Nonnenwerth„Wie kann es sein, dass ein einziger Mensch eine solche Macht hat?“

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Blick auf die Insel und das dort befindliche Gymnasium Nonnenwerth

Remagen/Köln/Mainz – Das Drama um die immer wahrscheinlicher werdende Schließung des Inselgymnasiums Nonnenwerth setzt sich fort. In einem emotionalen Brief hat die Schulleitung die zuständige rheinland-pfälzische Bildungsministerin Stefanie Hubig scharf attackiert. „Sehr geehrte Frau Ministerin, es reicht nicht mehr, nur zu schreiben, was alles nicht geht, sondern es bedarf endlich eines ehrlichen und öffentlich bekundeten Mitgefühls mit dem Schicksal der noch verbliebenen 460 Schüler, der rund 800 Eltern und knapp 70 Mitarbeiter“, heißt es in dem am Donnerstag verschickten Schreiben, das dieser Zeitung vorliegt. 

Am Dienstagabend hatte der Bürgermeister der für das 170 Jahre alte Gymnasium zuständigen Stadt Remagen die Schule darüber informiert, dass nun auch die letzten Bemühungen, eine Einigung mit dem Inselbesitzer Peter Soliman über die Fortsetzung des Schulbetriebs zu erzielen, gescheitert seien. Das Gymnasium werde daher aller Voraussicht nach zum Schuljahresende den Betrieb einstellen müssen. Lehrer, Schüler und Eltern reagierten nach eigener Darstellung geschockt auf die Nachricht.

Minutenlanges betroffenes Schweigen

Die Schule hatte am Mittwoch ein Kriseninterventionsteam auf die Insel geschickt. „In den Klassen herrschte Sprachlosigkeit und zum Teil minutenlanges betroffenes Schweigen“, schreibt die Schulleitung. „Ganze Schülergruppen oder Klassen und Kurse konnten nur noch miteinander weinen.“

Der Remagener Bürgermeister Björn Ingendahl hatte nach eigenen Angaben einen potenziellen neuen Träger für die Schule gefunden. Dabei handle es sich um ein renommiertes Unternehmen, der bundesweit weiterführenden Schulen betreibe. Allerdings habe sich Soliman zuletzt sämtlichen Gesprächen verschlossen. Eine Rettung sei daher nicht mehr möglich. Im Unterricht am Mittwoch hätten die Schüler laut Leitung die Frage gestellt: „Wie kann es sein, dass ein einziger Mensch eine solche Macht hat?“

Probleme mit dem Brandschutz

Peter Soliman, ein aus den USA stammender Geschäftsmann aus Meerbusch und Bertreiber der Neusser Privatschule „International School on the Rhine“ (ISR), hatte die Insel im August 2020 von einem Franziskannerinnen-Orden samt denkmalgeschütztem Schulgebäude und Klostertrakt gekauft. Die Nonnen haben die Insel inzwischen verlassen und sich aufs Festland nach Remagen zurückgezogen. Wenige Monate später hatte Soliman mitgeteilt, dass überraschend Probleme mit dem Brandschutz aufgetaucht seien. Die Maßnahmen zur Instandsetzung aber würden mindestens zehn Millionen Euro kosten. Das sei für ihn wirtschaftlich nicht darstellbar. Es sei beim Kauf vielleicht „naiv“ gewesen, hatte er bekundet. Ende vergangenen Jahres verschickte er schließlich die Kündigungen an das Lehrpersonal.

Die Eltern halten das Brandschutz-Argument dagegen für einen Vorwand. Sie glauben, der auf Immobilien spezialisierte Soliman habe die exklusive Adresse nur deshalb erworben, um die Insel womöglich zu einem Luxuswohnobjekt umzubauen. Anlass für diese Vermutung war ein im Internet veröffentlichtes Exposé einer Kölner Immobilienfirma. Soliman dagegen hatte beteuert, dass dieses Angebot ohne sein Wissen erstellt worden sei. Bis heute sind viele Eltern sicher: Soliman habe bewusst getäuscht. Er bestreitet das.

Auch den Vorwurf, er habe sich Gesprächen mit der Stadt Remagen und einem neuen potenziellen Träger verweigert, wies er am Mittwoch über seine Kölner Medienanwälte zurück. Er sei es gewesen, der der Stadt bereits im Juli 2021 ein Angebot unterbreitet habe, das die Gegenseite bis heute nicht angenommen habe. Dennoch sei er noch immer bereit, mit der Stadt über eine Übernahme der Schule durch einen Träger aus öffentlicher Hand zu verhandeln.  Zum Beweis, dass er stets ernsthaft um eine Lösung bemüht gewesen sei, fügten Solimans Anwälte in ihr Schreiben an die Presse eine knapp dreiseitige chronologisch geordnete Liste von Kontaktaufnahmen mit Akteuren der Schule ein. Diese aber endet bereits am 6. Januar 2022.

Eltern scheinen Widerstand allmählich aufzugeben

Nach vielen Monaten des Kampfes scheinen Eltern und Schulleitung mangels Lösungen ihren Widerstand nun allmählich aufzugeben. Der rot-grün-gelben Landesregierung werfen sie vor, dem Drama weitestgehend tatenlos zugeschaut zu haben. Anfang Mai verfasste der Betriebsrat einen wütenden Brief an die politische Führung. Die Reaktionen des Bildungsministeriums und der Staatskanzlei seien „ein unerhörter politischer Skandal“, heißt es in dem Schreiben. „Knicken denn alle für die Bildung im Land Verantwortlichen ein vor der Armee von teuren Anwaltskanzleien, die aufgefahren wird, um jeden Widerstand gegen die Schließung zu ersticken“, formulierten die Autoren.

Die Mainzer Landesregierung hatte in der Vergangenheit immerzu darauf verwiesen, dass die Schule zwar zu 90 Prozent vom Land finanziert werde, gesetzlich aber als Privatschule behandelt werden müsse. Es sei daher auch nicht möglich gewesen, Soliman deutlichere Auflagen zu erteilen. Dieser hatte beispielsweise der Schulleiterin im November nach einer Meinungsverschiedenheit verboten, weiterhin die Insel zu betreten. Seither muss sie ihren Geschäften vom Homeoffice aus nachgehen. Auch Eltern ist es nicht mehr gestattet, auf Nonnenwerth überzusetzen. Ein privater Sicherheitsdienst überwacht das Schulterritorium im Auftrag Solimans.

Malu Dreyer wollte sich nicht äußern

Die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Malu Dreyer selbst wollte sich auf Nachfrage dieser Zeitung zu den aktuellen Vorgängen auf Nonnenwerth nicht äußern. Die Staatskanzlei verwies auf das Bildungsministerium. Auch die Ministerin wollte sich persönlich nicht einlassen. Die Behörde aber bedaure die Entwicklungen auf der Rheininsel, heißt es in der Stellungnahme. Man könne die Enttäuschung verstehen. Das Ministerium habe die Betroffenen „bei ihren Bemühungen, diese Schule zu erhalten, stets und umfangreich unterstützt und begleitet“.

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Noch Ende März habe Hubig mehrere Schüler und Eltern in Mainz empfangen und ihnen auch die schwierige rechtliche Lage dargelegt. Das Privatschulgesetz sehe zwar als „ultima ratio“ vor, freien Schulträgern, die ihren Pflichten nicht nachkommen, die Genehmigung zum Schulbetrieb zu untersagen. Eine Pflicht aber, eine Schule weiterzuführen, kenne das Gesetz nicht. Wann genau der Fall des „ultima ratio“ eintritt, blieb unklar. Man wolle aber Maßnahmen prüfen, um „eine Wiederholung dieses für alle Beteiligten desaströsen Vorgangs zu verhindern“.

Dass Hubig aber, wie von der Schulleitung gefordert, bei einem persönlichen Besuch in Nonnenwerth vor der gesammelten Schulgemeinschaft ihr Mitgefühl zum Ausdruck bringt, ist dem Vernehmen nach nicht geplant.

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