja später immer noch bauen.

Die Kosten, sagt Meinert, liegen bei einem Drittel der Kosten für eine Straßenbahn und bei einem Zehntel der Kosten für eine U-Bahn. Meinert nennt eine Faustregel: Die Stationen zum Ein-, Aus- um Umsteigen sind teuer, die Strecken sind es nicht. Meinert: „Die Seile kosten vergleichsweise nichts. Und wenn man überlegt, was bei einer Streckenführung über einen Fluss wie den Rhein der Bau einer Straßenbahnbrücke kostet ...“

Test am Bodensee

Die Testphase des Projekts soll abgeschlossen werden durch eine Demonstration unter freiem Himmel – am Sitz der Gondel-Firma Doppelmayr bei Bregenz am Bodensee. Das Bundeswirtschaftsministerium hat Finanzhilfe geleistet und möchte das gerne sehen. Corona hat auch hier für Verzögerungen gesorgt, aber in den nächsten Wochen soll der Realtest klappen.

Im nächsten Schritt planen Meinert und Kollegen ein neues Modell – „das soll dann auch aussehen wie ein Bus“, sagt Linus Kuhlmann. Das heißt: Ein- und Ausstieg in Tritthöhe; Passagiere sollen Platz nehmen können und alles in allem soll das Ganze mehr nach einem Einsatz in einer Stadt aussehen als nach einer Probetour in der Werkshalle im Aachener Studentenviertel.

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