NRW bekommt Sonderdezernat DopingBizeps-Betrügern auf der Spur

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Bodybuilder Muskeln dpa

Im Bodybuilding ist Doping weit verbreitet (Symbolbild).

Die Sehnsucht nach einem dicken Bizeps, einem definierten Sixpack oder besonders viel Wumms in Armen und Beinen ist ein lukratives Geschäft. Pillen und Injektionen, die derlei versprechen, gehen unter Bodybuildern, Kraft- und Hobbysportlern weg wie warme Semmeln. Oft stammen diese Doping-Präparate aus Untergrundlaboren, da wird gebraut, gepanscht, gerührt. Besonders exakt geht es dabei nicht zu. „Wir haben bei Telefonüberwachungen schon Aussprüche gehört wie: Huch, jetzt ist mir da zu viel reingerutscht“, erzählt Oberstaatsanwalt Kai Gräber, der in München die Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft Doping leitet.

 „Bodybuilder neigen dazu, sich die Sachen ungeprüft zu injizieren, sie glauben einfach, dass immer auch drin ist, was draufsteht“, so seine Erfahrung. Ist es aber oft nicht. Manchmal werden Mittelchen teuer verkauft, die gar keinen Wirkstoff enthalten. Manchmal ist viel zu viel von einem Anabolikum drin, einer Substanz also, die den Muskelaufbau fördert – aber über lange Zeiträume in hohen Dosen eingenommen auch unerwünschte Nebenwirkungen wie Herz-Kreislauf-Störungen, die Vermännlichung der Frau oder unnatürliches Brustwachstum beim Mann mit sich bringen kann.

Direkt neben dem Sack Hundefutter zusammengerührt

Manchmal wird im chaotischen Selfmade-Labor im Keller direkt neben dem Sack Hundefutter gerührt, unter desaströsen hygienischen Bedingungen. Solche Labore gibt es auch in Nordrhein-Westfalen. Die Münchner haben im Zuge ihrer Ermittlungen schon einige entdeckt. Eher zufällig.

Das soll sich nun ändern. Auch in NRW soll künftig in Sachen Doping systematischer gefahndet werden. NRW folgt deshalb dem bayrischen Beispiel und errichtet ein so genanntes „Sonderdezernat Doping“. Das wurde im Oktober im Landtag mit den Stimmen von CDU, FDP, Bündnis 90/Die Grünen und AfD beschlossen. „Bringen wir die Hintermänner von kriminellen Netzwerken, bringen wir die Hintermänner beim Doping ins Hellfeld. Nur so schützen wir sportliche Werte wie Fairness und Chancengleichheit“, begründete Angela Erwin den Antrag von CDU und FDP.

Sonderdezernat für Doping in Düsseldorf

Das neue Sonderdezernat soll an die Zentral- und Ansprechstelle für die Verfolgung Organisierter Straftaten in Nordrhein-Westfahlen (ZeOS NRW) bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf angegliedert werden. Zuständige Staatsanwälte, die über die Neuerung sprechen könnten, sind noch nicht erreichbar. Alles sei gerade erst in Planung, heißt es aus dem Justizministerium NRW.

Kai Gräber in München freut sich auf jeden Fall schon mal auf die neuen Fachkollegen. Denn er hat festgestellt: „Ohne eine Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft drohen Dopingverfahren in den Rauschgiftdezernaten zu versacken, dort werden sie neben Drogendelikten oft eher stiefmütterlich behandelt.“ Ermittlungen in Dopingnetzwerken seien ein Sonderfall in der Bekämpfung organisierter Kriminalität. Ein besonderes Spezialwissens ist nötig, und es sollte über die Lektüre das Ende 2015 in Kraft getretenen und im vergangenen Jahr um eine Kronzeugenregelung erweiterten Anti-Doping-Gesetzes hinaus gehen.

Die Ermittler müssten sich mit der Wirkungsweise von Dopingmitteln auskennen, mit chemischen und pharmazeutischen Prozessen, sie müssten über die Bestimmung des Wirkstoffgehalts in einem Präparat Bescheid wissen, erklärt Gräber: „Das alles kann ja keiner einfach so.“

Ermitteln im Falle eines Kühlschranks voller Anabolika

„Qualifizierte Fortbildungsangebote“ will Rechts-Expertin Erwin dann auch gemeinsam mit dem neuen Sonderdezernat aufgebaut wissen. Das begrüßt Lars Mortsiefer, Vorstand und Chefjustiziar der in Bonn ansässigen Nationalen Anti Doping Agentur Nada, die regelmäßig Workshops für Ermittlungsbeamte anbietet, um nicht von Staatsanwälten gefragt zu werden, was ein Steroid sei, der Klassiker unter den Dopingsubstanzen. „Man muss schon intensiver ermitteln, um Dopingfälle aufzuspüren und wissen, wonach man suchen muss“, sagt Mortsiefer. Denn wer sich nicht auskennt, der kümmert sich eben nicht weiter um einen Kühlschrank voller Anabolika, der zufällig bei einer Razzia im Drogenmilieu gefunden wird.

Das wissen jene nur zu gut, die mit Anabolika und anderen Dopingsubstanzen Geld scheffeln. Günter Younger, ehemaliger Drogenfahnder beim LKA in Bayern und seit 2016 Chefermittler bei der Welt Anti Doping Agentur Wada im kanadischen Montreal, stellt klar: „Die Gewinnmargen bei Dopingsubstanzen sind ähnlich wie bei harten Drogen.“ Aber: Die Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden, sei deutlich geringer. Die zu erwartenden Strafen sind zudem sehr viel niedriger. Und um an die nötigen Substanzen zu kommen, braucht es keine Kontakte nach Kolumbien, Peru oder Bolivien und keine Recherche im Darknet. „Wer Google bedienen kann, wird fündig“, sagt Younger. 

Dopingverkauf ist einträgliches Geschäft

Die Herstellung und der Verkauf von Dopingsubstanzen sind also ein einträgliches Geschäft, gegen das in Deutschland bislang nur in München, Freiburg, Zweibrücken und Rostock Sonder-Staatsanwaltschaften vorgehen. Die Münchner um Oberstaatsanwalt Kai Gräber waren auch am bislang größten Schlag gegen den organisierten Handel mit Dopingpräparaten beteiligt: Im Rahmen der auf mehrere Einzelaktionen verteilten „Operation Viribus“ flogen im Laufe des Jahres 2019 in Zusammenarbeit mit Europol 20 organisierte Banden in 33 Ländern auf.

Der groß angelegte Handel mit Dopingsubstanzen ist in Deutschland strafbar. Der Besitz und Erwerb jeglicher Menge ist allerdings nur Spitzensportlern verboten. Breitensportler, die eine geringe Menge Anabolika zum Eigengebrauch besitzen oder erwerben, verstoßen nicht gegen das Gesetz. Sie schaden der eigenen Gesundheit unter Umständen massiv, aber das ist nun mal Privatsache.

Athleten um die Medaille gebracht

Wenn Spitzensportler ihre Leistungsfähigkeit mit Dopingpräparaten steigern, ist das keine Privatsache mehr, sie verstoßen gegen die Regeln des Wettbewerbs und bringen andere um den verdienten Erfolg. Weit mehr als 100 olympische Medaillen wurden bereits nachträglich wegen Dopings aberkannt. Immerhin, diese Betrüger hat man überführt. Andere Athletinnen und Athleten wurden dennoch um den möglicherweise größten Moment ihrer sportlichen Karriere betrogen. Sie gingen leer aus, als ihnen eine Medaille, das Rampenlicht, Anerkennung zugestanden hätten.  

Kai Gräber erzählt von der Schwerpunktstaatsanwaltschaft in München: „Wenn man genauer hinguckt, dann kommen die Fälle von allein.“ 170 hätten sie 2009 in ihrem ersten Jahr gezählt, heute seien es 1500 pro Jahr. Ähnlich könnte es sich in NRW entwickeln, wenn konsequent ermittelt wird. Erste Zipfel der Netzwerke im Breitensport bekommen die Fahnder bei Routinekontrollen auf Autobahnen, bei Zollkontrollen am Flughafen oder bei Ermittlungen im Türstehermilieu zu fassen. Da ist Gräber zufrieden mit der Erfolgsquote.

Mauer des Schweigens steht stabil

Der Spitzensport jedoch tickt anders. Da steht die Mauer des Schweigens sehr stabil. „Wir kommen da oft nicht an die Fälle dran“, sagt Gräber. Wenn doch, dann in der Regel nur dank Mitteilungen der Nada und vor allem dank der Aussagen von Whistleblowern. „Die „Operation Aderlass“ wäre nie ins Rollen gekommen, wenn Johannes Dürr nicht ausgepackt hätte“, sagt Gräber.

Der österreichische Ski-Langläufer hatte Dopingpraktiken im Netzwerk des Erfurter Sportarztes Mark S. offengelegt und einen Zugriff deutscher und österreichischer Ermittler bei der Nordischen Ski-WM 2019 in Seefeld ermöglicht. „Da waren wir dank guter Vorbereitung ganz nah dran“, sagt Gräber, „wir haben zum Beispiel einen Athleten mit der Spritze im Arm auf frischer Tat ertappt.“ Inzwischen wurden erste Haftstrafen ausgesprochen.

Operation Aderlass

Auch die Welt Anti Doping Agentur Wada und die deutsche Nada sind auf die Aussagen von Insidern angewiesen. Sie sollen über den sauberen Sport wachen, hinken mit ihren Kontrollen aber oft den Praktiken der Betrüger hinterher. Im Rahmen der „Operation Aderlass“ haben Gräber und seine Kollegen gelernt, dass die Athleten sich geschickt an die erlaubten Grenzwerte heran gedopt und dann unmittelbar nach dem Wettkampf so viel Salzwasser zu sich genommen haben, dass die Dopingkontrollen negativ ausfielen.

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Der ehemalige Radprofi Lance Armstrong, neben dem Sprinter Ben Johnson wohl der berühmteste Doper der Sportgeschichte, hat es ähnlich gemacht und kam so lange damit durch, bis Kollegen seine Methoden ausplauderten. Das russische Staatsdoping – lange Jahre ahnten viele, dass dort etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, und doch mussten erst Insider auspacken, um Licht ins Dunkel zu bringen. Julia Stepanowa und ihr Mann Witali hatten sich zunächst an die Wada gewandt, waren aber ignoriert worden. Erst als sie ihr Wissen in der ARD-Dokumentation „Geheimsache Doping“ öffentlich machten, kam der russische Doping-Skandal so richtig ins Rollen.

Insider bekommen V-Leute an die Seite gestellt

Damit potenzielle Whistleblower von der Wada nicht noch einmal vor den Kopf gestoßen werden, wurde der bayrischen Polizisten Günter Younger als Chefermittler engagiert. Er wacht jetzt darüber, dass aussagewillige Insider kompetente V-Leute an ihre Seite bekommen. „Aber wir sind keine Strafverfolgungsbehörde, wir können keine Telefonüberwachungen und keine Hausdurchsuchungen durchführen“, sagt Younger. Kai Gräber und sein Team in München können das. Und die neuen Kollegen in NRW werden es auch können. „Deshalb begrüßen wir jede Sonderstaatsanwaltschaft, die gegründet wird“, betont Younger – und spricht gleich mal eine Einladung in Richtung des neuen Sonderdezernats Doping in NRW aus: „Mein Team steht Ihnen mit Rat und Tat zur Seite, falls Sie uns brauchen. Nur gemeinsam können wir erfolgreich sein.“

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