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Neue Details zu RuinerwoldKind musste monatelang in Hundehütte leben

Lesezeit 4 Minuten
Bauernhof Ruinerwold

Eine Drohnenaufnahme zeigt den abgelegenen Hof im niederländischen Ruinerwold.

Assen – Für Josef B. ist es eine einzige „Hexenjagd“. Der 58-jährige Österreicher mit dem grauen Vollbart sieht sich eigentlich als Opfer. „Wenn ein Mensch an Gott glaubt, dann ist das doch seine eigene Entscheidung?“ Was also tue er hier auf der Anklagebank in Assen im fernen Nordosten der Niederlande?

Der Gott, auf den Josef B. sich am Dienstag berief, heißt Gerrit Jan van D.. Das ist der 67 Jahre alte Niederländer, der sechs seiner Kinder neun Jahre lang auf einem Hof festgehalten und misshandelt haben soll. Und niemand hat es angeblich gewusst.

Ruinerwold: Fall machte weltweit Schlagzeilen

Für die Staatsanwaltschaft ist klar: Beide Männer sind der Freiheitsberaubung schuldig. Josef B. spielte eine Schlüsselrolle in dem grausigen Fall von Ruinerwold, der weltweit Schlagzeilen machte. Er hatte den abgelegen Hof gemietet, wo im Oktober die Familie entdeckt wurde. Er hat sie versorgt und finanziert. 5000 bis 8000 Euro monatlich soll er dafür von einem österreichischen Konto abgehoben haben.

Gerrit Jan van D. nannte sich „Auserwählter“

Josef B. nannte sich beim Verhör „Jünger“ des Niederländers und glaubt bis heute an dessen zusammengebastelte Religion. Die hatte Gerrit Jan van D. in den vergangenen Jahren mit Dutzenden Videos und Einträgen im Internet verbreitet. Als „John Eagle“ propagierte er ein gesundes Leben im Einklang mit der Natur, fernab von der „unreinen“ Außenwelt. Er nannte sich „Auserwählter“.

Das klingt ein bisschen schräg und abgehoben - aber war eine grausame Realität. Viele Fragen sind in dem Fall noch offen. Aber die Details aus dem Tagebuch des Vaters und den Aussagen der Kinder, die Staatsanwältin Diana Roggen nun erstmals nannte, waren so schockierend, dass es einem kalt über den Rücken lief.

Kind musste monatelang in Hundehütte hausen

Der Vater hatte offenbar ein System aus psychischem Druck und brutaler Gewalt aufgebaut und hielt damit die Kinder in seiner Macht. Zum Beispiel: Ein Kind, 12 Jahre alt, musste monatelang in einer Hundehütte hausen, abgesondert vom Rest der Familie. Es war „unrein“, hatte der Vater bestimmt.

Die Kinder wurden misshandelt, hatten sie bestätigt. Sie bekamen tagelang kein Essen oder ihnen wurde die Kehle zugedrückt. „Der Vater entschied, wann ein Kind einen „bösen Geist“ in sich trug.“ Und dann folgte eine Strafe: Isolation oft monatelang. Unwillkürlich stehen einem Szenen aus Spielfilmen über religiösen Wahnsinn vor Augen.

Theoretisch hätten die Kinder, heute sind sie zwischen 18 und 25 Jahre alt, den Hof verlassen können. „Aber manchmal ist ein Schloss am Tor nicht nötig“, so die Staatsanwältin. Das System aus psychischem Druck, Angst und Gewalt war als Riegel stark genug.

„Die Kinder lebten nur nach dem Willen des Vaters“, sagte die Staatsanwältin und zitierte aus Aussagen der Kinder: „Ich traute mich nichts zu sagen. Ich ertrug es einfach. Was er sagte, war die Wahrheit.“ Wie die Kinder heute zu dem Vater stehen, ist unklar. Zumindest die Jüngeren sollen ihn noch unterstützen.

Ruinerwold: Vergewaltigung, um böse Geister auszutreiben

Der Vater ist gelähmt nach einem Schlaganfall und konnte noch nicht vernommen werden. Und es ist unklar, ob das überhaupt möglich sein wird. Doch in seinem Tagebuch hatte er die Züchtigungen und sogar die Vergewaltigungen von zwei seiner älteren Kinder - einem Sohn und einer Tochter - beschrieben und gerechtfertigt, weil sie von „bösen Geistern“ besessen gewesen seien. Allerdings wusste auch er wohl, dass das nicht in Ordnung war, sagte eines der Opfer aus. Jedenfalls hatte er immer erst die Tür geschlossen, bevor er sich an seinen eigenen Kindern verging. 

Schon jetzt wird deutlich, dass das Schreckensregime des Vaters schon lange vor dem Umzug auf den Hof in Ruinerwold begann. Und sicher auch vor dem Tod der Mutter 2004. So durften die drei ältesten Kinder etwa nie mit anderen spielen und keinem sagen, dass sie noch sechs jüngere Geschwister hatten.

Diese sechs waren nie bei den Behörden gemeldet worden, gingen nie zur Schule, nie zum Arzt. Sie kannten nur die von ihrem Vater geschaffene Welt. Ihnen soll es heute den Umständen entsprechend gut gehen, sagt die Staatsanwaltschaft. Aber was heißt das schon? Wer weiß, ob sie jemals diese Kindheit und Jugend verarbeiten und ein Leben in Freiheit führen können - ohne Angst? (dpa)

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